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Für einen effizienteren Schiffsbetrieb spielt die Messtechnik eine große Rolle.

Ein neues Projekt setzt auf Lerneffekte aus der Automobil-Branche. Ein Frachter

als Testobjekt ist bereits gefunden.

Die »Hohebank« soll es werden – das Schiff, auf dem Messtechniker zeigen wollen, dass man mit Digitalisierung und ausgefeilter Technologie noch[ds_preview] einiges mehr erreichen kann, wenn es um die Verbrauchseffizienz an Bord geht. Allerdings auch, dass die maritime Industrie anderen Branchen hinterherhängt.

Die Bramstedter Reederei Rass stellt das zwölf Jahre alte Containerschiff für ein neues Projekt zur Verfügung. Mithilfe des 139m langen 1.300-TEU-Frachters soll gezeigt werden, dass branchenübergreifende Kooperation und der Blick über den Tellerrand konkreten Sinn ergeben kann. Zur Erklärung müssen wir ein wenig ausholen.

Reederei Rass stellt »Hohebank«

Bereits seit 2017 treiben das Grazer Unternehmen AVL List und das Ingenieurbüro Hawe aus Giffhorn die Entwicklung voran. Eine entscheidende Rolle fällt dem Maritimen Cluster Norddeutschland (MCN) zu, das den Kontakt zum Reeder vermittelte. AVL List beschäftigt sich mit der Entwicklung, Simulation und Prüftechnik von Antriebssystemen und Verbrennungsmotoren. Rass hat sich nun bereit erklärt, ein neues Messsystem an Bord zu nehmen.

Mittelbarer Ausgangspunkt der Kooperation war der Branchendialog »Cross over innovation« und die in diesem Rahmen entstandene Fachgruppe Mess- und Prüfverfahren. Koordinator des Dialogs ist Jörg Wilke vom Bremer Northern Institute of Thinking.

Im Kontext von Digitalisierung und Industrie 4.0 hatten die niedersächsischen Industriecluster – darunter das MCN, das Oldenburger Energie-Cluster, das Cluster Automotive Nordwest und das Cluster Niedersachsen Aviation – einen branchenübergreifenden Prozess initiiert, der mehrere Schwerpunktthemen in verschiedenen Fachgruppen behandelt.

Die anfängliche Überlegung war: Die Digitalisierung in Verbindung mit Mess- und Prüfverfahren sind in unterschiedlicher Schärfe und Tiefe branchenübergreifende Themen. »Die Vorstellung hat sich in Gesprächen und der Auftaktveranstaltung bewahrheitet. Es gab großen Zuspruch, an diesen Fragestellungen übergreifend zu arbeiten«, sagt Wilke. Seiner Ansicht nach hat sich gezeigt, dass die Schifffahrt an der einen oder anderen Stelle Nachholbedarf in puncto Effizienz und Genauigkeit hat. Gleichzeitig hätten sich die maritimen Vertreter bei den bisherigen Treffen durchaus interessiert und lernwillig gezeigt.

In diesem Fall kristallisierte sich schließlich ein Fokus auf eine präzise Verbrauchsmessung heraus. Manfred Werner vom Ingenieurbüro für Automobile Aggregate Prüftechnik IB-MEW aus Düsseldorf koordiniert das Projekt mit der Reederei und der AVL List. »Konkret sollen die an Bord zu installierenden Systeme Daten sammeln, die in Simulationsmodelle eingespeist werden, die wir für die Automobilindustrie schon haben. Dadurch wollen wir ableiten, wie die Schiffseffizienz verbessert werden kann«, sagt Werner. Die Problematik haben die Beteiligten so formuliert:

Verfügbare Systeme zur Optimierung von Motoren und auch zur Online-Bestimmung von Schadstoffemissionen setzen präzise und zeitlich hochaufgelöste Angaben zum Brennstoffverbrauch voraus. Gleiches gilt für Assistenzsysteme diverser Hersteller zur Antriebsoptimierung. Ein effizienterer Schiffsbetrieb ist nur mit standardisierten Konzepten erreichbar. Durch die derzeit nicht standardisierte Integration von durchaus guten und passenden Messgeräten irgendwo im Booster-System zum Motor sind die Messungenauigkeiten durch umgebungsbedingte Einflüsse auf das Messergebnis allerdings sehr hoch. Wirklich vergleichbare Angaben des Brennstoffverbrauchs sind so kaum möglich sind.

