EU sucht die goldene »Müll-Mitte«

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    Neue globale Regeln wollen umgesetzt, umweltpolitische Ziele vorangetrieben werden. Die EU nimmt sich der Müllabgabe von Schiffen an. Im Fokus stehen dabei nicht nur die Verpflichtungen der Häfen. Von Michael Meyer

    Der auf und von Schiffen produzierte Abfall erfährt zwar durch Umweltschutzgruppen immer wieder neue Aufmerksamkeit. Die Schifffahrt selbst und die[ds_preview] zuständigen Behörden befassen sich damit allerdings schon seit Jahren. Schon das über 40 Jahre alte Marpol-Übereinkommen der IMO hatte sich des Themas angenommen. Aktuell ist der Schiffsmüll wieder in den Fokus geraten, da die EU die bestehende Regelung anpassen will. Die Veröffentlichung steht kurz bevor, danach haben die Mitgliedstaaten 24 Monate Zeit, das Regelwerk umzusetzen.

    Dabei geht es nach Ansicht der Kommission im Kern darum, jüngere Marpol-Anpassungen umzusetzen und dem vermeintlichen Papiertiger schärfere Zähne zu geben. Den Anfang hatte eine Evaluation der Regelung aus dem Jahr 2000 gemacht. Sie hatte ein relativ positives Bild gezeichnet, in den meisten Staaten gebe es zumeist adäquate Müllaufnahmestationen. Als Indiz dafür gelten deutlich gestiegene Volumina abgelieferten Abfalls. Die Europäische Hafenvereinigung ESPO bestätigt diese Annahme.

    Ein Ziel der neuen Richtlinie ist, sicherzustellen, dass Schiffe auch wirklich alles an Müll abgeben, den Hafenstaaten soll die Umsetzung erleichtert werden.

    Dazu gehört auch ein effizienteres digitales Reporting- und Monitoring-System, mit einem Fokus auf die illegale Mülleinleitung auf See. An dieser Stelle gebe es Nachholbedarf, heißt es aus der Kommission, auch weil man mit der Anzahl der Inspektionen nicht vollends zufrieden war. Zudem hatten sich einige Länder stärker auf die Marpol-Umsetzung als auf die EU-Direktive konzentriert, nicht zuletzt, weil es rechtliche Unstimmigkeiten gab, etwa was Ausnahmen vom Verbot der Müllverklappung auf See angeht. Diese Ungereimtheiten sollen ausgeräumt werden, um die Effektivität der EU-Direktive nicht zu unterminieren.

    Auch an Land ist noch etwas zu tun, meinen die EU-Beamten. Dabei geht es um den Betrieb von Auffangstationen beispielsweise bezüglich Recycling und Mülltrennung gemäß anderer EU-Vorschriften.

    Optimierungsbedarf

    Wie also soll die Situation verbessert werden? Einerseits durch eine bessere Ausstattung der Auffangstationen in den Häfen. »Wir wollen verhindern, dass Schiffsführer sich damit rechtfertigen können, dass keine Möglichkeit zur Müllabgabe bestand«, heißt es aus Brüssel. Andererseits soll eben diesen Schiffen eine Verklappung auf See unattraktiver gemacht werden.

    Dazu gehört eine hundertprozentige indirekte Gebühr. Sie muss von jedem Schiff im Hafen bezahlt werden, unabhängig von der Menge des abgelieferten Abfalls. Es fallen keine Extrakosten an. Auf diese Weise hätte ein Reeder keinen Nutzen davon, keinen Müll abzugeben, hoffen die Regulierer.

    Damit wird den Häfen zwar einerseits die Möglichkeit genommen, Gebühren je nach Volumen zu erheben. Andererseits haben sie weiterhin die Hoheit über die Höhe der indirekten Gebühr, die zum Beispiel je nach Schiffsgröße oder -typ erhoben werden kann.

