Print Friendly, PDF & Email

Die jüngsten Piratenüberfälle – Stichwort »Blue Marlin« – haben deutlich gemacht:

Die Gefahr ist nicht gebannt und für Reeder sehr real. Das macht sich auch auf dem Versicherungsmarkt bemerkbar. Von Michael Meyer

Nach Angaben des International Maritime Bureau (IMB) gab es im ersten Quartal 38 Fälle von Seepiraterie, was einen Rückgang gegenüber[ds_preview] dem Vorjahr bedeutet. 2018 waren es 66. Auf die Westküste Afrikas entfielen mit 22 Attacken mehr als die Hälfte aller gemeldeten Vorfälle, davon wiederum 14 auf nigerianische Gewässer. 21 Seeleute wurden entführt – alle in dieser Region.

Der offizielle Rückgang wird unter Experten allerdings kritisch gesehen, die Dunkelziffer gilt als wesentlich höher.

Auffallend waren Überfälle vor Benin, betroffen waren unter anderem der Tanker »Barrett« und die »Marine Express« an gleicher Stelle vor Cotonou. Zu Jahresbeginn traf es das Containerschiff »MSC Mandy«, ebenfalls vor Benin, die entführten sechs Leute kamen erst einen Monat später frei.

Zuletzt sorgte die Kaperung des Heavy­lift-Schiffs »Blue Marlin« von Boskalis für Aufsehen, 80sm vor Äquatorial Guinea, was zeigt, wie gefährlich die gesamte Region ist. Als eine Gruppe Piraten das Schiff beschoss und enterte, brachte sich die Crew in der Zitadelle in Sicherheit. Marine-Einheiten aus Spanien und Äquatorial Guinea befreiten sie, die Piraten – wohl aus Nigeria – waren da schon wieder von Bord gegangen.

Hotspot bleibt aber weiter Nigeria. Auch die Vorfälle vor Benin, Kamerun oder Äquatorial Guinea werden vorwiegend nigerianischen Kriminellen zugeschrieben. Problemlos ließe sich eine ganze Liste von Angriffen erstellen.

Auch vor Somalia gibt es nach wie vor Überfälle, zuletzt etwa auf ein südkoreanisches Fischereischiff.

Hohe Kosten

Die Angriffe verursachen dabei stets hohe Kosten. Entsprechend spielt die Versicherung eine wichtige Rolle. In ihrem letzten veröffentlichten Jahresbericht spricht die Organisation »Oceans Beyond Piracy« für das Jahr 2017 von Prämien für die »War Risk Area« in Höhe von 50,6Mio. $ für Ostafrika und 39,2Mio. $ für Westafrika.

Immer mehr Versicherer ziehen sich nach Einschätzung von Beobachtern aus diesem Risiko zurück, weil eben nach wie vor große Schadensfälle auftreten. Zudem erwarten viele Experten eine weitere Zunahme der Überfallzahlen.

Einer, der sich sehr gut mit der Materie auskennt, ist Peter Bensmann, geschäftsführender Gesellschafter des in Münster ansässigen »Assekuradeurs für Spezialrisiken« Hansekuranz. Bensmann verzeichnet in den letzten Monaten ein starkes Wachstum an Anfragen für Single-Transit-Deckungen für Nigeria.

Seiner Ansicht nach werden die Versicherungsprämien steigen, auch weil hohe Limits ausgegeben werden. Aktuell fallen im Single-Transit-Geschäft für Nigeria Prämien zwischen 2.000 und 2.500$ an.

Die Lage vor Ort ist komplex. Reeder und alle Beteiligten haben mit der lokalen Behördenstruktur zu kämpfen. Immer wieder gibt es Spekulationen über eine Verwicklung einzelner Beamter oder Sicherheitsfachleute in die Piraterie. Einige versuchen daher, die Behörden im Fall einer Entführung so weit wie möglich herauszuhalten.