Weiter heißt es, in Verbindung mit einem speziellen AVL-System ließen sich beispielsweise durch eine Optimierung des Gleichlaufs zwischen den Zylindern mittels Variation der Einspritzmengen Verbesserungen im spezifischen Kraftstoffverbrauch von bis zu 6 g/kWh erreichen. Diese können unmittelbar online dargestellt werden. »Ähnliche Einsparpotentiale ergeben sich durch die effiziente Nutzung von Assistenzsystemen zur Propeller- und Ruderverstellung sowie zur Routenoptimierung«, so die Partner weiter. Die Condition-Monitoring-Funktion gebe Auskunft über den Wartungszustand der Maschine.

Ein Gegenbeispiel wird angeführt. Anders als in der Schifffahrt sind ihrer Ansicht nach in der Automobilindustrie hochgenaue, standardisierte Messsysteme zur Bestimmung von Brennstoffverbräuchen seit Jahren üblich. Die Schlussfolgerung: Durch die Übernahme bewährter Messtechniken aus der dieser Branche in Verbindung mit der Nutzung innovativer Experten- und Assistenzsysteme wäre auch ein effizienterer Schiffsbetrieb möglich. In Kombination mit anderen hochauflösenden Messverfahren, die weitere Betriebsdaten wie Drehzahl, Zylinderdruck oder Emissions-Parameter messen, könnten demnach Eingriffe in die Motorsteuerung zur Erhöhung der Effizienz vorgenommen werden. Dies wäre beispielsweise bei der Nutzung unterschiedlicher Brennstoffe sinnvoll.

Die erforderliche Verbrauchsmesstechnik erfordert eine hohe Informationsdichte an Messwerten, sorgfältige Beachtung umgebungsbedingter Einflüsse zur Minimierung von Messfehlern und ist notwendiger und geforderter Bestandteil an AVL- Messsystemen im Prüffeld von Motoren und Fahrzeugen der Automobilindustrie.

Die aus diesen Anforderungen resultierende Systemarchitektur, »welche zwingend die ganzheitliche Beachtung von Messung und Booster-Funktion zur Versorgung des Motors mit Brennstoff erfordert«, ist nun auf die Nutzung am Schiffsmotor übertragen worden.

»Als allererstes muss im maritimen Bereich dieser Spirit der Metrologie aufgenommen werden«

Manfred Werner, Ingenieurbüro für Automobile Aggregate Prüftechnik IB-MEW

Manfred Werner sieht gleichsam Potenzial wie Nachholbedarf: »Als erstes muss im maritimen Bereich dieser Spirit der Metrologie aufgenommen werden. Die Automobilindustrie etwa lebt von Entwicklungen wie dem Motorprüffeld, von Modellen und Versuchsläufen. Daraus ergeben sich ganz klare Anforderungen an die Messtechnik. Ansonsten hat man nicht-standardisierte Systeme und damit einen Fokus auf Messunsicherheiten, die von den Herstellern der Messgeräte genannt werden.«

Auf der »Hohebank« sollen nun motorspezifische Daten gesammelt und analysiert werden. Im Laufe des Projekts kommen schiffsspezifische Daten wie Windgeschwindigkeit und Strömung hinzu. Diese Daten sollen in Simulationsmodelle einfließen um dann Vorschläge machen zu können, beispielsweise zur Geschwindigkeit oder dem optimalen Kurs.

Seiner Ansicht nach gibt es »einige Eingriffe«, die bei der Berücksichtigung der gesamten Einflussgrößen entscheidend sein können für die sogenannte Gesamtmessunsicherheit. Im Endeffekt will man zu standarisierten Systemen kommen, die dann auch hinsichtlich einer Messmittelfähigkeit beurteilt werden können, ob also mit dem Messsystem überhaupt die Einsparpotenziale nachgewiesen werden können.

