Polarstern 2 rendering
Entwurf der »Polarstern 2« (Quelle: SDC/marigraph.com)
Print Friendly, PDF & Email

Für deutsche Schiffbauer sind öffentliche Aufträge wie der Neubau des Forschungseisbrechers »Polarstern« mit hohen Risiken verbunden und daher wenig attraktiv. Der Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) listet die Probleme auf.

Was lange währt, wird endlich gut? Im Fall der »Polarstern«, dem Flaggschiff der deutschen Polarforschung, müsse man schon[ds_preview] »recht gutmütig« sein, um auf diese Frage wenigstens mit »bleibt abzuwarten« zu antworten, sagt Reinhard Lüken, VSM-Hauptgeschäftsführer.

Reinhard-Lueken–VSM
VSM-Hauptgeschäftsführer Reinhard Lüken (Foto: VSM)

»Zehntausende von Arbeitsstunden, Kosten in zweistelliger Millionenhöhe und jahrelang vorgehaltene Produktionskapazitäten bei Werften und Dutzenden von Systemlieferanten ›mal eben für die Katz‹, weil der öffentliche Auftraggeber es sich doch noch mal anders überlegt und die Ausschreibung aufgehoben hat«, so Lüken.

Dass ein Neubau kommen müsse, sei unstrittig. Die aktuelle Forschungsmission der alten »Polarstern« habe dies gerade wieder eindrucksvoll belegt. Das Schiff wurde 1982 abgeliefert. Eine Indienststellung der neuen Polarstern wird nicht vor 2027 erwartet.

»Deutsche Forschungsschiffe sind für die Industrie leider wenig attraktiv.«

Im Sommer 2016 – das Projekt lief schon etliche Jahre, denn eigentlich sollte das neue Schiff in dem Jahr schon in Fahrt gehen – sei der VSM regierungsseitig informiert worden, dass keine der deutschen Werften Interesse an der Ausschreibung bekundet hätte, berichtet Lüken. »Wir wurden gebeten, für Beteiligung zu werben. Es sei doch schließlich ein besonders exponiertes, prestigereiches Projekt.«

Hohe Risiken für Auftragnehmer

Gegenüber dem Auftraggeber habe man dann erläutert, dass deutsche Forschungsschiffe für die Industrie leider wenig attraktiv seien. Als Grund seien Ausschreibungsdetails und hohe Risiken für Auftragnehmer, insbesondere da vergleichbare Projekte der Vergangenheit »stets deutlich zu knapp budgetiert« gewesen seien und zu hohen Verlusten für die Werften geführt hätten.

»Uns wurde versichert, dies drohe hier nicht, denn der Haushaltsansatz für die ›Polarstern‹ sei nicht fixiert, sodass die spezifischen Anforderungen und Risiken im Angebotspreis berücksichtigt werden könnten. Zuletzt bestand dem Vernehmen nach dennoch eine Lücke zwischen ›Erwartung‹ und Angebot in der Größenordnung von etwa 10%«, erklärt der VSM-Hauptgeschäftsführer.

»Mit der berühmt-berüchtigten deutschen Gründlichkeit würgen wir zügige Entwicklung, technischen Fortschritt und Wirtschaftlichkeit ab.«

Mitte Februar hatte die Bundesregierung mit dem Abbruch der Ausschreibung des Neubaus für einen Paukenschlag gesorgt. Die öffentlichen Erläuterungen zum Ausschreibungsstopp verwiesen auf veränderte technische Anforderungen. »Die Ergebnisse des bisherigen Vergabeverfahrens genügen den gegenwärtigen Anforderungen an eine langfristige, leistungsfähige und wirtschaftliche Investition in notwendige Infrastruktur nicht«, erklärte das Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Probleme bei zivilen und militärischen Großprojekten

»Das erscheint nicht unplausibel. Die Polarregionen verändern sich ja leider sehr schnell. Umso mehr müssen aber die Beschaffungsprozesse auf den Prüfstand!«, sagt Lüken und fügt hinzu: »Durch unendliche, immer umfangreichere Bürokratie verlieren wir nicht nur unfassbar viel Zeit. Es werden Unsummen verbrannt in der irrigen Annahme, man könne so Geld sparen. Mit der berühmt-berüchtigten deutschen Gründlichkeit würgen wir gleichzeitig zügige Entwicklung, technischen Fortschritt und Wirtschaftlichkeit ab.«

»Ein ›Weiter wie bisher‹ können wir uns schlicht nicht mehr leisten.«

Zu beobachten sei das nicht nur bei einzelnen zivilen Großprojekten, sondern auch im militärischen Bereich. Wenn Gerichtsfestigkeit von Vergabeentscheidungen zum zentralen Bewertungsmaßstab für gute Arbeit des Beschaffungsamtes werde, statt das Ziel einer optimalen Ausstattung, so spreche dies Bände.

Dabei gebe es im Schiffbau durchaus positive Beispiele, wie öffentliche Beschaffung auch laufen könne, so Lüken. »Mit kurzen Entscheidungswegen und gegenseitigem Vertrauen steht ein optimales Projektergebnis im gemeinsamen Vordergrund. Das ist der Weg, wie die akute Krise in der öffentlichen Beschaffung überwunden kann werden. Ein ›Weiter wie bisher‹ können wir uns schlicht nicht mehr leisten.«