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Start-ups mit der maritimen Industrie zusammenzubringen kann gleichzeitig großes Potenzial haben und mühsam sein. Ein »neues« Format soll Abhilfe schaffen. Es stößt durchaus auf Interesse. Von Michael Meyer

In einer Branche, in der es mehr denn je um Kostenersparnis und Effizienz geht, in der der Wettbewerb hart ist[ds_preview] und zusätzlich neue regulatorische Anforderungen vor der Tür stehen, gilt jedes Prozent Verbesserung als Erfolg. Die üblichen Schlagworte sind Performance Monitoring, Daten-Analyse, Routen- und Verbrauchsoptimierung, vorausschauende Wartung (»predictive Maintenance«). In den Schifffahrts- und Zulieferunternehmen wird darauf großer Wert gelegt. Gleichzeitig fehlt es bisweilen am nötigen Knowhow oder der Bereitschaft zu notwendigen Kurswechseln, sei es strategisch, technisch oder operationell.

Da ist es nicht verwunderlich, dass immer mehr vermeintlich kleine oder neue Anbieter auf der Bildfläche auftauchen, die mit zum Teil sehr spezifischen Instrumenten eine signifikante Effizienzsteigerung versprechen. Oft sind es absolute Fachexperten, zum Teil aus der maritimen Industrie stammend.

Dennoch, so scheint es, tut sich die Branche insgesamt noch schwer, diese Lösungen zu implementieren oder überhaupt erst mit den entsprechenden Start-ups zusammenzukommen. Um kein falsches Bild zu malen: Es gibt »positive« Beispiele. Die Linienreedereien CMA CGM, Maersk und Hapag-Lloyd um nur drei zu nennen, gelten etwa beim Online-Frachtenmarkt Freightos als digitale Vorreiter, CMA CGM hat ein eigenes Investment-Vehikel gestartet. Zuletzt hatte außerdem der Makler Optima Shipping Services eine Initiative gestartet, maritime Start-ups nach Athen zu locken.

Auf breiter Front ist die Kooperation mit innovativen Technologie-Anbietern allerdings noch nicht auszumachen. Dass soll sich ändern, und zwar schneller als bislang. Zumindest haben sich das die Macher von Rainmaking auf die Fahne geschrieben.

Rainmaking ist ein international aufgestellter Anbieter von Formaten und Dienstleistungen, um diese Hürde zu nehmen. Er ist seit 12 Jahren aktiv und mit 250 Mitarbeitern in acht Niederlassungen spezialisiert auf die Segmente Finanzen (»FinTech«), Versicherungen (»InsureTech«) und Transport. Für letzteres wurde jüngst in Hamburg das Kooperationsprogramm »Trade & Transport Impact« (T&TI) gegründet. Vor wenigen Tagen fanden in der Hansestadt die ersten »Selection Days« statt. Die HANSA war dabei. Macher, Partner und Teilnehmer werteten das Format als Erfolg.

Partner waren in diesem Fall die etablierten Konzerne Inmarsat, Cargotec und Wärtsilä. Ihnen stellten sich an drei Tagen 14 Start-ups vor, um eine Kooperation einzugehen. Es gab sehr kurze Präsentationen, einzelne Gesprächsrunden hinter verschlossenen Türen und schließlich die Auswahl der »best matches«.

Zentrales Element des Formats ist, dass es sich nicht um Start-up-»Pitches« der herkömmlichen Art handelt. Es geht nicht um grobe Ideen, Inspirationen und erste Schritte. Es geht um konkretes Geschäft, mit mehr oder weniger marktreifen Technologien von mehr oder weniger etablierten Jungunternehmen. Sie generieren bereits Umsatz, brauchen aber noch einen besseren Marktzugang. Dabei sollen die drei Partner helfen, indem sie gemeinsam mit den potenziellen Partnern deren Produkte bei ihren Kunden an den Mann oder die Frau bringen. Sie bringen ihren Namen, ihre Beziehungen und Kontakte ein, die Start-ups ihre Produkte. So ist der Plan.