»Einfache« Messung reicht nicht

»Wenn wir das mit den aus der Automobilindustrie bekannten Simulationsmodellen machen, um zum Beispiel am virtuellen Prüfstand eine komplette Bedatung von einer Motorsteuerung (engl. Engine Control Unit, ECU) durchzuführen, dann muss die dazugehörige Messtechnik auch genau so gut sein«, so der Experte.

Es werde in der maritimen Industrie viel über Digitalisierung geredet. Das könne allerdings nur funktionieren, wenn die metrologischen Aspekte ausreichend verwirklicht seien. Eine einfache Messung mit einem Messgerät reiche nicht. Es müsse schon mehr Aufwand betrieben werden, um vernünftige Resultate zu bekommen, ob beispielsweise ein Mehrverbrauch im Einzelfall aufgrund der Wetterverhältnisse sogar plausibel oder doch eher Folge einer Fehlfunktion ist.

Die Digitalisierung fordert Messungen mit hoher Informationsdichte, bei einem Abgastestzyklus für Nutzfahrzeuge werden mitunter in Abständen von 100 Millisekunden Messwerte genommen. »Ich will nicht sagen, das wir am Schiff im Stationärbetrieb alle 100 Millisekunden ein Ergebnis brauchen. Wenn ein Schiff über Tage normal fährt, kann die Informationsdichte natürlich niedriger sein. Das heißt, ich brauche vielleicht jede Sekunde einen Messwert, der innerhalb der garantierten Gesamtmessunsicherheit liegt, die mein Automatisierungssystem fordert«, so Werner weiter.

»Es ist viel möglich, man muss aus der Deckung kommen« Jörg Wilke

Beim Vergleich der Möglichkeiten hat ein Schiff sogar einen nicht unerheblichen Vorteil: Es gibt, anders als im Pkw, viel Platz im Maschinenraum, um Messsysteme und standardisierte Installationen zu verwirklichen. Werner betont: »Das heißt also, wir haben das Glück, das wir im Grunde am befeuerten Motor im Schiff die gleichen Gesamtmessunsicherheiten wie beim Motorprüffeld erreichen und so die vielen digitalen Vorgänge durchführen können.«

In Anlehnung an die Systeme aus der Auto-Branche wurden für Rass Elemente konstruiert, die bezüglich der Gesamtmessunsicherheiten ähnlich betrachtet werden können sollen. »Die Einflussgrößen auf die Messungen und Unsicherheiten sind im Schiff wie im Nutzfahrzeug«, sagt Werner. Zwar sei im Schiff alles größer, aber: »Der Hydraulikfließplan sieht ziemlich identisch aus wie von einem System, das im Motorprüffeld eingesetzt wird.«

Northern Institute of Thinking

Nach vielen Vorbereitungen und Genehmigungsrunden soll es nun bald mit dem Bau losgehen. Anfang nächsten Jahres sollen die Systeme an Bord der »Hohebank« gebracht werden.

Die Partner werden sich am Erfolg des Projekts messen lassen müssen, wenn sie ein nachhaltiges Umdenken erreichen wollen. Für das MCN ist bereits die erste Stufe durchaus als Erfolg zu verbuchen: »Das Beispiel zeigt, dass durch die Förderung sinnvoller Unternehmenskooperationen langfristig echte Wertschöpfungen generiert werden können – mit oder ohne staatliche Förderung. Der Blick über Branchengrenzen hinweg führt dabei für die Akteure zu echten Synergieeffekten: Die Reeder optimieren die Effizienz ihrer Schiffe und die beteiligten Unternehmen erschließen sich neue Märkte.«

Wilke sieht prinzipiell weiteres Potenzial: »Es ist relativ viel möglich, man muss sich nur auf den Weg machen, aus der Deckung kommen, um ins Gespräch zu kommen.« Das Argument, Zulieferer könnten neue Wettbewerber bekommen, wenn Akteure aus anderen Industrien Verkaufschancen in der Schiffstechnik durch den Dialog überhaupt erst erkennen, will er nicht gelten lassen: »Diese Zweifel sind unangebracht, weil es ja in beide Richtungen geht. Es kann ja durchaus sein, dass Schiffbauzulieferer neue Absatzchancen zum Beispiel in der Luftfahrt entdecken.«
Michael Meyer