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Wegen der Schweinepest muss China deutlich mehr Fleisch importieren. Das bindet viel Kapazität an Reefer-Containern, die nicht für andere Waren zur Verfügung stehen. Auch konventionelle Kühlschiffe verspüren zu Jahresanfang Rückenwind.

Viele in der Schifffahrt blicken sorgenvoll auf das nachlassende Wirtschaftswachstum in China. Kommt der Motor der Weltwirtschaft und des Seeverkehrs[ds_preview] nach zwei Jahrzehnten etwa ins Stottern? Vor allem für den großen Dry-Bulk-Sektor steht dabei viel auf dem Spiel. In einem kleineren Teilsegment der Schifffahrt sieht die Welt in Bezug auf China noch ganz anders aus: Für die Reefer-Verkehre hält der China-Boom unvermindert an. Von Jahr zu Jahr kommt mehr und mehr frische Ware per Kühlcontainer ins Land, um die Bedürfnisse einer wachsenden Mittelschicht zu befriedigen.

Neben Obst, Gemüse und Delikatessen erleben vor allem eiweißreiche Produkte seit vergangenem Jahr einen steilen Nachfrageanstieg aus China. Grund: Die Hälfte des chinesischen Schweinebestands ist der afrikanischen Schweinepest zum Opfer gefallen, die Preise für die Verbraucher haben sich verdoppelt. Um die Versorgung sicherzustellen, muss viel mehr Fleisch als früher aus dem Ausland eingeführt werden. »Da hat international ein Wettrennen um Ware eingesetzt«, berichtet der Manager einer Spedition, die viel Überseeladung für Schlachtunternehmen abfertigt. »Bei den Containerverladungen von Schweinefleisch sehen wir Steigerungen von 50 bis 60%. Deutschland, Dänemark, Spanien, Irland – überall ziehen die Mengen an.« Europaweit summierten sich die Zuwächse für China auf Tausende Container. In der Folge hätten die Frachtraten für Reefer-Container noch stärker angezogen als für Dry-Container. Seien vergangenen Sommer noch Verschiffungen von den Westhäfen nach Fernost zu 1.300 $/FEU möglich gewesen, müssten Kunden jetzt über 3.000 $/FEU bezahlen, erklärt der Manager im Hintergrundgespräch mit der HANSA.

Für die Reefer-Verkehre bricht mit der Obst- und Gemüseernte auf der südlichen Erdhalbkugel jetzt die Hochsaison an. Abertausende Kühlcontainer müssen nach Lateinamerika und Südafrika positioniert werden, damit sie für die Verladung von Zitrusfrüchten und Kernobst bereitstehen. Gleichzeitig wird immer noch mehr Equipment für China benötigt, der Mangel an Reefer-Containern spitzt sich zu, »in Europa, Südamerika und auch in Kanada.«

Frachten hoch – Equipment knapp

Mit der Zunahme im Fleischexport nach China nahmen die Reefer-Verkehre in der zweiten Jahreshälfte 2019 offenbar wieder Schwung auf. Laut der Beratungsfirma Drewry hatten wetterbedingte Ernteausfälle, Pflanzenkrankheiten und Rückgänge bei Fisch und Meeresfrüchten das Wachstum der Reefer-Seeverkehre seit 2018 auf 3% gedrückt – unter den Zehnjahresdurchschnitt von 3,5%. Der Aufschwung in China dürfte die Delle wieder ausgeglichen und auch die Frachtraten unterstützt haben, sagt Martin Dixon, Research-Leiter bei Drewry. So lag der Global Reefer Freight Index der Firma für das Containergeschäft von Januar bis September 2019 um 1,4% höher als im Vergleichszeitraum 2018. Durchschnittlich erlösten die Linien laut Index 3.148 $/FEU. Das feste Ratenniveau führen Dixon und seine Kollegen aber hauptsächlich auf die Nachwirkungen der Investitionseinschnitte bei Reefer-Containern im Jahr 2016 zurück. Seinerzeit hatten die Linien aufgrund hoher finanzieller Verluste den Zubau von Equipment stark gedrosselt. Trotz einer Erholung in den Folgejahren hinkt die Produktion von Kühlcontainern dem heutigen Bedarf noch hinterher.

