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Die heimische Industrie ist dank ihrer Systemkompetenz und zahlreichen Innovationen weltweit anerkannt. Doch die deutsche Flotte ist geschrumpft, und die wenigen Aufträge der Marine gefährden auch die künftigen Exportchancen. Von Dieter Stockfisch

Der deutsche Marineschiffbau verfügt im Bau von Überwasserschiffen und U-Booten über hohe Systemkompetenz und Innovationsfähigkeit, die national und international[ds_preview] hoch geschätzt und weltweit nachgefragt werden. Das Produktspektrum der deutschen Hersteller, die im Gegensatz zu vielen ausländischen und staatlichen Mitbewerbern rein privatwirtschaftlich aufgestellt sind, reicht von U-Booten, Fregatten, Korvetten, Schnellbooten, Patrouillenbooten, Offshore-Patrouillentbooten, Minenjagdbooten und Versorgern bis hin zu Systemlieferungen und Einzelkomponenten für das komplexe Gesamtsystem Schiff. Hinzu kommen Umbauten, Wartungs- und Instandsetzungsaufträge.

Die heimische Industrie sorgt für rund ein Viertel des gesamten Schiffbau-Umsatzes, der zuletzt rund 1 Mrd. € im Jahr betrug. Die Exportquote aller Unternehmen wie Werften, Komponentenhersteller, Zulieferer und Dienstleister liegt bei mehr als 70%.

Allerdings zogen zuletzt dunkle Wolken am Horizont auf, nachdem potenzielle Exportaufträge verloren wurden, unter anderem für U-Boote in Australien. Auch ein sicher geglaubter Fregatten-Auftrag aus Ägypten dürfte vermutlich an die Naval Group aus Frankreich gehen. Bei der Ausschreibung des Mehrzweckkampfschiffes MKS 180 wurde dem heimischen Bieterkonsortium aus Thyssenkrupp Marine und Lürssen sogar der Stuhl vor die Tür gesetzt.

Grund genug für den Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM), mahnend den Finger zu heben. Nationale Aufträge bildeten die Grundlage für die technologische Entwicklung, seien unverzichtbare Exportreferenzen und von zentraler Bedeutung für die Auslastung der wehrtechnischen Industrie, heißt es im jüngsten Jahresbericht. »Ohne hochinnovative Zukunftsprojekte aus dem eigenen Land gehen zwangsläufig entscheidende Fähigkeiten verloren«, warnt der Verband. Andererseits sei der Export unbedingt erforderlich, weil der geringe nationale Bedarf nicht ausreiche, um die hochqualifizierte deutsche Marineschiffbauindustrie auszulasten bzw. zu erhalten.

Die Deutsche Marine ist nach dem Ende des Kalten Krieges von einst 180 Einheiten auf gegenwärtig rund 60 Einheiten geschrumpft. Erst langsam geht es wieder aufwärts. Nach gegenwärtiger Planung wird die Marine in den kommenden zehn Jahren jedes Jahr mindestens ein neues schwimmendes oder fliegendes Waffensystem erhalten. Die vier neuen Fregatten der Klasse 125 laufen ab Ende 2018 bis 2022 der Marine zu. Weitere Projekte sind auf den Weg gebracht.

Korvetten der Klasse K130

Fünf weitere Korvetten der Klasse K130 sind bestellt. Die Baunummern 6 bis 10 werden erneut von der Arbeitsgemeinschaft (ARGE) K130 gefertigt, die aus der Lürssen Gruppe (Federführung und Hauptauftragnehmer), thyssenkrupp Marine Systems (tkMS) und German Naval Yards (GNV) in Kiel besteht. Die Endausrüstung und Ablieferung für alle Einheiten erfolgt bei der zu Lürssen gehörenden Werft Blohm+Voss in Hamburg.

Der Bauvertrag umfasst neben Kons­truktionsleistungen, der Fertigung sowie der Integration aller Systeme und Beistellungen, Geräte und Anlagen auch die notwendige Anpassung bzw. Lieferung der Land- und Ausbildungsanlagen. Ab 2022 sollen die Korvetten sukzessive bis 2025 ausgeliefert werden.

MKS 180

Die Deutsche Marine muss nach der schrittweisen Außerdienststellung der Fregatten Klasse 122 und den zunehmenden weltweiten Einsatzverpflichtungen dringend die Verfügbarkeit von Schiffen erhöhen. Daher sollen vier Mehrzweck kampfschiffe MKS 180 mit der Option auf zwei weitere Einheiten beschafft werden. Für das Projekt wurden planerisch bereits rund 3,5 Mrd. € (netto) veranschlagt, die Gesamtkosten belaufen sich auf mehr als 4 Mrd. € – das ist der bislang größte deutsche Marineauftrag der Nachkriegsgeschichte.