    Bei der ESPO war dieser Teil der Direktive schon vor einem Jahr auf starke Kritik gestoßen, man sieht darin eine »schwerwiegende und inakzeptable Abweichung vom Verursacherprinzip«. Die Organisation forderte eine Obergrenze und die Option, zusätzliche Gebühren zu erheben, wenn unverhältnismäßig viel Abfall anfällt. Zudem sollten gefährliche Güter, für deren Entsorgung in der Regel höhere Kosten anfallen, nicht von der Gebühr abgedeckt sein. Kritiker befürworten ein Mischsystem, um die Kostendeckung und damit Wirtschaftlichkeit eines Hafens zu gewährleisten. Gerade bei Kreuzfahrtschiffen seien die Abfallmengen sehr groß und kaum kalkulierbar.

    Eine EU-Evaluation hatte ergeben, dass es an einigen Standorten noch immer eine direkte Gebühr je nach Ablieferung gab oder dass die indirekte Gebühr nicht die »100%« erreicht. Zum Teil gibt es Volumenbeschränkungen, die wiederum einen Anreiz bilden, Abfall auf See zu lassen. »Das wollen wir ausschließen«, so die Kommission.

    Die Überarbeitung der derzeitigen Richtlinie soll auch die administrativen Prozesse im Hafen verbessern, wodurch nicht zuletzt die Richtlinie mit dem EU-Abfallrecht in Einklang gebracht werden soll, beispielsweise indem festgelegt wird, dass Pläne für die Annahme und den Transport vorgehalten werden müssen. Woran man noch arbeitet, sind Details für die Option, Rabatte zu geben, beispielsweise für moderne Schiffe, die belegen können, dass sie weniger Müll produzieren (»Green Ship Concept«).

    Künftig soll der Fokus aber nicht allein auf den Häfen, sondern auch auf den Schiffen liegen. Auf einer digitalen Plattform sollen sie ihre Abfallmengen bei Ankunft und Abfahrt hinterlegen. So sollen die Behörden einen besseren Überblick behalten und effektiver Inspektionen durchführen können. Auch das ist nicht gänzlich neu, es gibt das »SafeSea­Net«, es soll aber ausgebaut werden, auch mit digitalen Features. Nicht zuletzt zum Nutzen des Reeders. Kann er ausreichend Lagerkapazitäten oder umfangreiche Müllabgaben belegen, sinkt das »Risiko« einer zeitraubenden Inspektion. Neu ist zudem eine Bescheinigung der Auffangstationen für die Schiffe, die diese vorlegen müssen.

    Für die Behörden soll die Anpassung den Vorteil haben, Risiken besser einschätzen, Inspektionen besser planen und Arreste besser koordinieren zu können – Ressourcenschonung im Hafen sozusagen. In Brüssel hofft man, dass Reedern klar wird, dass eine Verklappung auf See hohe Kosten verursachen kann, und dass die Wahrscheinlichkeit einer Inspektion steigt, wenn das Risikoprofil nicht positiv ist und die Behörden bessere Mittel zur effektiven Kontrolle haben.

    Mehr als Marpol und mehr zu tun

    Prinzipiell geht es also um eine Umsetzung der Marpol-Vorgaben. Allerdings geht die EU in einigen Punkten darüber hinaus. Beziehungsweise gibt es einige Verpflichtungen, die unter dem Marpol-Regime weniger strikt sind, etwa bezogen auf ein indirektes Kostensystem oder Betriebsregeln für die Auffangstationen. Ein Nebeneffekt ist eine Harmonisierung auf EU-Ebene. Mit dem Nachteil für die EU-Staaten, dass die Kommission bei Nichtumsetzung die bekannten Sanktionsmechanismen zur Hand hat, bis zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahren nach Ablauf der Umsetzungsfrist im Jahr 2021.

    Ungeachtet der politischen Wartezeit nach der Europawahl hat die Kommission noch einiges vor. Es sollen für die »Abfall-Direktive« noch einige Detailbestimmungen ausgearbeitet werden, etwa in Bezug auf Sanktionen und Kontrollmechanismen, die Inspektionskoordination und nicht zuletzt Kriterien für Ausnahmen oder Rabatte nach dem »Green Ship Concept«. Neu wird zudem die Einbeziehung beziehungsweise die Kontrolle von »Beifang« in Fischereinetzen sein.
    Michael Meyer