Einer Schätzung zufolge wurden 2019 Reefer-Container mit einer Gesamtkapazität von 240.000 TEU neu ausgeliefert – deutlich unterhalb des Ersatzbedarfs für über 15 Jahre alte Kühlcontainer, deren Bestand auf 275.000 TEU geschätzt wird. Drewry rechnet auch für die kommenden Jahre nicht damit, dass die Produktion dem Bedarf gerecht wird. »Die Equipment-Verfügbarkeit für Kunden ist knapp, und sie wird sicher knapp bleiben«, meint Dixon.

Die Engpässe könnten sich noch verschlimmern, wenn die Transportnachfrage für die Containerlinien in den kommenden zwei Jahren stärker als in den Vorjahren wachsen sollte. Vertreter der Maersk Line hatten bereits Ende 2018 gewarnt, dass mit der Verteuerung von Treibstoff infolge der neuen IMO-Bestimmungen größere Ladungsanteile von der konventionellen Kühlschifffahrt in die Container-Linienschifffahrt verlagert werden. Grund: Wegen ihres vergleichsweise hohen Treibstoffverbrauchs würden die Kühlschiffe massiv an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen, der Reefer-Containerverkehr dafür zweistellige Zuwachsraten verzeichnen. Da die Umstellung auf die teureren schwefelarmen Brennstoffe gerade erst stattgefunden hat, sind entsprechende Auswirkungen am Markt noch nicht erkennbar. Auf der Bananen-Rennstrecke von Ecuador in den Mittelmeerraum könnten die Container-Carrier die erhöhten Kosten für Low-Sulphur-Fuel mit Bunkerzuschlägen von 300 $/FEU abfedern, heißt es aus dem Markt. »Für die meisten konventionellen Reefer-Schiffe würde sich der Verkehr dann nicht mehr lohnen«, schreibt der Branchendienst Reefertrends – mit Ausnahme der jüngsten Jumbo-Kühlschiffe der russischen Gruppe Baltic Shipping. Die 2018 abgelieferten Neubauten sind die größten und effizientesten Frachter, ausgestattet auch mit Scrubbern, die der Sektor aufzubieten hat.

Letzte Nische für Kühlschiffe?

In den vergangenen Jahren haben die Containerlinien die spezialisierten Reefer-Carrier immer stärker ins Abseits gedrängt. Ihr Anteil am globalen Seefrachtaufkommen bei verderblicher Ware tendiert laut Drewry gegen 15%. Andere Marktbeobachter sprechen vor nur noch 12-13%. Ihr Geschäft beschränkt sich zunehmend auf die rein saisonalen Verkehre für Früchte während der Erntemonate sowie auf das Open-Sea-Transhipment für Fisch und Meeresfrüchte mit kleineren Schiffen unter 400.000 cft (Kubikfuß). Das Angebot der ganzjährigen konventionellen Liniendienste ist in den vergangenen zwei bis drei Jahren stark zusammengeschrumpft. Es sind weltweit kaum mehr als 15 Dienste übrig geblieben – etwa die Hälfte davon in Eigenregie großer Händler wie Del Monte, Compagnie Fruitière oder Cosiarma. Der Konkurrenzdruck durch die Containerlinien ist in den fest getakteten Regelverkehren einfach zu intensiv.

Einige der großen integrierten Fruchthändler, die einst stolze konventionelle Flotten betrieben, verwandeln sich selbst in Container-Carrier. Von den Linien unterscheiden sie sich allein dadurch, dass sie nur bestimmte Lade- und Löschhäfen für Frucht anlaufen, die Transitzeiten kurz halten und die Reefer-Container schneller drehen. Chiquita hat als erster Anfang 2019 seine gesamte Great White Fleet auf Containerschiffe umgestellt und alle gecharterten Reeferschiffe zurückgeliefert.

Dieses Jahr dürften die Wettbewerber Del Monte (mit seiner Reederei Network Shipping) und Dole mit großen Schritten nachziehen. Del Monte/Network nimmt dieses Jahr die ersten von sechs Neubauten mit 1.268 TEU Gesamtkapazität (634 Reefer Plugs) in Empfang, die allesamt im Verkehr zwischen Zentralamerika und der US-Ostküste eingesetzt werden sollen. Dole erwartet ab diesem Jahr vier 2.500-TEU-Neubauten mit je 910 Kühlcontaineranschlüssen aus China, die wohl ebenso im US-Verkehr Einsatz finden dürften. Mit diesem Zwitter-Modell – Vollcontainerschiffe, aber 100% Reefer-Ladung – scheinen die Händler einen nachhaltigen Modus Operandi gefunden zu haben.

