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Die SMM-Verantwortlichen sehen sich in der Entscheidung, die Weltleitmesse für maritime Technik aufgrund der Corona-Krise zu verschieben, bestätigt. Experten erwarten einen neuen Schub für die Transformation der Branche, fordern aber auch politische Unterstützung.

Die alle[ds_preview] zwei Jahre stattfindende Messe war bereits in der vergangenen Woche auf Februar 2021 verschoben worden. Bei einer virtuellen Pressekonferenz betonte Hamburgs Messechef Bernd Aufderheide jetzt: »Die immer noch sehr dynamische Entwicklung der Pandemie sowie die damit einhergehenden Verbote von Großveranstaltungen haben uns dazu bewogen, die SMM auf Februar 2021 zu verschieben. Die überwiegende Mehrheit der Aussteller zieht bei dem neuen Termin mit. Wir bekommen viel positives Feedback.«

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Hamburgs Messechef Bernd Aufderheide (Foto: HMC)

Die Rückmeldungen bestärke das Team darin, richtig gehandelt zu haben. »Gemeinsam werden wir diese Krise überwinden und eine SMM veranstalten, die den gewohnt hohen Standards entspricht«, so der Messechef weiter.

»Wie der Wechsel vom Segel- zum Dampfschiff«

Zum Briefing hatte er sich eine Reihe maritimer Experten auf das virtuelle Podium geholt, die ihre Ansichten zur Branche vertraten. Martin Stopford, Präsident von Clarksons Research sieht die maritime Industrie mit dem Klimawandel, der Digitalisierung und jetzt zusätzlich mit der Coronakrise konfrontiert. Veränderungen, die »ein ähnliches Ausmaß erreichen werden wie der Wechsel vom Segel- zum Dampfschiff«. Man dürfe dabei nicht übersehen, dass sich das Handelswachstum bereits vor Corona verlangsamt habe.

»Ich bin mir sicher, dass wir mehr Kurzstreckenseeverkehr und lokale Fertigung erleben werden«

Martin Stopford

Das Nearshoring ist für ein wichtiges Thema: »Wir treten in eine Ära ein, in der die Globalisierung nicht mehr das dominante Thema ist. Ich bin mir sicher, dass wir mehr Kurzstreckenseeverkehr und lokale Fertigung erleben werden«, so Stopford. Er hält drei Szenarien für die Schifffahrt nach Corona für möglich: Im besten Fall nimmt der Seehandel im Jahr 2023 wieder zu und wächst um 3,2 % pro Jahr. Das zweite Szenario sieht eine ausgedehnte Rezession mit einem Rückgang des Welthandels um ein Prozent zwischen 2020-2024 und ein anschließendes Wachstum von 2,2 % vor.

»Im letzten und schlimmsten Fall kommt es zu einer ausgedehnten Rezession mit einem Rückgang des Seehandels um 17 % bis 2024.« In der Brennstofffrage rechnet der Schifffahrtsexperte mit drei Innovationswellen. »Diesel ist ein wunderbarer Stoff, und es wird nicht einfach sein, ihn zu ersetzen«, sagte Stopford. Zunächst werde es optimierte Schiffe mit konventionellem Antrieb geben. Daraufhin folgen in der zweiten Welle Gas- und Hybrid oder Elektroschiffe mit niedrigen Emissionen, fortschrittlichen digitalen Systemen und Batterien. Die letzte Welle bringe schließlich Zero-Emission-Schiffe, die mit Brennstoffzellen fahren.

Rückenwind für Wind-Technik

Ein Weg, bereits jetzt Emissionen einzusparen, ist nach Ansicht einiger Beobachter – und Hersteller – Windkraft. Darauf setzt etwa Cristina Aleixendri, COO bei bound4blue. Aleixendri glaubt, dass die Pandemie der Branche viele Chancen eröffnet: »Corona könnte die treibende Kraft sein, um die Ziele der Dekarbonisierung noch vor 2050 zu erreichen.«

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Dirk Lehmann (Foto: Becker Marine Services)

Bound4blue hat das intelligente Segelsystem „Wingsail“ entwickelt. »Damit sparen die Reedereien bis zu 40 % Brennstoff und die entsprechenden Emissionen ein«, behauptet Aleixendri, die es 2019 in die Forbes-Liste »30 under 30« geschafft hat.

