Peter Sand - Chief Shipping Analyst - BIMCO
Peter Sand, Chief Shipping Analyst, BIMCO (Foto: BIMCO)
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Der Schifffahrtsbranche hält den Atem an, während sich das Coronavirus weiter ausbreitet. Die Unsicherheit ist groß, nicht zuletzt weil die Weltswirtschaft heute viel stärker mit China verflochten ist, als noch zur Zeit des SARS-Ausbruchs vor 17 Jahren.

Der Ausbruch des neuartigen Coronavirus, das vor kurzem als COVID-19 bezeich[ds_preview]net wurde, führt weiterhin zu einer massiven wirtschaftlichen und finanziellen Unsicherheit, wenn es um China und die globale Schifffahrt geht, konstatiert BIMCO-Chefanalyst Peter Sand.

»Vor zwei Wochen haben wir argumentiert: wenn China niest, bekommen wir alle die Grippe – aus wirtschaftlicher Perspektive. Seit dem Ausbruch von SARS im Jahr 2003 ist die Weltwirtschaft viel stärker mit China verflochten und die chinesische Wirtschaft ist zur zweitgrößten der Welt herangewachsen«, sagt er.

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Die Nachfrage in China sei aufgrund des Coronavirus »zerstört«. Die Nachfrage aus den Bereichen Konsum, Stromerzeugung und Industrieproduktion gehe jeden Tag, mit dem große Gebiete Chinas unter Quarantäne stehen, zurück. Mit jeder Woche werde es schwieriger, das jährliche BIP-Wachstumsziel von 6% zu erreichen. »Diese Nachfrage wird sich nicht unbedingt wieder erholen, wenn das Virus eingedämmt ist«, meint Sand.

»Wirklich schlechtes Timing«

Der Ausbruch kommt zur Unzeit für die Schifffahrt, die derzeit mit den zusätzlichen Treibstoffkosten durch die IMO 2020 und die Umstellung auf schwefelarme Treibstoffe zu kämpfen hat. BIMCO hat zwei Szenarien entworfen, wie es nun weitergehen könnte: In Szenario 1 wird davon ausgegangen, dass das Virus bis Ende Februar in großen Teilen eingedämmt ist und die chinesischen Arbeiter Anfang März wieder an die Arbeit gehen, was zu einer anschließenden Belebung der Industrieproduktion und des Raffinerie-Durchsatzes sowie der Nachfrage nach Schifffahrt führen wird.

In Szenario 2 geht BIMCO davon aus, dass mittelfristig die groß angelegten Quarantänen bis Mitte März andauern, danach aber die Wirtschaftstätigkeit wieder anzieht und bis April-Mai einen Zustand der Normalisierung erreicht.

»Szenario 3 ist unser Worst-Case-Szenario, bei dem die Ausbreitung bis zu einem unbestimmten Zeitpunkt andauert. Angesichts der mit diesem Szenario verbundenen massiven Unsicherheiten bleibt es jedoch außerhalb des Rahmens dieser Analyse, langfristige Prognosen zu erstellen. Sie wird sich stattdessen in erster Linie auf die kurz- bis mittelfristigen Auswirkungen konzentrieren«, so Sand.

Welche Auswirkungen hat das auf die Linienschifffahrt?

Im Szenario 1 bleiben die Auswirkungen auf die Langstreckenverkehre angesichts der bereits eingeführten Maßnahmen zur Kapazitätssteuerung (Streichung von Abfahrten) weitgehend unberührt. Der Februar bringt traditionell sinkende Frachtraten mit sich, und in diesem Szenario wird sich der Monat weitgehend im Rahmen der üblichen Saisonalität entwickeln. Allerdings werden die Volumina diesmal niedriger bleiben, insbesondere im innerasiatischen Verkehr, was eine geringfügige Störung der globalen Lieferketten zur Folge haben könnte.

In Szenario 2 werden sich laut Sand »weitere dunkle Wolken zusammenziehen«. Eine vorübergehende Behinderung der aktiven Arbeitskräfte, verursacht durch eine anhaltende weiträumige Quarantäne, wird die Störungen in der Produktion, im Hinterlandtransport und in den Hafenbetrieben ausweiten.

Weltweiter Versorgungsengpass bei Einzelhandels- und Industriegütern möglich

Angesichts des geringeren Containervolumens, das durch einen Stillstand der regionalen Produktion verursacht wird, könnte sich die Störung zu einem weltweiten Versorgungsengpass bei Einzelhandels- und Industriegütern ausweiten. In diesem Fall werden die Hersteller in Asien und der übrigen Welt, die auf aus China importierte Halbfertigwaren angewiesen sind, ihre Produktion vorübergehend reduzieren müssen, was eine Delle in der globalen Produktionstätigkeit verursacht. Wenn das geschieht, werden die Frachtraten für Containerschiffe und Zeitcharterraten unter massiven Abwärtsdruck geraten.

Die Auswirkungen wären jedoch nur vorübergehender Natur, und man werde wahrscheinlich eine »allmähliche Erholung zu normalen Marktbedingungen erleben, nachdem der Sturm überstanden« sei, sagt Sand.

»Die weiteren Auswirkungen sind angesichts des derzeitigen Informationsvakuums nach wie vor schwer zu skizzieren, aber ein Aspekt ist klar geworden: die Fragilität der globalen Lieferketten. Der Handelskrieg zwischen den USA und China diente als Zunder, aber vielleicht wird das Coronavirus das Streichholz sein, das eine umfassendere Umstrukturierung und Diversifizierung der globalen Lieferketten in andere asiatische Länder und darüber hinaus, einschließlich eines verstärkten Near-Shoring, in Gang setzt«, resümiert Peter Sand.

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