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Eine echte »EU-Flagge« für den internationalen Wettbewerb? Diese Forderung gibt es. Vielleicht eine gute Idee, wenn auch rechtlich unmöglich. Die Brüsseler Kommission hat aber Pläne, den Rahmen für europäische Register zu stärken. Von Michael Meyer

Bei der Frage nach der Wettbewerbsfähigkeit eines maritimen Standorts geht es vor allem um Flaggenkosten, aber auch um bürokratische Hürden[ds_preview] beziehungsweise deren möglichst deren Beseitigung. Die Debatte um steuerliche Vorzüge ausländischer Register ist alt, gewinnt aber gerade in schwierigen Zeiten an Dynamik.

Immer wieder sind Stimmen zu vernehmen, die eine einheitliche EU-Flagge fordern, zuletzt etwa von Frank Wessels, dem Vorsitzenden des Deutschen Nautischen Vereins. Nicht einmal im europäischen Kontext gebe es gleiche Wettbewerbsbedingungen: »Wie kann es sein, dass in einem geeinten Europa von Malta oder Zypern aus kostengünstiger Schifffahrt betrieben werden kann als von Hamburg oder der Ems?«

Realistisch ist das allerdings nicht. Zum einen dürften einige Staaten nicht bereit sein, ihre Hoheitsgewalt abzugeben. Zum anderen bewertet die EU-Kommission ein solches Vorhaben als rechtlich kaum durchsetzbar.

Die Flagge gilt in Brüssel als besonderes Thema, man ist vorsichtig. Denn es geht um die Jurisdiktion an Bord. Diskussionen über die nationale Souveränität werden heutzutage nicht gerne geführt. Eine EU-Flagge wird bisweilen zwar als »logische Idee« bewertet, gleichzeitig aber nicht explizit verfolgt.

Heute – vielleicht mehr denn je – ist es äußerst unwahrscheinlich, dass die EU ein föderales Bundesstaatsgebilde wird. Doch die Flaggenführung unter dem UN-Seerechtsabkommen ist dessen Mitgliedstaaten vorbehalten. Bevor eine EU-Flagge möglich wird, »müssten wir also entweder eine echte Föderation werden oder UNCLOS ändern«, wie es aus Kommissionskreisen heißt. Zudem wäre zuvor eine Harmonisierung des Steuerrechts nötig – Stichwort Tonnagesteuer –, auch das ist nicht sonderlich wahrscheinlich.

Der letzte Versuch, einen gemeinsamen Weg zu gehen, um den aufstrebenden »offenen Registern« etwas entgegenzusetzen, mündete Anfang der 1990er-Jahre in den bis heute gültigen Beihilfe-Richtlinien. Letzten Endes geht es seither um die Möglichkeiten nationaler Steuererleichterungen. Geld aus EU-Kassen fließt nicht.

Bei der Kommission ist man mit dem Effekt der Richtlinie durchaus nicht unzufrieden. Verwiesen wird auf die 20% der Weltflotte, die unter Flaggen von EU-Ländern fahren, und zwar seit 20 Jahren »relativ stabil«. Über den Anteil und seine Entwicklung lässt sich sicher diskutieren, wichtiger ist an dieser Stelle aber der Brüsseler Blick nach vorn. Denn dort fragt man sich angesichts der insgesamt 40% der Weltflotte, die von EU-Akteuren kontrolliert werden, wie die restlichen 20% zurückzuholen sind.

Die Rückflaggung sei schwierig, sieht man in der Kommission ein, aber der Weg könne nicht nur über Tonnagesteuer und Ausbildungsförderung führen, »es geht um Dienstleistungen«. Da gebe es in einigen EU-Ländern Nachholbedarf.

Belohnung vs. Bestrafung

Ein Faktor sind Kosten. In einigen Ländern wird zu viel gespart, zumindest an der falschen Stelle, meinen Brüsseler Beobachter. Das habe dazu geführt, dass vielerorts Expertise und Erfahrung fehlten, um ein Register angemessen führen zu können. Selbst wenn man eine Klassifikationsgesellschaft als »Recognized Organisation« im Boot habe, die gewisse Aufgaben übernehmen dürfe, könne ein Flaggenstaat niemals seine Verantwortlichkeit delegieren. Mindestens zur angemessenen Koordination und Kontrolle der »ROs« sei einiges Personal nötig. Nicht nur die »Jungen und Willigen«, auch die »Älteren und Erfahrenen« brauche man.

