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Brandhavarien können verheerende Folgen für Schiff und Ladung haben. Gerade in der jüngeren Vergangenheit gab es wieder einige schwerwiegende Fälle. Dabei ist nicht immer alles so, wie es auf den ersten Blick scheint. Bei der deutschen Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) spricht man[ds_preview] sich für genauere Regeln aus. In einem cross-medialen Schwerpunkt gehen wir auf wichtige Aspekte ein, veröffentlichen ein ausführliches Interview mit BSU-Direktor Ulf Kaspera und BSU-Ermittler Harald Erdbeer sowie umfangreiches Bild- und Videomaterial.

Das Thema Brandschutz ist komplex. Haben die Reedereien dafür ein ausreichendes Bewusstsein?
Erdbeer: Das Bewusstsein ist schon ziemlich groß dafür, Brände gibt es ja auch schon seit es die Schifffahrt gibt. Zwar hat sich die Bauweise der Schiffe geändert, aber die grundsätzliche Vorsicht wird walten gelassen, um alle möglichen Vorfälle auszuschließen.

Hat die schwere Schifffahrtskrise nach ihren Erfahrungen dazu geführt, dass Reedereien weniger in den Brandschutz investieren?
Erdbeer: Das würde ich so nicht sagen, die geforderten Standards werden eingehalten. Die Frage ist, was darüber hinaus gemacht wird.


Gilt das auch für eine entsprechende Ausrüstung? Wie würden sie die Umsetzung der internationalen Vorgaben beschreiben?

Erdbeer: Die Ausrüstung ist eine Sache. Das ist zwar relativ am unteren Level, dadurch dass die Regulierung über die IMO auf globaler Ebene geht und Reedereien ja nicht unbedingt mehr machen als sie müssen. Da gibt es sicher an dem einen oder anderen Punkt Verbesserungsbedarf. Aber grundsätzlich wird sowohl bei der Ausrüstung als auch beim Training Wert auf den Brandschutz gelegt. Man sieht ja auch, so viele Brände gibt es nicht (Anm. der Redaktion: 2017 waren drei von 230 untersuchten Fällen der BSU Brände/Feuer). Wobei man beachten muss, dass jedes Feuer große Auswirkungen haben kann, vor allem wegen dem potenziell großen finanziellen Schaden.
Kaspera: Es ist natürlich oft spektakulär, aber solche Vorfälle machen nur einen Bruchteil der Meldungen aus, die wir bekommen.

Der Rest sind Kollisionen und dergleichen?
Kaspera: Ja, neben Kollisionen gibt es beispielsweise Meldungen wegen Aufgrundlaufen, Maschinenausfall, Ruderschäden.

Man hört, dass die Dunkelziffer weit höher sein soll als die offiziellen Zahlen…
Erdbeer: Das ist tatsächlich schwierig. Diese Diskussion wird auch bei der IMO geführt, das Zahlen aus anderen Quellen abweichen. Ein wichtiger Punkt ist unter anderem, dass die Mitgliedstaaten vermeintlich nicht alle Fälle melden.

Kaspera, BSU
Der neue BSU-Direktor Ulf Kaspera (Fotos: BSU)

In vielen Fällen entsteht ein Feuer an Bord im Laderaum. Auf RoRo-Schiffen gibt es Kurzschlüsse auf Lkw, auf Bulkern gibt es Entflammungen, die neuen großen Containerschiffe stellen für Versicherungen immer größere Risiken dar. Bei welchen Schiffstypen sehen Sie den größten Handlungsbedarf?
Kaspera: Ein Beispiel zu Bulkern: Dort beschäftigen uns Düngemittel als Ladung, wir haben einen Vorschlag über die Bundesregierung an die IMO geleitet. Ein Problem bei der Bearbeitung von bestimmten Problemen ist, das wir immer an einen spezifischen Unfall gebunden sind, also nicht von uns aus aktiv werden können. Nur in solchen Fällen können wir Empfehlungen ableiten. In diesem Fall haben wir gesagt, das Stoffe dieser Art anders klassifiziert werden sollten.

