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Die arktische Schifffahrt gilt als vielversprechend. Doch was bedeutet das für den nautisch-technischen Betrieb an Bord, welche Effekte hat der Polar Code? Die HANSA hat mit Uwe Pahl von der Reederei F. Laeisz gesprochen, ehemals Kapitän des Forschungsschiffs »Polarstern«

Was sind die nautisch-technischen Herausforderungen in arktischen Regionen?

Uwe Pahl: Man muss sich fragen, wie[ds_preview] der Stahl und das Material reagieren, auch hinsichtlich der Kälte- und Schlagfestigkeit. Zudem ist der Informationsgehalt von Seekarten ein Problem. Die Wassertiefen sind andernorts über viele Jahrhunderte ausgelotet worden, das gibt es in vielen arktischen Gebieten nicht, weil die Notwendigkeit bis dato nicht bestand. Dazu kommt, im Norden gibt es Schwierigkeiten mit Navigationsanlagen. Der Magnetkompass stößt schon vor Erreichen der Polregion an seine Grenzen, der Kreiselkompass hat in sehr hohen Breiten Schwierigkeiten. Moderne Anlagen können das einigermaßen eliminieren, die Standardausstattung nicht. Auch die auf Basis der Mercator-Projektion beruhende elektronische Seekarte ist nördlich von 85° nicht mehr einsetzbar.

Was bedeutet das für die Navigation?

Pahl: Man muss die Geschwindigkeit und die Routenwahl anpassen, permanent per Lot die Wassertiefen überprüfen. Für die Standortbestimmung ist das GPS mit hinreichender Genauigkeit verwendbar. Auf dem Schirm der elektronischen Seekarte wird außer den »Way Points« nicht mehr viel angezeigt. Die Kurslinie wird, anders als bei der Mercator-Projektion, nicht mehr als Gerade, sondern gekrümmt dargestellt. Mit all diesen Dingen kann man leben, die Wassertiefen sind ausreichend. Für Forschungs- oder Offshore-Erkundungen reicht das allerdings nicht. Da wird man nachbessern müssen, etwa durch eine Kartierung des Meeresbodens.

Muss man angesichts der Eisbildung vermehrt Ausweichmanöver fahren?

Pahl: Auf jeden Fall. Wie in der Containerfahrt mit ihrem vorgegebenen Zeitplan ist das bei intensiver Eisfahrt so nicht möglich. Auch das Schiff per Selbststeuerung auf Kurs zu halten, geht so nicht, sie müssen mehr manuell arbeiten. Man nutzt jede Rinne und schwächere Stelle. Auf der Karte sieht die zurückgelegte Route natürlich kurios aus, aber es macht Sinn. Fahren auf dem Wege des geringsten Widerstands ist die Prämisse.

Hat das Schiff ein anderes Manövrierverhalten?

Pahl: Wichtig ist, seine Manöver mit Bedacht zu wählen, etwa wenn man im Eis stecken bleibt und rückwärts fahren will. Nichts ist verwundbarer als der Heckbereich mit Schrauben und Rudern. Das Ruder muss in der Mittschiffslinie bleiben, um keine zerstörerischen Kräfte auf Schaft und Blatt zu haben. Auch muss man reagieren, wenn die Schrauben Eis fassen. Das bekommt man durch unangenehme Schwingungen früh genug mit.

Gibt es einen höheren Wartungsbedarf?

Pahl: Die Vorbereitung ist aufwendiger. Herstelleranweisungen für Decksmaschinen müssen beachtet werden, eventuell ist eine Umorientierung bei Schmierstoffen nötig. Es geht auch um ansonsten kaum beachtete Details. Man fährt in längerer Dunkelheit. Das heißt, die Scheinwerfer müssen nicht nur intakt sein. Das Bedienen erfordert auch Erfahrung, etwa beim Umgang mit der Zündeinrichtung. Bei extremen Temperaturen kann es passieren, dass sie beim Zuschalten durchbrennt. Also muss man dafür sorgen, dass die Scheinwerfer schon in gemäßigten Bereichen durchlaufen. Scheinwerfer sind in der Eisfahrt mindestens so viel wert wie ein Radargerät.

