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Private Sicherheitskräfte an Bord, aber keine gültige Zulassung des Flaggenstaats, kein Versicherungsschutz, keine Erlaubnis des Küstenstaats – solch ein Szenario könnte mit dem Brexit eintreten, wenn die bisher den Markt für ISO-28007-Zertifizierungen dominierenden britischen Firmen mit dem EU-Ausstieg ihre Akkreditierung verlieren. Von

Nur selten schaffen es Piraten derzeit in die Medien, dennoch tut sich vor und hinter den Kulissen einiges. So wurde[ds_preview] beispielsweise erst am 3. Juni 2018 ein vom World Food Programme gechartertes Offshore Supply Vessel ca. 30sm vor der jemenitischen Küste angegriffen. Des Weiteren hat Mitte März 2018 das niederländische Parlament einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der den Einsatz privaten Sicherheitspersonals auf Schiffen unter niederländischer Flagge erlauben soll. Die Genehmigung gibt es nur bei Vorliegen eines Managementzertifikats – gemeint sein dürfte die für den maritimen Sicherheitsbereich entwickelte Norm ISO 28007:2015, 2015

von der IMO als Äquivalent zu staatlichen Zulassungen anerkannt. Während beispielsweise europäische Flaggenregister in der Regel nationalstaatliche Zulassungsverfahren haben, verlassen sich kommerzielle Register aufgrund ihrer kommerziellen Natur und der oft nicht im eigentlichen Flaggenstaat verfügbaren Infrastruktur auf die ISO 28007 als Minimalanforderung. Diese besitzen jedoch auf Grund ihrer Natur weltweit nur wenige Sicherheitsanbieter, überwiegend aus dem britischen Wirtschaftsraum. Kommerzielle Register erkennen staatliche Zulassung in der Regel als gleichwertig an.

»Die ISO-Norm hat sich für Teile der Flaggenregister durchgesetzt, die keine originäre gewerbe­rechtliche Zulassung für private maritime Sicherheitsfirmen eingeführt haben. Dazu kommt, dass aktuell viele Sicherheitsdienstleister aus Drittstaaten kommen, in denen es gar keine Zulassungsverfahren gibt«, erklärt Horst Rütten, Geschäftsführer des Sicherheitsunternehmens i.b.s. International Operative Services gegenüber der HANSA.

Mit dem EU-Ausstieg Großbritanniens erhält das abstrakte Thema ISO 28007 nun Brisanz. Der Sicherheitsstandard war 2015 auf Drängen der Briten zustande gekommen, um die Anforderungen für britisch geflaggte Schiffe zu vereinfachen. Der Markt für solche Zertifizierungen wird von britischen Firmen dominiert.

Bei i.b.s. beobachtet man die künftigen Entwicklungen bezüglich der Anfang Januar von der Europäischen Kommission herausgegebenen »Notice to stakeholders – Withdrawal of the United Kingdom and EU rules in the field of industrial products«. Demnach verlieren die von der EU benannten Stellen (Notified Bodies) im UK ihren Status. Die von diesen ausgestellten Zertifikate würden dann zumindest innerhalb des europäischen Raums nicht mehr anerkannt. »Die Frage ist, inwiefern eine ISO-Zulassung international gültig bleiben wird, wenn die zertifizierende Stelle von einer Behörde akkreditiert wurde, die nicht mehr akkreditierungsfähig ist«, sagt Rütten.

Das trifft nicht in erster Linie den maritimen Sicherheitsbereich – dieser macht nur einen kleinen Teil aus – sondern vor allem Produkt- und Managementzertifizierungen. »Die britische Regierung hält sich bedeckt, was einen klaren Fahrplan angeht. Zurzeit ist davon auszugehen, dass zeitnah keine Lösung herbeigeführt wird«, erklärt Rütten.

Im Fall eines »harten« Brexit, also ohne eine Übergangsregelung, könne es passieren, dass die Akkreditierungsstellen zwangsläufig von der Liste genommen würden, sagt er. »Es wäre nicht das erste Mal, dass so etwas in der EU durchgeführt wird, weil bestimmte Fristen ablaufen.«

Die Anzahl der ISO-28007-Anbieter ist mit weltweit fünf Firmen überschaubar, die Platzhirsche mit einer nennenswerten Anzahl von Verträgen für die Zertifizierung dieser Norm sind Lloyd’s Register, Quality Assurance und MSS Global.Dass die Briten den Markt hier dominieren, lässt sich auf verschiedene Faktoren zurückführen. So sind Sicherheitsdienstleistungen oft Teil von Versicherungsverträgen, hier ist der britische Markt sehr dynamisch. »Viele P&I Clubs wurden durch die Piraterie schon frühzeitig mit der Thematik der maritimen Sicherheit konfrontiert. Aber auch politisch ist der Ansatz der Briten von Anfang an ein anderer«, erklärt der Sicherheitsexperte.

»In Deutschland und dem restlichen Kontinentaleuropa hat man das Thema lange verschleppt, das zeigt nicht zuletzt die erst jetzt vorgebrachte Gesetzesinitiative in den Niederlanden, obwohl die ›prime time‹ der Piraterie bereits vergangen ist. Erst jetzt besinnt man sich darauf, Alternativen zum Einsatz von militärischem Personal gesetzlich zu regeln. Dies war in Deutschland mit der Einführung des Zulassungsverfahrens und dessen Umsetzung ab Juni 2013 nicht anders, da auch zu diesem Zeitpunkt bereits die Pirateriezahlen zurückgingen«, so Rütten. Anders in Großbritannien, dazu komme die dortige Präsenz vieler Schifffahrts- und Shipmanagement-Firmen. Insgesamt habe man schneller die sich eröffnenden Möglichkeiten genutzt und international in verschiedenen Gremien Akzente gesetzt. Nicht zuletzt wurde die ISO 28007 von der britischen Akkreditierungsstelle UKAS in die IMO getragen.

