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Für ferngesteuerten und autonomen Betrieb ist die Fährschifffahrt das perfekte Testgebiet. Versuche in Norwegen und Finnland haben die technische Machbarkeit bewiesen.

Der Fährsektor in Nordeuropa dient weiter als Experimentierfeld, doch wie geht es weiter?

Die Schiffe verkehren auf festen Routen, oft über kurze Strecken und meist zwischen festen Terminals oder Anlegern. Gerade in den[ds_preview] nordeuropäischen Ländern mit ihren vielen vorgelagerten Inseln und Fjorden sind die Fährschiffe absolut notwendig. Die kurzen Strecken und die Aussicht auf Einsparmöglichkeiten legen eine verstärkte Automatisierung nahe. So wird denn insbesondere in Norwegen und Finnland auch entwickelt, was das Zeug hält. Innerhalb weniger Tage »hagelte« es Ende vergangenen Jahres Neuigkeiten von einigen der wichtigsten Player.

So hatte Wärtsilä Ende November eine weitere Runde von Tests seiner automatisierten Dock-to-Dock-Technologie erfolgreich abgeschlossen. Unter den Augen der norwegischen Schifffahrtsbehörde fuhr die Fähre »Folgefonn« der Reederei Norled drei Häfen komplett autonom an. »Dies ist ein großer Fortschritt bei der Validierung automatisierter Schifffahrtslösungen und ein wichtiger Fortschritt innerhalb unseres Smart Marine Programms«, sagte Joonas Makkonen, VP Voyage Solutions, Wärtsilä.

Nachdem der Operator den nächsten Zielliegeplatz ausgewählt hatte, wurde der Vorgang durch einfaches Auswählen der Systemfunktion »Sail« gestartet, wodurch die autonome Steuerung die Kontrolle über das Schiff übernahm. Die Fähre konnte das Dock verlassen, aus dem Hafen herausmanövrieren, zum nächsten Hafen fahren, durch die Hafeneinfahrt manövrieren und am Terminal anlegen – alles ohne menschliches Zutun. Es ist laut Wärtsilä der erste Versuch eines vollautomatischen Dock-to-Dock-Betriebs im »Hands-Off«-Modus für ein Schiff dieser Größe.

Die Navigation wurde durch eine Reihe von Wegpunkten gesteuert, die das Schiff zum nächsten Ziel führten. Die autonome Steuerung, die auf dem bestehenden dynamischen Positionierungssystem von Wärtsilä basiert, steuert die Geschwindigkeit, die Position auf der vordefinierten Route und den Kurs. Primär wird zur Positionsbestimmung GNSS verwendet, während ein CyScan-System der Wärtsilä-Tochter Guidance Marine als sekundärer Positionssensor für den Zugang zum Liegeplatz getestet wurde.

»Natürlich wird noch weiter entwickelt, aber ich bin beeindruckt, wie stabil das System bereits jetzt ist«, sagt Nils Haktor Bua, Projektleiter bei der norwegischen Schifffahrtsbehörde.

Sigbjørn Myrvang, Technical Manager bei Norled, erklärt: »Eine völlig autonome Dock-to-Dock-Lösung wird uns erhebliche wertschöpfende Vorteile in Form von mehr Effizienz, mehr Sicherheit, weniger Kraftstoffverbrauch und damit weniger Abgasemissionen bringen.«

Die 85m lange »Folgefonn« wurde auch für die ersten Tests der Wärtsilä Auto­docking-Lösung verwendet, die Anfang 2018 stattfanden. Das Schiff verfügt über zahlreiche weitere Innovationen von Wärtsilä, darunter einen drahtlosen Landstromanschluss zum Laden der Batterien per Induktion. Innovation Norway, ein Investmentfonds, hat sowohl Wärtsilä als auch Norled Zuschüsse für die Erprobung der Auto-Docking-Technologie gewährt.

Wenige Tage nach Wärtsilä schickte Rolls-Royce mit der »Falco« der staatlichen Reederei Finferries im Dezember ein Schiff völlig autonom durch den Turku-Archipel. Die »Falco« ist eine 53,8m lange Doppelendfähre, die seit 1993 in Betrieb ist. Jetzt wurde sie mit einer Reihe fortschrittlicher Sensoren ausgestattet, die es ermöglichen sollen, ein detailliertes Bild der Umgebung in Echtzeit und mit höchster Genauigkeit zu erstellen, die – so Rolls-Royce – »über die des menschlichen Auges hinausgeht.« Sen­sordaten werden zusammengeführt und an das »Remote Operating Center« von Finferries, etwa 50km entfernt im Stadtzentrum von Turku, weitergeleitet. Hier überwacht ein Kapitän die autonomen Operationen und kann bei Bedarf die Kontrolle über das Schiff übernehmen.