Problem »Korruption«

Bei Hansekuranz überlässt man die Entscheidung, die Behörden in Nigeria einzuschalten, dem Krisenmanager vor Ort. »Nur er kann entscheiden, ob und wer eingeschaltet wird. Korruption ist in Nigeria stark verbreitet«, so Bensmann.

Angesichts des weiter großen Risikos spielen Sicherheitsmaßnahmen nach wie vor eine Rolle, auch für die Versicherung. Neben den durch internationale Sicherheitsbehörden herausgegebenen Handlungsempfehlungen gehört ein Schutzraum dazu. Dorthin sollen sich die Seeleute flüchten, wenn ihr Schiff geentert wird, egal ob im Golf von Guinea, wo es um die Verschleppung an Land geht, oder vor Ostafrika, wo in der Regel ganze Schiffe mitsamt Crew entführt werden.

»Wenn ein Reeder vor Somalia mit Armed Guards und 23kn fährt, denkt er möglicherweise schon mal darüber nach, ob er noch eine Deckung kauft. Die Prämien sind geringer, sodass der Reeder Kosten und Nutzen abschätzt. Wir verzeichnen nicht unbedingt einen Rückgang für Somalia. Auf die Prämie bezogen schon, aber nicht in der Anzahl. Für Nigeria sehen wir eine deutliche Steigerung für beide Aspekte«, sagt der Hansekuranz-Chef.

In Nigeria sei eine Versicherung ohne Zitadelle mit Kommunikationsmöglichkeiten nicht möglich. In Somalia war das anfangs ähnlich, dort wurde die Zitadelle später häufig durch »Armed Guards« ersetzt. »Die Geschwindigkeit ist ebenfalls prämienrelevant, aber das muss man sich im Einzelfall anschauen. Wenn das Schiff vor Nigeria auf Reede liegt, fährt es nicht«, sagt der Münsteraner Experte.

Charakteristisch für die Piraterie in diesen Tagen ist die immer komplexere Kostenlage. Bei der nigerianischen Variante hat sich der Kostenblock verändert, weil etwa für die Unterkunft von Unterhändlern aufgekommen werden muss und die Koordination schwieriger und damit teurer ist, wenn man den Aufenthaltsort der Geiseln gar nicht kennt – bei der somalischen Variante ist es als Schiff weithin sichtbar. Zudem entsteht ein anderes Problem: Durch die Verschleppung an Land handelt es sich für die Behörden offiziell um eine illegale Einreise, denn die Seeleute haben bei der Entführung ihre Pässe nicht zur Hand – ganz zu schweigen von einer Einreisegenehmigung. Die »neue« Kostenlage liegt nicht zuletzt in dem höheren Organisationsgrad der Piraten begründet. Es haben sich kriminelle Vereinigungen gebildet, die entsprechend bezahlt werden wollen. Die Kosten fallen unter die Versicherungssumme.

Unter Umständen fallen nicht zuletzt Ausgaben an, um die behördlichen Prozesse zu »beschleunigen«, sprich die Beamten unter der Hand zu bezahlen. Besagten Ein- und Ausreisegenehmigungen müssen in der Regel ebenfalls bezahlt werden. So kann ein solcher Schadensfall schnell bis zu 2Mio. $ umfassen.

Das Lösegeld allein ist gar nicht mehr der Hauptfaktor, es macht nach Einschätzung von Bensmann vielleicht noch ein Drittel der Gesamtkosten aus. Der Hansekuranz-Chef sagt: »Der Rest sind Organisationskosten und Gelder, die dazu führen, die Krise zu einem guten Ende zu führen. Das macht einen erheblichen Teil der Gesamtkosten aus. Das ist auch ein Grund dafür, dass große Unternehmen sich für eine Versicherung entscheiden, obwohl sie das Geld für Lösegelder hätten. Man benötigt einen Spezialversicherer, der sich auskennt, denn sie kriegen vom Täter keine Quittung.«
Michael Meyer