»Seaman Guard Ohio« 2.0?

Ein Szenario, in dem sich ein bisher nach ISO 28007 zertifiziertes Sicherheitsunternehmen wiederfinden könnte, obwohl es davon nur eine überschaubare Anzahl und oft auch nur britische Unternehmen gibt, beschreibt Rütten so: »Wenn für ein Flaggenregister unklar ist, ob ein Zertifikat noch Bestand hat, unbenommen der international geltenden ISO-Norm, wäre dann möglicherweise auch die Genehmigung des Flaggenstaates hinfällig, was sich wiederum auf den Versicherungsschutz auswirkt. Denn die Sicherheitsdienstleistung wäre dann eine nicht genehmigte gewerbliche Handlung ohne Versicherungsdeckung.« Zusätzlich drohe in der Folge ein Einlaufverbot von Küstenstaaten und zwar für Schiffe, die mit betroffenen Sicherheitsanbietern fahren. »Jedoch werden derartige Dinge in der Regel im Vorweg mit dem P&I Club und der Flagge geklärt, sodass dann Reeder möglicherweise auf Unternehmen ohne ISO 28007 Zertifikat, jedoch mit nationalstaatlicher Zulassung, wie bei unserem Unternehmen, die im übrigen auch als deutlich höherwertiger einzustufen sind, ausweichen werden müssen«, so Rütten.

Kann beispielsweise ein auf einem Schiff tätiges Sicherheitsunternehmen die Genehmigung des Flaggenstaats nicht vorweisen, könnten Fälle wie des in Indien festgesetzten Schiffs »Seaman ­Guard Ohio« (s. HANSA 07/2015) eintreten. Das Schiff des US-Dienstleisters AdvanFort war im Herbst 2013 mit 35 Mann Besatzung in indischen Gewässern gestoppt worden – ohne Papiere für die an Bord vorhandenen Waffen und Munition. Schiff, zehn Seeleute und 25 private Sicherheitskräfte wurden festgesetzt, das Hin und Her vor indischen Gerichten dauerte bis Ende 2017.

»Es ist derzeit noch völlig unklar, wie sich die Situation in Bezug auf die ISO 28007 entwickeln wird oder letztlich ausgeht. Vonseiten des britischen Marktes sind keine Bemühungen zu erkennen, ein derartiges Szenario, wie erwähnt, auszuschließen«, so Rütten. Keiner der Akteure mache Anstalten, die Unternehmensstrukturen so anzupassen, dass im Falle eines »harten« Brexit die Zertifikate weiter Bestand hätten. Die Zertifizierungsstellen bräuchten EU-Niederlassungen und müssten sich neu akkreditieren, die Sicherheitsfirmen den Audit-Prozess erneut durchlaufen. Da könne es durchaus passieren, dass einige involvierte Akteure ein halbes Jahr oder länger ohne Zertifikat seien, meint Rütten. Es werde spannend, wie größere Unternehmen mit Beteiligung von Banken und Investoren, die einen hohen Grad an Compliance fordern, mit diesen möglichen Problem umgingen.

Deutsche Firmen unterliegen der gewerberechtlichen Zulassungspflicht durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). Diese wird als ISO 28007-Äquivalent anerkannt. Daher gibt es für die reine ISO-Zertifizierung in Deutschland keinen Markt. Auch gibt es hier keine akkreditierte Zertifizierungsstelle, die ISO 28007 anbietet. Ähnlich ist es mit anderen nationalen Märkten.

Chancen für andere Anbieter?

Die Niederlande entscheiden sich mit dem jetzt vorgelegten Gesetzesentwurf gegen ein umfangreiches Prüfverfahren wie in anderen europäischen Staaten. Von Sicherheitsunternehmen soll ein Managementnachweis verlangt werden. »Betrachtet man sich den Vorlauf für den Gesetzesentwurf und welche ›Interessenverbände‹ aktiv waren, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass den Verantwortlichen die ISO 28007 vorschwebt«, so Rütten. Das werde aber sicher noch präzisiert. In den Niederlanden selbst gibt es nur ein großes Sicherheitsunternehmen, das über bereits ISO-zertifizierte Dependancen im Ausland Dienstleistungen anbietet und ein erhebliches Interesse an der Legalisierung in der Heimat hat. »Damit präsentieren sich die Niederlande im Falle einer Abwanderung von Zertifizierungsdienstleistern aus dem UK als sinnvollste Alternative, hier gäbe es dann einen Markt«, mutmaßt der Experte. In Deutschland sieht er dagegen kein Potenzial, da bereits vor mehr als drei Jahren durch i.b.s. gestellte Anfragen zu dieser Thematik negativ beurteilt wurden.

Profitieren könnten somit im Falle eines »harten« Brexit nationalstaatlich überprüfte und zugelassene Sicherheitsfirmen. Die Regulierung des Marktes durch strenge nationalstaatliche Zulassungsverfahren hat diesen in den letzten Jahren bereits bereinigt, es gibt deutlich weniger Sicherheitsanbieter, die sich zum Teil auf bestimmte Regionen spezialisieren. Durch den Ausfall des Vereinigten Königreichs bei den ISO-Zertifikaten könnte es zumindest zeitweise zur positiven Verlagerung zugunsten der strenger regulierten Unternehmen kommen.