Bisher wurden fast 400 Stunden Seeversuche absolviert. Das Autodocking-System ermöglicht es dem Schiff, Kurs und Geschwindigkeit beim Annähern an den Kai automatisch zu ändern und ohne menschliche Hilfe anzudocken.

Mikael Makinen, Präsident der »Marine«-Sparte von Rolls-Royce, nannte den Tag »einen großen Schritt vorwärts auf dem Weg zu einer autonomen Schifffahrt«. »Er bekräftigt genau das, was wir seit mehreren Jahren sagen, dass eine autonome Schifffahrt stattfinden wird.« Die heutige Demonstration zeige, dass das autonome Schiff nicht nur ein Konzept sei, sondern etwas, das die Schifffahrt, wie wir sie kennen, verändern werde.

Remote als erster Schritt

Zwei Tage nach Rolls-Royce meldete auch der Automatisierungsspezialist ABB einen Durchbruch. So wurde im Hafen von Helsinki erstmals eine Passagierfähre von einem Kontrollzentrum in der finnischen Hauptstadt ferngesteuert – ein »wichtiger Schritt zur Steigerung der Akzeptanz« autonomer Schiffe.

Die Eisklasse-Passagierfähre »Suomenlinna II« wurde durch ein Testgebiet gesteuert, was laut ABB beweist, dass die »menschliche Aufsicht über Schiffe von überall her mit den heutigen Technologien erreichbar ist.« Die 2004 gebaute »Suomenlinna II« wurde mit der Situationserkennungslösung ABB Ability Marine Pilot Vision und dem neuen dynamischen Positionierungssystem ABB Ability Marine Pilot Control, nachgerüstet.

Das Schiff verkehrt normalerweise zwischen Helsinki und der Festung Suomenlinna. Der Pilotversuch fand außerhalb der Betriebszeit des Schiffes statt, abseits der Küste ohne Passagiere an Bord, in einem Bereich ohne andere Schiffe. Die Forschung und Entwicklung soll mit der Fähre und ihrer Crew fortgesetzt werden.

»Autonom bedeutet nicht unbemannt. Da Schiffe immer weiter elektrifiziert, digitalisiert und vernetzt werden als je zuvor, ist ABB in der Lage, Seeleute mit bestehenden Lösungen auszustatten, die ihre Fähigkeiten erweitern. Auf diese Weise erhöhen wir die Gesamtsicherheit des Schiffsbetriebs«, sagt Juha Koskela, Managing Director, ABB Marine & Ports.

Anwendung in Asien?

Die Fährschifffahrt im Norden könnte nur das Testfeld für eine spätere Verbreitung der Technologie sein. Kommerziell wird es in den nächsten Jahren rasant vorangehen, meint das Marktforschungsinstitut »MarketsandMarkets«. Nach einem Bericht des US-amerikanischen Analysehauses zu voll- und teil-autonomer sowie ferngesteuerter Schifffahrt wird der Wert des Marktes für 2018 mit 6,1Mrd.$ angegeben. Bis 2023 soll er – bei einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 7% (bis 2030) – auf 13,8Mrd. $ wachsen. Das würde eine Steigerung um 126% bedeuten.

Als Grund für die Annahme werden Faktoren wie der zunehmende Welthandel auf dem Seeweg, steigende Nachfrage nach Automatisierung für die Sicherheit der Schifffahrt und der wachsende Seetourismus aufgeführt. MarketsandMarkets beruft sich auf eine quantitative Untersuchung im B2B-Bereich.

Der vollautonomen Schifffahrt wird der stärkste Wachstumsschub prognostiziert. Steigende Betriebsausgaben und die Vermeidung menschlicher Fehler an Bord würden die Industrie dazu bewegen, diese Technologie voranzutreiben.

In Bezug auf die relevanten Akteure orientiert man sich vor allem an Unternehmen, die auch jetzt schon mit autonomer Technik aktiv sind, unter anderem Wärtsilä, Kongsberg, Northrop Grumman, Rolls-Royce, General Electric, ABB und Honeywell International.Sind dies vor allem Firmen aus Europa und Nordamerika, sieht man hingegen im asiatisch-pazifischen Raum das höchste Potenzial für den Einsatz autonomer Schiffe. »Die Region hat im Laufe der Jahre eine rasante wirtschaftliche Entwicklung erlebt, die zu einem Anstieg des Seehandels führte. Dieser Anstieg des Seehandels hat in der Folge zu einer steigenden Nachfrage nach Schiffen für den weltweiten Transport von Industriegütern geführt. So hat die steigende Anzahl von Schiffen die Nachfrage nach autonomen Schiffen in der Region Asien-Pazifik erhöht«, heißt es.