Untätig will die EU keineswegs sein, man sucht nach Wegen, die nationalen Behörden zu unterstützen. Das Schlagwort, unter dem sich der größte Teil der Ideen zusammenfassen lässt, ist wenig überraschend: Digitalisierung.

Ein Rolle spielen elektronische Zertifikate und eine Plattform, auf die Schiffe, Reedereien und Behörden zugreifen. Ist dort alles hinterlegt, kann ein gewisser Teil der zeitintensiven Kommunikation bei Anläufen entfallen. Sind Dokumente einsehbar, können Inspektionen schneller abgehandelt werden, so die Idee. Für Brüssel ist es denkbar, »gute Reeder« zu belohnen, indem weniger Inspektionen nötig werden, zusätzlich zur Bestrafung von Reedern, die Vorgaben nicht einhalten. Das wäre ein Wettbewerbsvorteil für die Flagge, weil sie attraktiver würde. Der Fokus soll stärker von nicht-konformen zu konformen Akteuren wechseln.

Ein aus europäischer Sicht positiver Nebeneffekt wäre, dass es zu einer gewissen Harmonisierung innerhalb der EU-Staaten käme.

Während weniger oder kürzere Inspektionen für »gute Reeder« möglich sind, kann man mehr Arbeit auf die nicht-konformen Schiffseigner und deren Flaggen aufwenden. Dabei geht es beispielsweise um An- oder Auslaufgenehmigungen, mit entsprechenden Sanktionsmechanismen. So will man sich abheben.

Wie lange es bis zur Umsetzung dauert, ist ungewiss, erst recht, weil nach der Europawahl zunächst die Einsetzung einer neuen EU-Kommission und ihre Strategie abgewartet werden muss.

Trotz der nationalen Souveränität versucht die EU, auch auf IMO-Ebene die Stimmen ihrer Mitglieder zu vereinen. Den Vorwurf, einer Regionalisierung des Rechts Vorschub zu leisten, weist die Kommission weit von sich. Man behält sich aber vor, globale Regeln in europäisches Recht umzumünzen, die dann für alle Mitgliedsländer rechtlich bindend sind. Das ist ein strengeres Regime als bei der IMO, ein Ausscheren für Staaten ist schwieriger.

Man will sich im Rahmen der IMO-Vorgaben bewegen, an die sich »einige« Flaggenstaaten außerhalb der EU nicht in Gänze halten, mit weniger Wettbewerbsgleichheit als Folge. Die Kommission will regelkonformes Verhalten und damit den entsprechenden Reedern Vorteile verschaffen – mit einem attraktiven, effizienten System auf Basis digitaler Prozesse.

Nicht immer sind sich die EU-Länder einig, oft abhängig von den Schwerpunkten in ihrer Flotte. Die Kommission spricht aber vom »Willen, zuzuhören und einen Weg zu finden« und der Einsicht, dass eine gemeinsame Stimme mehr erreichen könnte. Die Europäische Gemeinschaft sei an sich schon ein Kompromiss, so auch in diesem Punkt, heißt es. Vor einem Vorstoß auf IMO-Ebene wird ein Thema bereits in Brüssel ausführlich debattiert, das helfe dabei, mit einer koordinierten Stimme aufzutreten.

Autonom und neu …

Unabhängig von der künftigen Ausrichtung der Kommission befassen sich die Experten mit einer der großen regulatorischen Herausforderungen der Zukunft: der autonomen Schifffahrt. Zwar glaubt man auch in Brüssel nicht, dass es sehr bald zu einer flächendeckenden Umsetzung der Technologie kommt. Man will aber vorbereitet sein und sieht auch Positives: Keine Crew an Bord hieße, dass die Vorgaben harmonisierter und auf die Technik und die Koordination von Land aus fokussiert sein könnten. Wenn auf Basis von Algorithmen gefahren wird, könnte sich das Unfallrisiko verringern. Die Aufarbeitung von Havarien bindet heute viel Personal und Zeit in den Behörden, im Idealfall könnte das reduziert werden.

Aus Sicht der EU werden dann Themen wie Cyber Security und das Management von Mischverkehren – unbemannte und bemannte Schiffe – stark an Bedeutung gewinnen. In Brüssel »beginnt« man, sich damit zu befassen. Eine Anpassung der Regulierung ist denkbar und nach Ansicht der Kommission wahrscheinlich nötig. Bei Details sind die Beamten noch nicht angelangt.
Michael Meyer