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Die Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung durch konstruktive Maßnahmen im Schiffsentwurf kommen an ihre Grenzen. Als Basis für den nächsten Effizienzsprung in maritimen Transportketten rückt die Nutzung von Daten in den Fokus

Seit Mitte des 20. Jahrhunderts hat eine Reihe technischer Innovationen dazu beigetragen, dass die maritimen Transportkosten bis heute deutlich zurückgegangen[ds_preview] sind. Ein zentraler Faktor war hierbei vor allem die Konstruktion immer effizienterer Schiffe. Doch die Grenze des technisch Machbaren scheint nahe.

Die Antriebsmotoren auf Schiffen der neuesten Generation arbeiten inzwischen nahe an ihrem theoretischen Optimum und die hydrodynamischen Eigenschaften des Schiffskörpers wurden in vielen inkrementellen Schritten stetig verbessert. Mit dem Siegeszug des Containers hat darüber hinaus eine konsequente Spezialisierung von Schiffen, wie sie im Massengutbereich bereits länger gegeben war, auch im Stückguttransport Einzug gehalten.

Durch einen beschleunigten Ladungsumschlag konnten wirtschaftlich unproduktive Hafenliegezeiten minimiert und damit ein Beitrag zur Reduktion der Transportkosten geleistet werden. Ein weiterer Einflussfaktor in der Vergangenheit war das Wachstum der durchschnittlichen Schiffsgröße; eine Entwicklung, die zumindest in den Bulk- und Containersegmenten auch bis heute noch nicht abgeschlossen zu sein scheint. Ungeachtet dessen stößt die Verbesserung der operativen Effizienz durch konstruktive Maßnahmen in der Entwurfsphase eines Schiffes zunehmend an Grenzen. So nehmen etwa die erzielbaren Skaleneffekte ab je größer Schiffe werden und gerade im Zusammenhang mit Mega-Containerschiffen sind inzwischen die negativen Auswirkungen auf die Transportkosten insgesamt erkannt. Und auch für die Optimierung von Schiffsentwürfen sowie für schiffsmaschinenbauliche Verbesserungen muss heute sehr viel mehr Aufwand getrieben werden, um die noch verbliebenen Potenziale mit cleveren Ideen zu erschließen.

Als Basis für den nächsten Effizienzsprung in maritimen Transportketten – und damit auch eine Reduktion der Treibhausgasemissionen durch die internationale Schifffahrt – rückt die Nutzung von Daten zunehmend in den Fokus.

Für eine Industrie, die aufgrund fehlender und ungenauer Daten aus der Betriebsphase eines Schiffes in der Vergangenheit insbesondere auf die Konstruktion möglichst effizienter Schiffe ausgerichtet war, stellt die datenbasierte Optimierung von Seeverkehrssystemen einen Paradigmenwechsel dar, mit dem neue Chancen und Herausforderungen für alle beteiligten Akteure einhergehen.

Mit der umfassenden Verfügbarkeit digitaler Daten sowie deren Austausch und systematischer Analyse werden sich auch in der Praxis des Schiffsbetriebs weitreichende Veränderungen ergeben. Auch wenn gerade im Bereich des Performance Monitorings in den vergangenen Jahren bereits eine Vielzahl neuer Lösungen auf den Markt gekommen ist, befindet sich die datenbasierte Optimierung des Schiffsbetriebs noch immer in ihren Anfängen.

Die Gründe dafür lagen in der Vergangenheit vor allem in fehlenden oder ungenauen Verfahren zur Messung des aktuellen Betriebszustands an Bord sowie stark begrenzten Möglichkeiten des Datenaustauschs im maritimen Raum. Hier ändern sich gegenwärtig die Rahmenbedingungen rasant.