Wie bewerten Sie die Chancen, dass ihre Empfehlungen zu Düngemitteln umgesetzt werden?
Kaspera: Mittlerweile sehr gut. Vor drei Jahren wurde das Thema schon mal angefasst, aber da wollten die entscheidenden Stellen nicht mitgehen. Jetzt hat es in kürzester zeit zwei sehr ähnliche Unfälle gegeben, das waren die »Cheshire« und »Purple Beach«. Mittlerweile ist die Unterstützung in Deutschland sehr groß (nautischer verein). Es gibt auch ein von mehreren Staaten unterstütztes Papier, das an den IMO-Ausschuss geleitet wird.
Erdbeer: Auch ein Verband der chemischen Industrie unterstützt das mittlerweile. Wenn die betroffene Wirtschaft an Bord ist, ist das immer ein wichtiges Pfund.

Gab es weitere Beispiele?
Kaspera: Auf Containerschiffen hatten wir Unfälle mit Holzkohle-Ladung, es ging um die Schiffe »MSC Katrina« und »Ludwigshafen Express« 2015 und 2016. Wir konnten feststellen, dass die entsprechenden Tests über Ladungsverhalten nicht der Realität entsprechen. Es wird an einem kleinen Objekt getestet, soll aber für ein Volumen gelten, dass viel größer ist. Das ist realitätsfern und sollte geändert werden, weil sich das große Volumen anders verhält als der kleine Würfel. Leider ist das bislang nicht  aufgegriffen worden. Da sind wir auch immer ein wenig in der Hand der Politik, in unserem Fall das Bundesverkehrsministerium. Dort wird entschieden, was an die IMO weitergetragen wird.

»Von welchem menschlichen Versagen sprechen wir?«

Wie sieht es bei Großcontainerschiffen aus?
Erdbeer: Die Möglichkeiten, Brandabschnitte an Bord einzurichten, sind nicht ausreichend. Nach der schweren Havarie der »MSC Flaminia« haben wir empfohlen, mit der Brandschutztechnik einen Schritt nach vorne zu machen, beispielsweise mobile Brandschutzwände einzuführen. Möglich ist auch, automatisierte Werfer innerhalb der Staugerüste einzubauen. Dann kann innerhalb der Brandabschnitte Blöcke bilden. Da das derzeit nicht vorgesehen ist, kann ein Feuer von einem Segment zum anderen überspringen. Bei RoRo-Schiffen ist die Struktur der Frachter wichtig. Man fragt sich, welche Möglichkeiten habe ich, wenn auf offenem Deck ein Feuer ausbricht. Derzeit keine. Da war unser Vorschlag, Wasserwerfer einzubauen, die man automatisiert betreiben kann. Das sind allerdings keine ganz neuen Forderungen.

Ladungsdeklaration ist mitentscheidend

Laut der IMO geht ein großer Teil der weltweiten Havarien auf menschliches Versagen zurück. Gilt das auch für Brandhavarien?
Kaspera: Die Frage ist doch: Von wessen Fehler sprechen wir? Es geht nicht immer nur um die Schiffscrew, manchmal ist die Ladung schon falsch deklariert oder es gab falsche Stauanweisungen.
Erdbeer: Das gilt gerade für Containerschiffe. Es gab Fälle, bei denen die Crew gar nicht wusste, das Gefahrgüter nebeneinander gestaut waren, weil die Vorschriften es nicht hergaben, weil Container nicht als gefährlich oder als Decksladung deklariert waren. Auch bei den Holzkohle-Havarien gab es derartige Probleme. Anders sieht es bei RoRo-Schiffen aus. Ein wichtiger Punkt bei der »Norman Atlantic« etwa war, dass das Feuer nicht vernünftig bekämpft wurde, weil das Feuerlöschsystem für den falschen Bereich ausgelöst wurde.

Wenn es um die Stau-Thematik geht, stößt der Brandschutz an Grenzen, oder?
Erdbeer: Wenn auf Containerschiffen das Ladungsgut entsprechend klassifiziert ist, ergibt sich der Rest von allein. Ist die Ladung temperatursensibel, muss sie an an Deck, darf sie nahe der Maschine geladen werden? Das sind wichtige Fragen. Ein Beispiel ist Holzkohle, es gibt die Forderung, das man sie nur noch an Deck transportieren darf, und zwar in erster oder zweiter Lage, damit die Crew die Chance hat, ein mögliches Feuer zu erreichen. Bei RoRo-Schifen ist das etwas kritischer, gerade auf Kurzstrecken. Da gibt es oft keine echte Segregation gibt, es wird »einfach ins Schiff gestellt«. Es gibt zwar eine Ladeliste, so das man Gefahrguttrailer identifzieren kann. Aber die Decksbereiche sind eben zum Teil auch limitiert und die Zeitpläne sehr eng bemessen, so dass die Trailer nicht immer voneinander getrennt werden.