Auch die Crew muss vorbereitet sein …

Pahl: Jeder Kapitän sollte im Vorfeld mit Nautikern und Technikern erörtern, was zu erwarten ist. Das fängt bei ganz banalen Dingen an: Wenn sie für Rettungsboote keinen Polardiesel nehmen, können sie eine Panne erleben. Sind – wie bei den meisten Schiffen – die Rettungsboote nicht beheizt, muss man auf den Trinkwasservorrat achten. Muss die Energieversorgung an Bord nach einem Ausfall über den Notdiesel neu aufgebaut werden, benötigt man polartauglichen Kraftstoff. Vieles ist mittlerweile durch den neuen Polar Code der IMO abgedeckt, Schiffe müssen das »Polar Shipping Certificate« haben. Das ist eng verbunden mit dem »Polar Water Operational Manual«, ein umfangreiches Hinweisbuch.

Das wird für jedes einzelne Schiff nötig?

Pahl: Ja, es geht von der Einschätzung der zu erwartenden Gefahren bis hin zu technischen Details. Was ist zu beachten bei Vereisung oder Stabilitätsproblemen? Das wird genau beschrieben, ebenso wie Kleidung und Ausbildung. In hocharktischen Regionen über 80° wird es strikter und umfangreicher.

Was sind die größten Veränderungen durch den Polar Code?

Pahl: Erfahrungen von Ländern wie Norwegen, Russland oder auch Deutschland wurden gebündelt und kategorisiert. Dadurch müssen wird das Rad jetzt nicht neu erfinden. Der Code verlangt im Wesentlichen nichts Unmögliches und Neues, aber die klare Definition bestimmter Aspekte gab es in dieser Form vorher nicht. Das ist nun geordnet und vereinheitlicht worden, darin besteht meiner Meinung nach auch sein größter Wert.

Gibt es hinsichtlich der Stabilität andere Parameter, die bedacht werden müssen?

Pahl: Ja, was die vertikale Stabilität angeht, also das Wiederaufrichtevermögen. Alles, was über der Wasserlinie dem Schiff an Gewicht zufällt, also die Vereisung, kann eine Gefahr sein.

Wie unterscheiden sich Arktis und Antarktis?

Pahl: Das Eis unterscheidet sich deutlich. In der Antarktis hat man weitestgehend einjähriges Meer-Eis, damit kommt man gut klar. In der Arktis gibt es viele Gebiete mit mehrjährigem Eis, das ist ein Problem. Mit jedem Neufrieren der Saison nimmt der Frischwasseranteil zu, dadurch wird das Eis besonders hart. In der nordsibirischen Gegend drücken die großen Ströme Flusseis ins Meer. Das ist sehr hart und man muss anders operieren, damit Schiffe nicht durch zu hohe Anprallgeschwindigkeit beschädigt werden.

Welches Risiko ist höher, Steckenbleiben oder Rumpfschäden?

Pahl: Letzteres ist das Worst-Case-Szenario, was sehr oft auf Fehleinschätzung der Eisverhältnisse beruht. Das Steckenbleiben ist eine operative Erscheinung. Es gibt kaum ein Schiff, das ohne jede Verzögerung durchfährt, selbst Atomeisbrecher fahren auch mal einen Stopp.

Bis zu welcher Eisdicke kann die »Polarstern« fahren?

Pahl: Das ist eine theoretische Frage. Sie werden kaum, weder in der Arktis noch in der Antarktis, den Regelfall haben, dass Sie vor sich eine gleichmäßige, glatte Fläche vorfinden. Meereis ist ständig in Bewegung. Aber nichtsdestotrotz muss man natürlich Normative haben für die Reiseplanung, im kommerziellen Bereich für die Charterparty. So entwickelt man bestimmte Modelle und Werte, wie etwa bei der »Polarstern« 1,5m bei 4kn. Das heißt aber nicht, dass andere Eisformationen nicht gemeistert werden können. Die Frage ist dann, wie viel Aufwand man zu investieren bereit ist. Dann hat der Verbrauch hohe Bedeutung. Ab Auslaufen muss die Schiffsführung beachten, dass jederzeit ausreichend Kraftstoff verfügbar ist.


Interview: Michael Meyer