Maya Schwiegershausen-Güth, ver.di-Bundesfachgruppenleiterin Maritime Wirtschaft und Leiterin Vertragsbüro ITF Billigflaggenkampagne Deutschland (Foto: ITF)
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Elf Monate an Bord und kein Land in Sicht. So ähnlich geht es gerade weltweit zehntausenden Seefahrern.

Sie haben guter Hoffnung an Bord angeheuert, mit dem Datum ihrer Heimkehr schon im Gepäck. Doch dann kam Corona und plötzlich ist alles anders. Zum Schutz der eigenen Bevölkerung haben Nationalstaaten ihre Grenzen rigoros geschlossen. Ein- und[ds_preview] Ausreise vorerst nicht möglich. Landgang in Häfen, um sich mit dem zu versorgen, was an es Bord nicht gibt, mit der Familie zu telefonieren oder sich schlichtweg die Füße auf festem Boden zu vertreten, bis auf Weiteres unerwünscht. Die Seeleute sind fast »gefangen« an Bord.

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Nach wie vor ist das Schiff grundsätzlich ein sicherer Ort. Aber die Sicherheit trügt, wenn Seeleuten aufgrund der Kontaktbeschränkungen die notwendige medizinische Versorgung an Land verwehrt wird oder wenn nach zehn Monaten Dienst der Arbeitsvertrag um ein weiteres Mal verlängert und die Müdigkeit so groß wird, dass die Sicherheit des Seemanns in Gefahr ist. Die potenziell verheerenden Folgen für das Schiff, die Küstengewässer und letztlich die globalen Lieferketten haben die politischen Entscheidungsträger kaum im Blick. Die Eindämmung der Corona-Pandemie ist unerlässlich, nationale Sicherheitsmaßnahmen wichtig, aber sie dürfen nicht zu Lasten der physischen und psychischen Gesundheit der Frauen und Männer auf See gehen.

Beschäftigten sind essentiell für funktionierende globale Lieferketten

Wir leben in einer globalisierten Wirtschaft, deren Erfolg v.a. vom Funktionieren eines komplexen Systems weltweiter Lieferketten abhängt. Der verlässliche Warentransport auf See ist dabei eine wichtige Säule. Ca. 90% des Welthandels erfolgen auf dem Seeweg. Die Seeschifffahrt und damit die Beschäftigten sind essentiell für funktionierende globale Lieferketten. Kommt es hier zu Komplikationen, merken wir dies, wenn die benötigen Halberzeugnisse nicht mehr in den Fabriken ankommen und die Fertigung bedroht ist, wenn der Onlinehandel längere Lieferzeiten hat oder wir das liebgewonne Produkt im Supermarktregal vermissen.

Jetzt müssen andere Länder nachziehen

Damit die Frauen und Männer an Bord ihre Arbeit weiterhin gesund und sicher verrichten können, braucht es dringend eine Koordination auf globaler Ebene. Auf Druck der Sozialpartner ist die Europäische Union mit ihren Leitlinien zur Behandlung von Seeleuten vorangegangen. Deutschland ist gefolgt und hat den besonderen Status von Seeleuten anerkannt. Der Crewwechsel ist in Deutschland wieder für alle Nationalitäten möglich. Jetzt müssen andere Länder nachziehen. Dabei wird die schrittweise Abkehr der deutschen Seeschifffahrt von deutschen Seeleuten in Zeiten wie diesen zur Herausforderung. Die Mehrheit der Beschäftigten an Bord kommt aus Asien und Osteuropa. Auch diese Länder müssen den Empfehlungen der ILO und IMO folgen, die wirtschaftliche Schlüsselposition von Seeleuten für die globale Wirtschaft anerkennen und die Reisebeschränkungen lockern. Wenn dann noch die Transportkorridore in die Heimat geöffnet werden, steht der weltweiten Ablösung nichts im Wege.

Es braucht wahrhaftige Lösungen

Corona ist kein Sturm, dessen Vorüberziehen sich geduldig abwarten lässt. Jetzt ist agieren gefragt. Statt des einfachen Weges der monatsweisen Verlängerung von Arbeitsverträgen und Sicherheitszertifikaten, braucht es wahrhaftige Lösungen und die Annahme von Verantwortung. Seeleuten leisten gerade Unglaubliches. Darauf darf sich nicht ausgeruht werden. Die Menschlichkeit sowie die Sicherheit von Schiff, Umwelt und Wirtschaft sind sonst in Gefahr.

Maya Schwiegershausen-Güth,
Leiterin Vertragsbüro ITF Billigflaggenkampagne Deutschland (Foto: ITF)

 


 

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