So werden an Bord künftiger Schiffe einzelne Komponenten und Systeme standardmäßig sensortechnisch ausgestattet und über ein digitales Interface untereinander vernetzt sein. Und auch die Übertragung größerer Datenmengen aus dem Schiffsbetrieb relativiert sich als Hürde, wenn, getrieben durch Crew-Wellfare-Überlegungen, der Anteil an breitbandfähigen Schiffen stetig zunimmt und gleichzeitig die Kosten pro übertragenem Bit fallen. So entsteht die notwendige Ausgangsbasis, um künftig noch weitgehend ungenutzte Potenziale zur Verbesserung der operativen Performance einzelner Schiffe und ganzer Flotten zu erschließen.

Die umfassende Verfügbarkeit digitaler Daten, deren Austausch sowie die Einführung innovativer Verfahren zur systematischen Analyse bieten die Chance, um die operative Praxis des Schiffsbetriebs neu zu gestalten. Beispielsweise ermöglichen schnelle und preisgünstige Kommunikationsverbindungen den echtzeitbasierten und direkten Datenaustausch zwischen dem Schiff und seiner Umgebung, wodurch sich Management- und Administrationsprozesse an Bord und an Land effizienter gestalten lassen. Intelligente Systeme an Bord sind in der Lage, Informationen eigenständig zu verarbeiten und untereinander auszutauschen.

Daten konsequent nutzen

Damit entsteht die Voraussetzung, um Routinetätigkeiten, die eine geringe Wertschöpfung haben, Schritt für Schritt zu automatisieren. Darüber hinaus können Sensoren ständig aktuelle Daten über den Zustand von Schiff und Maschinen liefern, welche die Grundlage darstellen, um Effizienzsteigerungspotenziale im Schiffsbetrieb zu identifizieren oder Verfahren wie Predictive Maintenance einzuführen und damit die Instandhaltungskosten genauso wie das Risiko von Ausfallzeiten zu verringern.

Die zuvor genannten sowie weitere absehbare Veränderungen der Schiffsbetriebspraxis in Zukunft lassen sich unter dem Begriff »Ship Operation 4.0« zusammenfassen. Er steht für eine konsequente Nutzung digitaler Daten, um eine datenbasierte Effizienzsteigerung im Schiffsbetrieb vorzunehmen. Fragen von Schiffskonstruktion und -entwurf genauso wie die Gestaltung maritimer Transportnetzwerke finden nur insoweit Berücksichtigung, als von ihnen ein direkter Einfluss auf den Schiffsbetrieb ausgeht.

Die Komplexität und Vielschichtigkeit der Einzelentwicklungen im Kontext von maritimer Digitalisierung und »Ship Operation 4.0« erschwert insgesamt die Identifikation wesentlicher Treiber, Prognosen und Herausforderungen. Die Schiffbautechnische Gesellschaft (STG) hat dies zum Anlass genommen, in einer Arbeitsgruppe über zwei Jahre gemeinsam mit dem Fraunhofer-Center für Maritime Logistik und Dienstleistungen (CML) zu untersuchen, inwieweit die Ideen hinter »Industrie 4.0« für den operativen Schiffsbetrieb eine Rolle spielen und ob sich hieraus konkrete Chancen und Handlungsempfehlungen für die Akteure der maritimen Branche ableiten lassen. Die zentralen Ergebnisse dieser Kooperation sind in einem White Paper zusammengefasst.

Dieses stellt dar, in welche Richtung sich der Schiffsbetrieb zukünftig entwickeln kann. Aufgabe war es hierbei, die Idee von »Ship Operation 4.0« aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten, mögliche Veränderungen des Schiffsbetriebs in den kommenden Jahren aufzuzeigen und das damit verbundene Potenzial zu verdeutlichen. So entsteht eine Orientierungshilfe, anhand derer alle betroffenen Akteure der maritimen Industrie frühzeitig geeignete Maßnahmen erarbeiten können, um sich für die neuen Anforderungen von »Ship Operation 4.0« zu wappnen und gleichzeitig bestehende Chancen für eine Weiterentwicklung der eigenen Geschäftsaktivitäten zu ergreifen.