Das Bundesverteidigungsministerium hatte das Vorhaben europaweit ausgeschrieben, was bei der deutschen Marineschiffbauindustrie auf Unverständnis gestoßen ist. Kein anderes EU-Land ist bei einem Projekt dieses Umfanges und dieser großen Wertschöpfung diesen Schritt bislang gegangen. Im Gegenteil: Mit Verweis auf die »industriestrategische Bedeutung« für ihren Marineschiffbau haben Italien, die Niederlande, Frankreich und Großbritannien die Auftragsvergabe für neue Fregatten im eigenen Land gehalten. Sie beriefen sich dabei auf Artikel 346 des EU-Vertragswerks AEUV.

Mehr noch: Wegen vermeintlicher Kostenüberschreitung wurde das Bieterkonsortium aus Lürssen und thyssenkrupp vom Verfahren ausgeschlossen, bei tkMS stand danach sogar der Verkauf der gesamten Werftensparte wieder einmal auf der Agenda.

Beide Anbieter haben es dann aber über die Hintertür doch noch ins Verfahren geschafft: Lürssen über das Konsortium der Werfttochter Blohm+Voss mit der niederländischen Damen Group und thyssenkrupp über eine kurzfristig geschlossene Kooperationsvereinbarung mit German Naval Yards, die zusammen mit einem US-Unternehmen antreten.

Die finalen Angebote sollen bis Jahresende vorliegen, Anfang 2019 will das zuständige Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) einen Vertragsabschluss erzielen. Die Deutsche Marine hofft darauf, das erste MKS 180 Ende 2026 in Dienst stellen zu können.

U-Boote

Der Bau von U-Booten ist eine der ausgewiesenen Schlüsselkompetenzen in Deutschland mit derm Hersteller thyssenkrupp Marine Systems (tkMS) in Kiel als einem der weltweit führenden Systemhäuser. Das Unternehmen hat seit 1960 rund 160 U-Boote in mehr als 20 Länder geliefert, darunter Boote der Klasse 209 und 214/214A. Gegenwärtig bestehen Neubauverträge für 22 U-Boote mit sechs Staaten.

Die U-Boote der Klasse 212A mit Brennstoffzellenantrieb zählen weltweit zu den effektivsten Seekriegsmitteln und als modernste konventionelle U-Boote. Deutschland und Norwegen schlossen 2017 eine Regierungsvereinbarung für eine gemeinsame Beschaffung und den Betrieb von acht U-Booten (sechs für Norwegen und zwei für Deutschland) der Klasse 212CD (Common Design), eine Weiterentwicklung der bewährten deutschen U-212A-Klasse. Das Projekt steht unter deutscher Führung. Die U-Boote sollen bei tkMS gebaut werden und könnten ab 2021 bis 2030 ausgeliefert werden.

Zuletzt sorgten allerdings auch die U-Boote eher für Negativschlagzeilen: Von den sechs deutschen U-Booten der Klasse 212A war zwischenzeitlich kein einziges mehr einsatzbereit, weil Ersatzteile für die nötige Reparatur fehlten. Das letzte einsatztaugliche Boot, U 35, war vor Norwegen auf einen Felsen gefahren. Die Marine hat mittlerweile einen Rahmenvertrag mit der Werft tkMS in Kiel geschlossen, um die Lieferung zu beschleunigen.

Und auch bei den Tankern zeigt sich ein ähnliches Bild: Wegen »Altersschäden« an den Dieselmotoren waren jüngst die letzten beiden Einheiten aus einer Flotte von ehemals sechs Tankern stillgelegt worden. »Rhön« und »Spessart« sind mit Baujahr 1974 mehr als betagt.

Als Ersatz kommt allenfalls einer der drei Einsatzgruppenversorger in Frage. Die allerdings sind in NATO-Einsätzen gebunden. Die geplante Entsendung der »Spessart« zum ständigen maritimen Einsatzverband der NATO SNMG 1 in der zweiten Jahreshälfte musste deshalb abgesagt werden.

»Das ist ein weiteres Beispiel dafür, wie dringend die Modernisierung der Marine ist, ebenso wie ihre Finanzierung«, kommentierte Vizeadmiral Andreas Krause, Inspekteur der Marine, den Ausfall. Die Planung sieht vor, beide Tanker noch bis 2024 zu betreiben.

Nach aktuellem Planungsansatz der Marine ergibt sich neben den MKS 180, den Korvetten K130 und den zwei U-Booten somit ein zusätzlicher Bedarf an Tankern, Flottendienstbooten und neuen Minenabwehreinheiten. Auch wird planerisch an der Nachfolge der Fregatten der Klasse 123, an neuen Tendern und an der Erneuerung der Rüstungsflotte der Wehrtechischen Dienststelle für Schiffe und Marinewaffen, Maritime Technologie und Forschung der Bundeswehr (WTD 71) gearbeitet.

Als Ziel für den Zeitraum nach 2031 wird eine Flotte von rund 70 Schiffen und Booten sowie ca. 55 Luftfahrzeugen (Seefernaufklärer und Hubschrauber) angegeben.


Dieter Stockfisch