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Sietas, NMF, Wallmann, SAL: Fast unbemerkt von der maritimen Öffentlichkeit steht Hamburg mit Werft, Ex-Kranbauer, Hafen und Reederei derzeit im Zentrum eines globalen Turbinen-Projekts von Siemens.

Dass der Siemens-Konzern Turbinen und Komponenten aus Ostdeutschland in alle Welt exportiert, ist noch vielen bekannt. In der Vergangenheit[ds_preview] geschah das in der Regel aus Dresden über die Elbe per Binnenschiff. Bislang. Denn die trockenen Sommer der vergangenen Jahre haben zu einem Umdenken geführt. Das Niedrigwasser machte einige Schwerlast-Transporte auf der Elbe schwierig bis unmöglich. Eine Alternative musste her. Und wurde gefunden. Zwar spielt die Elbe dabei nach wie vor eine absolut wesentliche Rolle, allerdings gänzlich anders als zuvor.

Zu beobachten ist das beispielhaft an einem Pilotprojekt des Konzerns, das vor Redaktionsschluss kurz vor der Teil-Fertigstellung steht.

Das Binnenschiff bleibt in diesem Projekt außen vor. Erstens wegen der Niedrigwasser-Problematik, zweitens wegen der schieren Größe. Dafür sind die mittlerweile in russischer Hand befindliche Werft (Pella) Sietas und der ehemals weltbekannte Schiffskranbauer NMF, heute Teil der norwegischen TTS-Gruppe, mit im Boot. Und nicht zuletzt die Dominikanische Republik, der Stadtstaat Singapur, die Schwergutreederei SAL und das Wallmann-Terminal.

Wie passen nun Siemens, eine im Jahr 2012 in die Insolvenz geschlitterte, heute wieder aktive Werft und ihre Tochter mit der Karibik und Südostasien zusammen?

Der Ursprung dieser ungewöhnlichen Konstellation liegt in einer Siemens-Neuentwicklung versteckt: ein schwimmendes Kraftwerk des Typs SCC-800 2×1 SeaFloat: »Estrella del Mar III«. Ende 2018 konnte gemeinsam mit ST Engineering (STE) aus Singapur ein Auftrag für ein 61m langes und 40m breites Hightech-Produkt des Stromerzeugers Transcontinental Capital eingeholt werden.

Pilotprojekt in Neuenfelde

Für Siemens ein prestigeträchtiges Geschäft, bedeutet es doch den ersten Verkauf der Neuentwicklung. Die Deutschen zeichnen im Rahmen eines Plug-and-Play-Konzeptes als übergeordneter Projektleiter verantwortlich für ein Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerk (GuD), geliefert werden zwei SGT-800-Gasturbinen und eine SST-500-Dampfturbine. Fluence Energy, ein Gemeinschaftsunternehmen mit AES, stellt ein 5/10 MW-Batteriespeichersystem für die »Siestart«-Lösung bereit, das zur Frequenzregulierung integriert ist.

Soweit so gut, die Partner machten sich an die Arbeit und planten dabei auch die Logistik. Wie aber vorgehen, um für einen reibungslosen Ablauf des Projekts kein zu großes Risiko einzugehen?

Die Siemens-Verantwortlichen kamen mit Habbo Stark zusammen, seines Zeichens Gründer und Geschäftsführer des Projektlogistikers Este Project Service (EPS). Und der hatte eine Idee: Warum nicht die Montage in Hamburg durchführen und das Binnenschiff umgehen? Die Elbmetropole hat einige Standortvorteile…

Stark und EPS sind ganz in der Nähe des Hafens ansässig: Am Neuenfelder Fährdeich. Dort haben Sie sich in den Räumlichkeiten von TTS NMF eingemietet. NMF ist Vielen als einer der angesehensten Schiffskranbauer bekannt. Als die Mutter – die Sietas-Werft gleich in der Nachbarschaft – in die Insolvenz rutschte, war auch NMF irgendwann nicht mehr zu halten. Die TTS-Gruppe schlug zu. Allerdings übernahmen die Norweger nicht das ganze Paket »NMF«, sondern vorrangig die Marke und einige Patente. »Hardware« wie die Werkhalle oder das Bürogebäude hingegen nicht – das ist noch immer Teil der Insolvenzmasse, bis heute.

TTS NMF – so der neue Name – mietete lediglich einige Büroflächen an. So blieben über die Jahre Kapazitäten ungenutzt. Die Schiffskrane, einst das Aushängeschild der Firma, werden unter TTS-Flagge mittlerweile in China gebaut. Als der letzte Kran die Halle verließ, machte sich Projektlogistiker Stark den Leerstand zu Nutze. Vom Insolvenzverwalter mietete man einige Räumlichkeiten auf dem Gelände. Für Siemens wickelt Stark seit einiger Zeit Turbinen-Projekte über Neuenfelde ab. Dann kam der Auftrag für das schwimmende Kraftwerk.

»Estrella« entwickelte sich so mehr und mehr zu einem »Hamburg«-Projekt: Die Turbine wurde wie gehabt in Görlitz gefertigt, die Generatoren in Erfurt. Als Einzelkomponenten kamen sie in die Hansestadt. Allerdings nicht wie bislang vorrangig per Binnenschiff, sondern mit Lkw.