Der Fokus liegt nicht auf technischen Einzellösungen. In einem Top-Down-Ansatz geht es um die wesentlichen Linien und Zusammenhänge der Digitalisierung im Schiffsbetrieb: Lösungsvorschläge, Strategien und technische Entwicklungen, welche zukünftig dazu beitragen können, die Wirtschaftlichkeit, Sicherheit und Nachhaltigkeit des Schiffsbetriebs zu erhöhen, die Prozesseffizienz von Schiffsmanagementfunktionen an Bord und an Land zu verbessern und einen Produktivitätsanstieg durch zunehmend selbst­organisierte und autonom agierende maritime Transportsysteme zu ermöglichen. Hierzu beschreibt das White Paper die drei Ebenen Voraussetzungen, Wirkungsmechanismen und Gestaltungsfelder von Ship Operation 4.0, die die Grundlage für datenbasierte Innovationen im Schiffsbetrieb bilden, und nimmt so eine systematisierte Darstellung der Entwicklungsperspektiven der weiteren Digitalisierung des Schiffsbetriebs vor.

Voraussetzungen erfüllt?

Autonome Schiffe, Predictive Maintenance oder Augmented Reality zur Unterstützung der Instandhaltung mögen vielversprechende Ziele von Ship Operation 4.0 sein. Um sie zu erreichen, ist zunächst eine Reihe grundlegender und aufeinander aufbauender digitaler Technologien und organisatorischer Maßnahmen zur Bereitstellung und effizienten Nutzung der »neuen Ressource« Daten erforderlich. Die Voraussetzungen untergliedern sich in die fünf Bereiche »Datenerfassung«, »Datenaustausch«, »Datenanalyse«, »Umsetzung datenbasierter Erkenntnisse« und »Cyber Security«.

Sind die Voraussetzungen von Ship Operation 4.0 erfüllt, stehen Unternehmen vor der Frage, wie sie anhand von Daten die Effizienz, Sicherheit, Umweltverträglichkeit und Zuverlässigkeit des Schiffsbetriebs steigern können. Hierbei kommen fünf aufeinander aufbauende Wirkungsmechanismen zum Tragen. Die gezielte Nutzung der Ressource Daten ist dabei immer der Ausgangspunkt, kann jedoch mit »Digitalisierung und Konnektivität«, »Transparenz und Systemverständnis», »Optimierung und Prognose«, »Automatisierung« und »Mensch-Maschine-Interaktion« auf unterschiedliche Mechanismen oder Funktionalitäten zurückgreifen. Idealerweise erfolgt die Umsetzung der Wirkungsmechanismen schrittweise und geht jeweils direkt mit positiven Effekten in der Betriebspraxis einher.

Zur besseren Strukturierung werden fünf Gestaltungsfelder »Navigation und Schiffsführung«, »Betrieb der technischen Anlagen an Bord«, »Instandhaltung des technischen Systems Schiff«, »Administrations- und Managementprozesse« sowie »Schiffs- und Flottenmanagement« unterschieden, für die jeweils eine Reihe teilweise aufeinander aufbauender oder miteinander in Beziehung stehender Entwicklungen und Entwicklungsstufen auf dem Weg zu Ship Operation 4.0 vorgestellt sind.

Im Ergebnis werden mit dem White Paper »Ship Operation 4.0« vielfältige mögliche Vorteile aufgezeigt, die von einer Optimierung in bestimmten Betriebszuständen über das gesamte Einsatzspektrum eines Schiffes oder gar bis hin zur übergreifenden Flottenoptimierung reichen. Die Ansätze zielen nicht nur auf den Kraftstoffverbrauch oder einen möglichst wirtschaftlichen Schiffsbetrieb ab, sondern beziehen in einem ganzheitlichen Ansatz auch Umweltverträglichkeit und eine Erhöhung der Schiffssicherheit mit ein.

Insgesamt will das White Paper damit einen Beitrag leisten, um die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit der maritimen Wirtschaft zu stärken, indem die Chancen der Digitalisierung und Automatisierung ganzheitlich genutzt und den Herausforderungen eines klimafreundlichen Schiffsverkehrs wirksam begegnet werden kann.


Lutz Kretschmann