»Dort wo der Sensor meint, muss es nicht unbedingt brennen«

Kann neue Entwicklungen zur Digitalisierung und zum Monitoring helfen, Brände früher zu erkennen und entsprechend zu reagieren?
Erdbeer: Es kommt darauf an, ob die bestehenden Sensoren zur Feuererkennung mit den »neuen« Netzen gekoppelt sind. Das sind aktuell noch sehr einfache Systeme. Wie wird festgestellt, dass es im Laderaum brennt? Da ist eine Abgas-Ansauganlage, die Luft aus dem Laderaum ansaugt und durch einem optischen Sensor führt. Und nur wenn es da Abweichungen gibt, kommt ein Alarm. Das ist wirklich sehr low-level. Außerdem dauert es mitunter lange, wenn die Luft erst durch den Schiffsraum zum Sensor geführt werden muss. Wenn es einen Alarm gibt, schaut ein Crew-Mitglied nach, wo es qualmt oder ob es qualmt und was die Ursache sein könnte. Die Seeleute machen beispielsweise Riechproben und checken den Ort mit der Ladeliste, um zu erkennen, ob es etwa ein chemischer Brand ist oder ob Holz brennt. Entsprechend wird über Löschmittel entschieden. Das was im Laderaum heute stattfindet, ist ziemlich »basic«.
Kaspera: Wenn man das automatisieren will, kommt es darauf an, welche Sensoren es gibt und wieviele davon, inklusive Kameras. Dann müssen alle Informationen zusammenlaufen, und zwar bei jemandem, der wissen muss, was wo im Laderaum steht. Wenn das klappt, kann ich mir vorstellen, dass es hilft, aber ich glaube so weit ist man noch nicht.
Erdbeer: Wir sprachen die Problematik auf RoRo-Schiffen an: In Studien wurde jetzt festgestellt – unter anderem für den Fall der »Norman Atlantic«, dass es nicht unbedingt dort brennen muss, wo der Sensor meint. Oft haben RoRo-Decks seitliche Öffnungen für eine bessere Luftdurchmischung. Das führte aber dazu, dass die heiße Luft bei Wind an einer anderen Stelle ankommt als dort, wo der brennende Lkw steht. Dann wird die Crew an eine falsche Stelle zum Löschen geschickt. Das kann zu falschen Schlüssen führen, auch bezüglich des Löschmittels beziehungsweise der Ladung.

Spielt die Ausbildung der Seeleute eine Rolle? Ist besseres Training nötig?
Erdbeer: Das ist nicht immer leicht einzuschätzen. Bei der »Purple Beach« könnte man sagen: Ja, die Crew hat angefangen zu löschen, aber sie hat sich nicht richtig entschieden. Das Stoffdaten-Merkblatt besagt zu ammoniumnitrathaltigem Düngemittel, das Feuer oder die chemische Reaktion nicht durch einleiten von CO2 gestoppt werden kann. Genau das haben sie aber versucht. Dann hats relativ lange gedauert, bis sie es weiter gemeldet haben, bis dann Einheiten von Land an Bord waren. Eine wichtige Frage ist: Bin ich in er Lage, die Empfehlungen richtig zu lesen? In diesem Fall hat die Crew es unterschätzt, weil das Düngemittel als »nicht gefährlich« klassifiziert war. Daher haben wir die Empfehlung ausgesprochen, die Bezeichnung zu ändern.

Haben Sie den Eindruck, dass die Politik und die Reedereien Ihre Empfehlungen ernst nehmen?
Kaspera: Die Reedereien auf jeden Fall. Dort wird fast das immer umgesetzt, auch weil die natürlich ein Eigeninteresse haben, nicht zuletzt aus Versicherungsgründen. Zum Teil kommen die uns auch zuvor. Wenn es allgemeine Empfehlungen an die Politik sind, nationale oder internationale Regeln oder Verfahren zu ändern, dann dauert das schon mal wesentlich länger. Manchmal ist die Bereitschaft schleppend, wenn überhaupt vorhanden.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Kaspera: Die Umsetzung neuer Regeln kostet Geld und die Branche argumentiert bisweilen, dass es bei anderen Flaggen nicht derartige Standards gibt. Dann muss die Politik abwägen. Wenn es um die IMO geht, braucht man Mitstreiter. Das ist mitunter ein schwieriger Prozess, der auch ins Leere führen kann.