Knackpunkt ist aber weiter die Investitionsbereitschaft der Kunden. Dirk Lehmann, Managing Director des Hamburger Unternehmens Becker Marine Systems und stellvertretender Vorsitzender des Schiffbauverbands SEA Europe forderte weitreichende Zugeständnisse und Hilfe von der Politik: »Werften und maritime Zulieferer sind eine wesentliche Säule des Seetransportsektors. Diese Unternehmen und ihre Belegschaften spüren die Auswirkungen der Pandemie extrem. Sie brauchen die Unterstützung der politischen Entscheidungsträger. Nur so kann die Versorgung mit Gütern weiterlaufen und der technologische Fortschritt in Europa gewährleistet werden.«

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Sabrina Chao und Şadan Kaptanoğlu (Foto: Bimco)

Für Seeleute ist Corona nach wie vor eine immense Herausforderung, zigtausende sitzen auf See fest oder warten zuhause auf neue Beschäftigungen, weil Crew-Wechsel derzeit nur stark eingeschränkt möglich sind. Für Sadan Kaptanoglu, Präsidentin des Internationalen Reederverbandes BIMCO, sind die Seeleute die vergessenen Helden der Krise. Die Regierungen auf der ganzen Welt sollten sie als das anerkennen, was sie sind – Schlüsselkräfte, die dafür sorgen, dass der Welthandel weiterhin funktioniert. Die Regierungen müssten alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Crew-Wechsel in den Häfen zu erleichtern. Der Klimawandel bleibe bestimmendes Thema: »Es ist zwar nicht überraschend, dass die Umweltprobleme derzeit nicht die Schlagzeilen bestimmen, doch die Industrie ist nach wie vor fest entschlossen, ihr vorrangiges Ziel der Halbierung ihrer Treibhausgasemissionen bis 2050 zu erreichen.«

Im Krisenmodus bewegt sich auch die Klassifikationsgesellschaft DNV GL – und sieht sich zugleich gut vorbereitet: Seit der Einführung des Ferndiagnose-Tools DATE (Direct Acess to Technical Experts) im Jahr 2018 hat DNV GL bereits mehr als 15.000 Besichtigungen aus der Ferne durchgeführt. »Wir haben uns in den letzten Jahren bereits intensiv mit dem Thema vertraut gemacht«, sagte Knut Ørbeck-Nielssen, CEO von DNVGL – Maritime. Flexibilität sei in diesen Zeiten Trumpf.

DNV GL, Ørbeck-Nilssen, IACS
Foto: DNV GL

So geben die Norweger den Kunden mehr Spielraum: »Wir wissen, dass sich viele Schiffseigner aktuell in einer schwierigen Lage befinden. Deshalb gewähren wir ihnen die Verschiebung von Besichtigungen mit Berufung auf die Klausel der höheren Gewalt«, so Ørbeck-Nielssen. Inmitten jeder Krise gebe es auch die Chance, besser zu sein. »Wir stehen an der Schwelle zu einer Renaissance der Schifffahrt und der maritimen Industrie. In nur wenigen Monaten hat die Pandemie die Digitalisierung um ein halbes Jahrzehnt vorangetrieben.«

Maritime Future Summit & Co.

Corona-Krisenmanagement, Green Shipping, Digitalisierung: Die SMM-Verantwortlichen gaben rund acht Monate vor Messestart einen Vorgeschmack auf die bestimmenden Themen der Branche. Nicht zuletzt die geplanten Fachkonferenzen dürften hier weitere interessante Erkenntnisse bringen. Dazu wird erneut der »Maritime Future Summit« gehören. »Wir freuen uns darauf, im Februar Besucher aus über 120 Ländern zu begrüßen. Sie treffen in Hamburg auf Aussteller, die mit ihren innovativen Produkten und Dienstleistungen den Stand der maritimen Technik repräsentieren«, sagte Aufderheide.

Im Februar soll die 29. Auflage der SMM stattfinden. Es werden rund 2.000 Aussteller und 50.000 Besucher in der Hansestadt erwartet.