Seatrade verliert erneut

Exemplarisch für die Probleme der unabhängigen Reefer-Carrier steht die niederländisch-belgische Reederei Seatrade. Die Firma – einst die unangefochtene Nummer 1 der Branche – musste im vergangenen Jahr erneut Federn lassen. Laut der jüngsten »Dynamar Reefer Analysis« umfasste die Flotte Mitte 2019 noch 26 konventionelle Reefer mit zusammen 14,2 Mio. cft unter Deck. Ein Jahr zuvor zählte Dynamar noch 31 Schiffe (16,8 Mio. cft) im Pool Management bei Seatrade. 2016 waren es noch 56 Schiffe (29,5 Mio. cft). Der Niedergang der Flotte in den vergangenen Jahren war zu einem guten Teil Abverkäufen und Insolvenzen von KG-Schiffen geschuldet. Seatrade hatte in den 2000er Jahren insgesamt 28 Reefer-Schiffe an das Emissionshaus MPC verkauft, die als Reefer-Flotten-Fonds bei Privatanlegern platziert wurden. Nach mehreren turbulenten Jahren wurde dieses Kapitel mit der Insolvenz der MPC Reefer Flotte im vergangenen Jahr für beendet erklärt. Maklerangaben zufolge konnte Seatrade gemeinsam mit Partnern acht Schiffe aus dem früheren MPC-Bestand in neue Eigentümerstrukturen überführen und damit am Kontor halten. Auf der aktuellen Flottenliste der Firma sind sieben Namen von Schiffen aufgelistet, die einst von MPC im KG-Markt platziert wurden.

Die wenigen reinen Reefer-Containerdienste, welche Seatrade unter der Marke Streamlines betreibt, werden zunehmend auf Slot-Charter-Basis und nicht mehr mit eigenen gecharterten Schiffen betrieben. Seit Jahresanfang gilt dies auch für den zuvor in Kooperation mit Hapag-Lloyd betriebenen Karibik-Europa-Dienst (Blue Stream). Neuer Partner und alleiniger Vessel Provider ist in diesem Fall die Great White Fleet.

Unterstützung erhält der konventionelle Reefer-Sektor nach wie vor von großen Bananenhändlern in Ecuador, chilenischen Fruchtexporteuren und auch von der neuseeländischen Kiwi-Genossenschaft Zespri. Letztere chartert trotz Teilcontainerisierung noch über 40 Reefer-Frachter pro Jahr für Reisen nach Europa, in den Mittelmeerraum und nach Fernost ein. Die langjährigen Frachtverträge, die Zespri mit Carriern schließt, bilden auch die Basis für aktuelle Neubauprojekte in dem Sektor. Zuletzt vergangenen Juni bei der Bestellung von drei Schiffen mit je 572.000 cft Kapazität durch die japanische Reederei Fresh Carriers. Die Ablieferung soll bereits im dritten Quartal dieses Jahres beginnen.

Am Spotmarkt für Reefer-Charterschiffe ging es zu Jahresanfang überraschend aufwärts. Nachdem Zeitcharterraten für große Frachter mit über 450.000 cft lange bei 30 US Cent pro cft (30 Tage Einsatzdauer) dümpelten, ging es plötzlich auf über 50 US Cent hoch. Zuerst nahm der ecuadorianische Banenenhändler Noboa (»Bonita«) vier Schiffe vom Markt, dann gingen noch je zwei auf Charter an chilenische Kunden und den italienischen Händler CoMaCo. Spotraten für Bananenverladungen von Ecuador ins westliche Mittelmeer zogen binnen kurzer Zeit von 3,20 $ pro Box auf 5 $ pro Box an. »Solche Raten hatten wir im letzten Jahr nicht gesehen«, so Ingrid Christensen, bei Ernst Russ Shipbroker in Hamburg für Reefer-Chartering verantwortlich. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob das ein Strohfeuer war oder sich das Reefer-Segment nach einigen harten Jahren etwas stabilisiert.
Michael Hollmann