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Das Einsparpotenzial in der Leercontainerlogistik ist enorm. Johannes Schlingmeier vom Fraunhofer CML beschäftigt sich seit einiger Zeit damit. Inzwischen ist er Geschäfts­führer beim Start-up xChange, das eine Onlineplattform für die »Emptys« betreibt

In Ihrer Doktorarbeit ist zu lesen, dass 20% der auf See und 40% der an Land transportierten Container leer[ds_preview] sind und die damit verbundene Logistik weltweit Kosten von 30 bis 40Mrd.$ verursacht. Wie sind Sie an diese Zahlen gekommen?

Johannes Schlingmeier: Dafür habe ich die kompletten Daten zu Leercontai­nertransporten von neun der 25 größten Reedereien, also etwa 46% der globalen Containerflotte, analysiert.

Der Hauptgrund für Leercontainertransporte ist die Imparität der Handelsströme. Betrifft dies die Reedereien auf den jeweiligen Trades nicht gleichermaßen?

Schlingmeier: Grundsätzlich schon. Bei den Diensten zwischen Asien und Europa und in noch stärkerem Maße zwischen Nordamerika und Asien gibt es wenige Möglichkeiten für den Austausch von Containern. Ganz anders sieht es allerdings intra-regional aus, also beispielsweise im EU-Hinterland, wie für Leercontainer im Ostseeraum, die zwar weniger für die globalen Carrier, aber sehr wohl für kleinere Reedereien interessant sein können. Hier gibt es noch einen weiteren Vorteil: Sie sind keine Wettbewerber für die großen Reedereien. Das größte Kooperationspotenzial besteht daher zwischen den globalen und den regionalen Reedereien beziehungsweise den Spediteuren.

Dennoch tut sich die maritime Wirtschaft trotz der großen Allianzen schwer mit dem Austausch von Seecontainern. Warum ist das so? In der Luftfracht sind Containerpools doch ebenso gang und gäbe wie die Palettenpols bei den Transportunternehmen.

Schlingmeier: Dafür gibt es verschiedene Gründe. Einer ist sicherlich der Wettbewerb, dem man nicht durch das Zurverfügungstellen eines Containers ermöglichen möchte, ein Geschäft zu übernehmen und der so zu viel über den Kunden erfahren könnte. Zudem sind nach wie vor viele Container gebrandet und einige Reedereien fürchten schlicht um ihre Versorgungssicherheit.

Der Hauptgrund ist allerdings, dass die meisten Akteure davon ausgehen, dass sich der Aufwand nicht lohnt, eben weil die Ungleichgewichte bei vielen Diensten alle Reedereien betreffen.

Oft vergessen wird zudem, dass der Mitarbeiter in der Logistik bisher wenig Anreiz zur Kooperation hat, da es für die Reederei zwar teuer, aber auch am einfachsten ist, eigene Boxen dorthin zu bringen, wo sie gebraucht werden.

Welche Akteure sind in der Leercontainerlogistik neben den Reedereien noch von Bedeutung?

Schlingmeier: Das sind die etwa 20 großen Leasinggesellschaften, die, ebenso wie die Reedereien, Eigentümer der Container sind. Zudem sind das mehr als 10.000 Seefrachtspediteure und natürlich die Verlader selbst, da für rund 50% der Containertransporte Merchant’s Haul­age vereinbart ist. Dann ist nicht der Reeder, sondern der Händler als Versender oder Empfänger für den Vor- und Nachlauf verantwortlich und trägt dafür auch die Kosten. Zunehmend spielen auch die rund 500 Containerhandler für Transporte von Leercontainern eine wichtige Rolle.

Wie groß ist das Einsparpotenzial?

Schlingmeier: Sehr groß: Jeder Container verbringt etwa 56% seiner Lebenszeit ohne Ladung, ist also nicht einmal die Hälfte seiner Lebensdauer produktiv. Insgesamt lassen sich ca. 30% der jährlich weltweit 70Mio. Leercontainertransporte vermeiden beziehungsweise reduzieren. Allein etwa 2,7Mio. Transporte werden jedes Jahr leer von einem Unternehmen durchgeführt, während gleichzeitig die leeren Boxen eines anderen Unternehmens auf der gleichen Strecke in anderer Richtung unterwegs sind. Sehr viel größeres Potenzial entsteht, wenn man sich nicht nur einzelne Korridore isoliert anschaut, sondern das gesamte Netzwerk.

Und wie kann dieses Reservoir gehoben und genutzt werden?

Schlingmeier: Wir haben bei Boston Consulting (BCG) 2015 das Unternehmen xChange gegründet, mit dem wir auf einer Onlineplattform als neutraler Dienstleister allen Akteuren der Leercontainerlogistik und das rund um den Globus den sicheren und vertrauenswürdigen Austausch ihres Leerequipments ermöglichen. Ohne xChange sind bis zu 20 E-Mails und lokale Kommunikation erforderlich, wenn man fremde Boxen nutzen möchte. Dazu kommen bilaterale One-way-Verträge, Finanzchecks, Dokumente und manuelles Nachhalten der aktuellen Containerposition. Diesen Prozess automatisiert online abzuwickeln, ist deutlich einfacher und effizienter.

Wie wird das Angebot angenommen?

Schlingmeier: Derzeit nutzen 150 Unternehmen an 2.500 Standorten unsere Plattform. Rund 230.000 Containereinheiten wurden bislang offeriert und angefragt.

Könnte es für Sie eine Option sein, dass aufgrund der vorhandenen Daten auf Ihrer Plattform künftig Sie selbst oder andere Unternehmen Leercontainertransporte anbieten?

Schlingmeier: Zunächst wollen wir den Austauschprozess für sämtliche Akteure der maritimen Leercontainerlogistik Schritt für Schritt weiter vereinfachen. Dafür werden wir in Zukunft unter anderem eine Containerversicherung, Garantien für die automatisierte Zahlungsabwicklung sowie noch stärkere Systemintegrationen anbieten. Darüber hinaus ist in der Tat vorstellbar, perspektivisch auch Transportunternehmen die Möglichkeit zu geben, den Transport von Leercontainern über xChange anzubieten.

Die Leercontainerlogistik führt oft eher ein Schattendasein. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, mit diesem Thema zu promovieren?

Schlingmeier: Ich komme zwar aus Berlin, aber meine Mutter stammt aus Cuxhaven, sodass es schon immer eine enge Verbindung zum Meer gab. Zunächst habe ich überlegt, Kapitän zu werden, mich dann allerdings doch für ein Wirtschaftsingenieurstudium entschieden. Nach dem Diplom habe ich fünf Jahre als Projektleiter bei BCG hauptsächlich Reedereien beraten. Die Anregung für die Leercontainerlogistik stammt von meinem damaliger Vorgesetzten Lars Kloppsteck und ich fand das Thema sofort spannend.


Interview: Claudia Behrend