An die IMO direkt können Sie sich mit formalen Empfehlungen nicht wenden?
Kaspera: Nein, das läuft alles über das Bundesverkehrsministerium.

Wie würden Sie die Beziehung zu den Behörden in anderen Ländern beschreiben? Gibt es ein einheitliches Meinungsbild?
Kaspera: Es gibt einen europa- und weltweiten Austausch, aber das ist eher ein Erfahrungsaustausch über Prozedere. Es bringt auch nur wenig, sich als Untersuchungsbehörden zusammenzutun, weil alle Behörden jeweils ein Ministerium über sich haben. Aber wir können keine gemeinsame Sicherheitsempfehlung abgeben, weil diese immer auf einen konkreten Unfall bezogen sein muss, den man selbst untersucht hat.

Demonstration gegen Sicherheitsempfehlung für »Stettin«

Wann ist die BSU zuständig?
Kaspera: Bei Unfällen bei deutschen Gewässern oder von deutsch-geflaggten Schiffen. Der Sitz der Reederei ist unerheblich. Wenn deutsche Seeleute betroffen sind, können wir uns als Drittstatt einklinken.

Wie läuft in solchen Fällen die Zusammenarbeit mit anderen Behörden?
Erdbeer: Das ist sehr unterschiedlich.
Kaspera: Kürzlich war es in einem Fall (Anm. der Redaktion: »Norman Atlantic«, ähnliches geschah im Fall der »Costa Concordia«) sehr chaotisch, aber das lag nicht an der Behörde. Die durfte selbst nicht so, wie sie wollte. In diesem Fall hat die italienische Staatsanwaltschaft blockiert. Sobald politische Interessen eine Rolle spielen, hat auch die eigene Behörde nichts mehr zu sagen.

Man kann sich vorstellen, das bei Ihren Untersuchungen viele Beteiligte ein gewisses Interesse haben, Reeder, Versicherer, Ladungseigner, Charterer, der Flaggen- oder Hafenstaat… Kommt es vor, das Druck ausgeübt wird?
Kaspera: Gerade kürzlich hatten wir einen massiven Versuch der Einflussnahme, es gibg um das Traditionsschiff »Stettin«. Der Betreiberverein war da sehr aktiv gegen unsere Sicherheitsempfehlung, es sogar eine Demonstration hier vorm Haus.

Haben sie qua Amt die Berechtigung ein Schiff festzuhalten und die Seeleute zu befragen?
Erdbeer: Nein, die müssen nicht mit uns sprechen. Ob die mit uns sprechen, hängt auch davon ab, wie schnell die Reederei ist und wie sehr sie daran interessiert ist.
Kaspera: Es gibt ein Aussageverweigerungsrecht, aber ansonsten haben wir im Prinzip ähnliche Rechte wie die Polizei. Wir dürfen zwar nicht selbst an Bord stürmen, aber die Polizei kann das für uns in Amtshilfe machen. Wir können Beschlagnahmungen anordnen oder Beteiligte vorladen. Aber prinzipiell verfolgen wir einen kooperativen Ansatz.
Erdbeer: Es kommt zwar vor, aber es muss keine Polizei dabei sein. Wir wollen keine Verhöre. Da die Betroffenen von uns keine Strafverfolgung befürchten müssen, hoffen wir, das sie bei uns die Wahrheit sagen.

Können Sie Strafverfolgung anstoßen oder kann eine Untersuchung von ihnen zu einer polizeilichen Ermittlung führen?
Kaspera: Im Gesetz steht explizit, dass unsere Ergebnisse in Strafverfahren nicht verwendet werden dürfen. Allerdings wird ein Richter vor einer Entscheidung in unseren Bericht schauen. Wenn Staatsanwaltschaft und Polizei anfragt, müssen wir die Daten rausgeben, aber nur Rohdaten, keine Auswertung. Wir können auf die Akten der Behörden zugreifen, aber nicht umgekehrt.

 


In unserer Februar-Ausgabe können Sie sich weitere Einblicke in den Brandschutz sowie aktuelle Geschehnisse aus diesem Bereich verschaffen. Dazu gehören unter anderem eine kartographische Übersicht über Brandhavarien der vergangenen Jahre, Stimmen zu den jüngsten Vorfällen und eine Einordnung des Interviews mit den BSU-Experten in den Kontext »Brandschutz«.