Die maritime Industrie ist in den Augen von Nicklas Viby Fursund, Partner bei Rainmaking, durchaus nicht in Gänze so konservativ – im Sinne von modernisierungsverweigernd – wie sie bei manchen den Ruf hat. »Verglichen mit FinTech hinkt sie etwas hinterher, ja, aber im Vergleich mit anderen Branchen ist sie zum Teil sogar ein Stück voraus«, sagt Fursund, selbst aus der Schifffahrt stammend. Was in anderen Branchen fünf Jahre gedauert habe, sei in der maritimen Industrie in zwei geschafft worden. Sie profitiere von den Lerneffekten. So wurde aus einem Nachteil – der spätere Einstieg – ein Vorteil. »Das bedeutet aber auch, dass man die Technologie jetzt auf das Schiff bekommen muss, weil die Entwicklung jetzt sehr schnell gehen kann und man ansonsten abgehängt zu werden droht«, macht er den Bedarf an der Implementierung neuer Technologien deutlich.

Innovationskraft und -willen in Deutschland will der Experte nicht bewerten, sagt aber, dass der Standort sicherstellen muss, sich ebenso schnell zu bewegen wie andere Regionen. Als ein Beispiel für ein in diesem Sinne sehr progressiven Ansatz nennt er den südostasiatischen Stadtstaat Singapur. Dorthin gingen viele Investments, die Regierung unterstütze tatkräftig.

Entscheidend ist in den Augen der T&TI-Macher nicht so sehr das »ob«, sondern das »wie« man sich den Herausforderungen stellt. »Was wir in diesem Programm machen, ist die Bewertung der Innovationsreife. Das schlimmste, was du tun kannst, ist nicht zu verstehen, wo du stehst und was du tun kannst und dann die falsche Wahl zu treffen«, erläutert Fursund. T&TI bringe die richtigen Partner zusammen.

Seine Beobachtung ist: Es gibt einen Start-up-Hype, viele suchen einen Beschleuniger. Auch Rainmaking bietet das an, hat zum Teil sogar in Start-ups investiert. »Es kommt aber auf die Umstände an. Viele brauchen gar keinen Beschleuniger.« Die Unternehmen müssen sich seiner Ansicht trauen, zu experimentieren, auch mit dem Risiko eines Fehlschusses. »Ich bin mir aber darüber im Klaren, dass die Schifffahrt Instrumente braucht, die funktionieren. Am Ende geht es darum, welchen konkreten Nutzen man bekommt. Mit unserem Format verringern wir das Risiko.«

Den sogenannten »Accelerator« oder »Start-up-Bootcamps« hält er in diesem Sinne für zum Teil überholt. »Sie sind gut für Start-Ups im Frühstadium, wenn es um erste Ideen geht. Man findet sich, arbeitet drei Monate zusammen. Das ist allerdings zeit- und kostenintensiv für etablierte Unternehmen, und riskant, weil man »nur« eine Idee bekommt. Auch wenn es erfrischend und inspirierend ist, es fehlt aber das fertige Produkt. Dafür haben wir den »Accelerator« weiterentwickelt, starker fokussiert. Das ist unser T&TI.«

Ein wichtiger Faktor ist dabei die Vor-auswahl. Bevor die Partner, in diesem Fall Inmarsat, Cargotec und Wärtsilä, mit den Start-ups zusammenkommen, filtert der T&TI aus, in diesem Fall 14 Akteure aus aller Welt – auch aus dem Silicon Valley – mit marktreifen Produkten aus über 620 Bewerbern. Die Faustformel in der Start-up-Branche lautet, 9 von 10 Projekten scheitern, eines kann sich etablieren, das sind 10%. Diese 10% haben eine Chance, und die bekommen sie unter anderem beim T&TI. »Unsere Wahl ist das eine von zehn Projekten«, bestätigt Fursund, »sie haben ein gutes Team mit einem Produkt, sie machen Umsatz.«

Die Auswahl der Partner dauert dann drei Tage, nicht drei Monate. Danach kehrt jeder in sein Unternehmen zurück und erledigt die reguläre Arbeit, bewertet das Vorgeschlagene und trifft sich nach sechs Wochen wieder, um letzte Details zu klären und gegebenenfalls einen Kooperationsvertrag zu unterzeichnen.

Was sagen die Partner?

Francois Depienne, Digital Incubation Lead beim Satellitenkommunikationsdienstleister Inmarsat, sieht seine Rolle als die eines Schlüsselelements, die eines »Ermöglichers«. Die Start-ups suchten nach einer Vergrößerung ihres existierenden Geschäfts, das könne man mit dem eigenen Netzwerk als gestandener Akteur bieten. »Darum sind wir hier. Wir sagen: lasst uns sehen, wie man eure Technologie bestmöglich im Markt platziert, wie man für weitere potenzielle Kunden Mehrwert generieren könnte, im Idealfall mithilfe unserer Breitband-Technologie. Unsere globale Abdeckung können wir beisteuern, um die Daten-analyse und –verarbeitung zu erleichtern«, so Depienne.