Nötig war nun noch der Bau einer stählernen Plattform sowie die Endmontage der Einzelteile. Initiiert über den NMF-Kontakt ging der Auftrag an die Werft Pella Sietas. Die hatte sich nach der Insolvenz auch mit Stahlbauprojekten beschäftigt – angesichts nicht gerade prall gefüllter Schiffbau-Auftragsbücher ein gern gesehenes Geschäft. Allerdings zog das originäre Werft-Geschäft wieder etwas an. Bestellt wurde zuletzt ein Eisbrecher für Russland, im Bau ist bereits ein Baggerschiff. Dadurch wurde es dann doch wieder eng auf den Anlagen der Traditionswerft.

Wie geht es weiter?

Die Verantwortlichen machten sich Gedanken und erinnerten sich an die ehemalige Tochter NMF. Dort waren Kapazitäten frei, in direkter Nachbarschaft. Man kam auf die Idee einer Arbeitsteilung. Auf der Werft wurde letztlich die Plattform gebaut. Die ostdeutschen Komponenten jedoch wurden in die NMF-Hallen geliefert. Auch die Plattform wurde schließlich mit einem Spezialtrailer zum Nachbarn überführt. Seither arbeiteten bis zu 50 Siemens-Mitarbeiter daran, Turbine, Generatoren und Plattform zu einer Einheit zu formen. Am Ende entstand ein 25m langes, 7m breites und 5,5m hohes Modul.

Doch damit ist diese Hamburg-Story noch nicht zu Ende erzählt. Denn das Pilotprojekt hat noch einen längeren Weg um (fast) die ganze Welt vor sich. Falls nichts schief gegangen ist, hat die Plattform mittlerweile Hamburg verlassen.

Nach der Fertigstellung sollte das insgesamt über 380 t schwere Stück mit einem SPMT-Transporter zurück zu Sietas und dann per Barge in den größten deutschen Seehafen überführt werden – mit einer eigens angebrachten Markierung »Assembled in Hamburg«.

Ziel war das Wallmann-Terminal – ein beliebter Umschlagplatz für die Projektschifffahrt in der Elbmetropole. Eine Reederei wurde beauftragt, die Plattform für den Seeweg zu übernehmen. Fortan ist die hohe See das Ziel.

Das ist die nächste Hamburger Komponente. Denn der Auftrag ging an die Reederei SAL Heavylift, in der Elbmetropole ansässige Tochter der Bremer Schifffahrtsgruppe Harren & Partner. Sie soll das Siemens-Produkt nach Schweden bringen. Beim konzerneigenen Werk in Finspang steht die Zusammenführung mit weiteren Komponenten an. Gebucht wurde die Ladung für den Schwergutfrachter »Anna«, ein 2010 gebauter 9.963-Tonner. Das Schiff hat zwei Krane, die jeweils 450t heben können, im Kombi-Lift zusammen 900t.

Von Schweden steht schließlich die nächste Etappe nach Singapur an. Dort vereint STE weitere Komponenten mit dem deutschen Bauteil, unter anderem die sogenannte »Power Barge« und Nebenanlagen sowie das mobile Kraftwerk.

Ist auch dies vollendet, begibt sich »Estrella« auf ihre vorerst letzte Reise. Aus Asien geht es zum endgültigen Bestimmungsort. Im Frühjahr 2021 soll das Kraftwerk den Betrieb in Santa Domingo aufnehmen, der Hauptstadt der Dominikanischen Republik.

»Kurze Wege sinnvoll«

Bei Siemens ist man mit der Entwicklung sehr zufrieden. Unabhängig vom Wasserstand der Elbe ist nun eine längerfristige und kontinuierlichere Planung möglich. Rund 20 bis 25% der gesamten Wertschöpfung des Auftrags entfällt auf Hamburg, wie zu hören ist.

Man könnte meinen, dass heutzutage die Industrieproduktion aus Kostengründen gerne mal ausgelagert wird. In diesem Fall entschied man sich Siemens jedoch bewusst dagegen. Bauleiter Ralf Holtz sieht entscheidende Vorteile: »Bei einem Prototypen ist es sehr sinnvoll, kurze Wege zu haben, wenn es mal an einer Stelle hakt.« Es spreche in diesem Fall schlicht nichts gegen den Standort Hamburg.

Es stellt sich die Frage, ob hier womöglich die Basis für eine längerfristige Partnerschaft gelegt wurde. Dem Vernehmen nach verhandelt Siemens über weitere Aufträge. Es gibt internationale Interessenten, auch für größere Schwestern der 149,4 MW leistenden »Estrella del Mar III«.

»In Hamburg werden die Single-Lift Packages der Dampfturbine für SeaFloat-Anwendungen montiert. SeaFloat ist ein wachsender Markt und wir planen auch in Zukunft alle Single-Lift Packages in Hamburg bauen zu lassen«, sagt der Programmverantwortliche Hossain Hammed. Es sei durchaus denkbar, dort weitere Aufträge abzuwickeln, etwa das »Ultra Light Combined Cycle« für Ölplattformen und FPSO-Anlagen. »Hierfür haben wir bereits einige Projekte in der Pipeline, die aller Wahrscheinlichkeit nach auch in Hamburg fertiggestellt werden«, so Hossain weiter.


Michael Meyer