Seiner Meinung nach wird sich die Schifffahrt in den kommenden Jahren schneller bewegen als bislang. IT-Experten würden mehr in strategische Entscheidungsprozesse einbezogen, »wir kennen das aus anderen Industrien«, meint er, schließlich gehe es um die harte Währung der Branche, die Kosten.

Inmarsat selbst will ebenfalls von dem Format profitieren, und tut das auch, betont Depienne: »Einige der Leute kommen aus der Industrie und haben Probleme im Innern der Industrie gesehen. Wir können von ihrem Knowhow zur Problemerkennung und -lösung profitieren.« Schon bei der Gründung des T&TI hatte der Konzern verlauten lassen, dass »Unternehmen der Lieferkette das Potenzial der Digitalisierung deutlich sehen und anerkennen, dass wir bislang nur an der Oberfläche gekratzt haben. Um den vollen Nutzen erschließen zu können, sind neue Perspektiven nötig. Start-ups sind gut darin, Chancen zu erkennen, die etablierte Akteure verpassen.« Daher sei für die Zukunft der Branche wichtig, eine helfende Hand bei der Förderung von Innovationen anzubieten.

Auch beim finnischen Decksmaschinen-, Brückeninstrumente- und Umschlagtechnikkonzern Cargotec hat man erkannt, dass Zusammenarbeit mit Start-ups hilfreich sein kann. Tero Hottinen, Director Emerging Digital Business, sagt: »Es geht darum, die Zukunft gemeinsam zu gestalten, voneinander zu lernen, wie man auch kurzfristige Effekte erzielen kann, dafür ist dieses Programm ein sehr gutes Vehikel. Lasse Eriksson von der Tochter Kalmar betont die Vorauswahl: »Die Zahl der Akteure ist beeindruckend, das gibt uns eine neue Perspektive darauf, was alles möglich ist – ein indirekter, aber wichtiger Nutzen.« Man wäre allein gar nicht in der Lage gewesen, diese Anbieter alle ausfindig zu machen, ergänzt Hottinen.

Man sei nicht hier, um neue Visionen zu erzeugen, sondern um zu sehen, wie praktikabel neue Technologien sind, ergänzt Dennis Mol vom Schwesterunternehmen MacGregor: »Was können wir bereits umsetzen und unseren Kunden anbieten? Dafür ist die Vorauswahl sehr wertvoll.« Hottinen ist überzeugt, eine Win-Win-Situation zu erkennen: »Was den Start-ups manchmal fehlt, ist der Marktzugang und der Name, das können wir bieten.« Die Branche öffne sich segmentübergreifend nach Jahren der Krise immer mehr. Eriksson ergänzt: »Zum Teil machen die schon Geschäfte auch mit unseren Kunden, wir können eine Steigerung ermöglichen.«

Die »right matches«

Gefunden haben sich schließlich einige »Paare«, nachdem die Konzerne sich in Präsentationen und Einzelgesprächen überzeugen ließen, den nächsten Schritt zu gehen.

• Aus der Cargotec-Gruppe:

– Arundo Analytics (Konnektivität in »abgelegenen« Umgebungen), Cogniac (Wartungs-Planung), Predictronics (Prognose-Tool) für Kalmar

– Loginno (Smart Container) für Navis

– Arundo Analytics, Intelligent Cargo Systems (Umschlag-Prognose), Geollect (geo-strategische Risikoanalyse), NauticAI (Monitoring mit künstlicher Intelligenz) für MacGregor

• Bei Inmarsat waren es: ScanReach (Konnektivität in »Stahl-Umgebung«), Arviem (Cargo-Tracking, Risikoanalyse und Zwischenfinanzierung), Arundo Analytics, Geollect, Geospock (Big-Data-Analyse-Plattform in der Cloud)

• Wärtsilä entschied sich für ScanReach, Cogniac, Geollect, Sentetic (Condition Monitoring und Machine Learning), Geospock

Am Ende wird es darum gehen, dass die Schifffahrtsunternehmen auf den Zug aufspringen und die neuen Technologien in den Betrieb integriert. Die T&TI-Partner sind davon überzeugt, dass es großes Interesse gibt, dabei komme es gar nicht so sehr auf bestimmte Regionen, sondern vielmehr auf die Menschen an, die Entscheidungen treffen. Der kleine Umweg über die Konzerne dürfte für die Start-ups jedenfalls hilfreich sein.


Michael Meyer