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Hinterland, Digitalisierung und Corona: Seefrachtspediteure haben diverse Heraus-forderungen im Blick. Auf Reeder und digitale Speditionen schaut man durchaus kritisch

Schifffahrt ohne Spedition? Hafen ohne Spedition? Undenkbar. Die Logistikkette ist im Wortsinn eine Kette einzelner Glieder, die auf sich gegenseitig[ds_preview] und die gesamte Funktion angewiesen sind. Das wird etwa immer dann deutlich, wenn Umschlag-Verzögerungen zu Staus oder Unregelmäßigkeiten bei der Verwaltung der Frachtpapiere zu Problemen an Bord führen.

Derartige strukturelle Probleme im Seefrachtgeschäft stehen seit langem auf der Agenda der Beteiligten. Grundsätzlich kann der Betrieb aber mehr oder minder normal weiterlaufen. Bricht jedoch ein Ereignis wie die Corona-Pandemie über die Supply Chain herein, sieht das anders aus. Für nicht wenige geht es ums wirtschaftliche Überleben.

Herausforderung für »Kleine«

In einer Blitz-Umfrage des Vereins Bremer Spediteure (VBSp) hatten die Mitglieder kürzlich von Umsatzeinbrüchen um bis zu 30% berichtet. Jedes fünfte Unternehmen fürchtet um seine Existenz.VBSp-Geschäftsführer Robert Völkl geht auf HANSA-Anfrage davon aus, dass die Transportvolumina bei allen Verkehrsträgern in 2021 unter denen des Jahres 2019 liegen werden. Das werde Folgen haben: »Einzelne, vermutlich eher kleinere Wettbewerber, werden verstärkte Kraftanstrengungen unternehmen müssen, um sich erfolgreich am Markt behaupten zu können.« Gleichzeitig erwartet er jedoch keine Welle an größeren Konsolidierungsprojekten: »Nach den gegenwärtigen Erkenntnissen wird nicht mit spektakulären Übernahmen, Fusionen oder Insolvenzen gerechnet. Auszuschließen sind sie indes nicht.« Mit größerer Dynamik dürften sich Digitalisierungstendenzen fortsetzen, meint Völkl.

Ob es eine Notwendigkeit gibt, mit den verstärkt aufkommenden »digitalen Speditionen« zusammenzuarbeiten, die mit schlanken Abläufen und flexiblen Angeboten punkten wollen? Der Geschäftsführer ist eher skeptisch: »If you can’t beat them, join them. – Diese Aussage hat mit Blick auf die digitalen Speditionen begrenzte Aussagekraft.« Er beobachtet, dass die neuen gemerkt hätten, »dass bei den vielen Unwägbarkeiten eines Seetransports mit der Organisation der Vor-und Nachläufe, der Zollabfertigung und Dokumentation eine digitale Abbildung der Prozesse nicht durchgehend möglich ist.« Zudem seien bereits einige Startups von Speditionen schlicht übernommen worden. So hätten sich arrivierte Kräfte das Know-how und die Innovationen gesichert.

»Digitale Speditionen haben gemerkt, dass bei den vielen Unwägbarkeiten eine digitale Abbildung der Prozesse nicht durchgehend möglich ist« Robert Völkl, Verein Bremer Spediteure

Immer wieder überprüft werden müssen seiner Ansicht nach die operativen Prozesse. Die Abbildung der Prozesse durch leistungsfähige Datenverarbeitungssysteme werde immer wichtiger. »Seehafenspediteure setzen seit Jahrzehnten spezielle Software für die Abwicklung ihrer Aufträge und die Kommunikation mit allen Beteiligten ein. Aufgrund der technologischen Entwicklung wird sich die Digitalisierung in der Seehafenspedition noch dynamischer entwickeln«, so der Geschäftsführer des 1901 gegründeten Vereins, der rund 200 Firmen vertritt, die in der Vor-Corona-Zeit einen Umsatz von 2,5 bis 3 Mrd. € pro Jahr erwirtschafteten. Der Ausbildungsberuf »Kaufmann/Kauffrau für Spedition und Logistikdienstleistung« ist neben den Kaufleuten für Büromanagement der mit Abstand stärkste kaufmännische Ausbildungsberuf in Bremen. Jährlich werden weit über 200 Kaufleute ausgebildet.

Die personelle Expertise ist den Seefrachtspediteuren ein hohes Gut. Das wurde bei der Umfrage deutlich. Trotz den Einbußen wird ein Personalabbau ausgeschlossen – zumindest »zunächst« und »weitestgehend«. Die Mitarbeiter zu halten, sei eine große Aufgabe, betont jetzt auch Völkl: »Das wichtigste Kapital sind die Mitarbeiter mit ihren Erfahrungen. Deswegen tun die Spediteure alles, um auch in schwierigen Zeiten ihr Personal zu halten. Mit einem Wiederanziehen der Konjunktur werden die Spediteure jede Fachkraft benötigen.«

Unabhängig von der eigenen Kompetenz spielt im Seefrachtgeschäft die Zusammenarbeit mit Häfen und Reedereien eine große Bedeutung. Hakt es hier, drohen dort Schwierigkeiten.

Den Linienreedern stellt Völkl in dieser Hinsicht kein sonderlich gutes Zeugnis aus: Die Zusammenarbeit habe sich seit rund zehn Jahren »kontinuierlich verschlechtert«. Moniert werden unter anderem Mängel in der Verfügbarkeit des Equipments und in der »Offertentreue« sowie wenig verlässliche Fahrpläne, fehlerhafte Dokumentationen und Abrechnungen, die unzureichenden Informationen bei Verzögerungen und Unregelmäßigkeiten sowie die Schwierigkeiten, bei Bedarf zuständige Mitarbeiter zu erreichen. »Auch die Qualifikation der Mitarbeiter in den Reedereien lässt vielfach zu wünschen übrig«, so der Speditionsvertreter. Zu knapp bemessene Freizeiten für die Demurrage und Detention bei verspäteter Abnahme der Rücklieferungen von Containern, hohe Nebenkosten und die »Erfindung immer neuer zusätzliche Entgelte« würden die Zusammenarbeit ebenfalls nicht verbessern.

Für das Hafengeschäft würde es der VBSp begrüßen, wenn die Gespräche der Terminalkonzerne HHLA und Eurogate über eine Kooperation ihrer Containergeschäfte positive Effekte für Hamburg und Bremerhaven hervorbringen sollten. Dies sei nach dem gegenwärtigen Stand allerdings nicht absehbar. »Die großen Schiffe werden gewiss entweder nur Bremerhaven oder nur Hamburg anlaufen. Eine Beseitigung des Wettbewerbs könnte zu einer Monopolisierung des Umschlags führen, in deren Folge die Anlaufkosten für beide Standorte steigen. Im Ergebnis würde der Wettbewerbsnachteil gegenüber den Westhäfen noch zunehmen«, so Völkl.

Infrastruktur im Fokus

Eine »Baustelle« sehen Völkl und seine Kollegen in der politischen Begleitung der Seefrachtlogistik. Die Politik ist aus ihrer Sicht dringend gefordert – wie auch schon der Corona-Pandemie –, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Seehäfen gegenüber den Westhäfen mit Nachdruck zu steigern, da Konkurrenten wie Rotterdam und Antwerpen kontinuierlich Marktanteile gewännen.

Mittelfristig stehen Ertüchtigung und Ausbau der see- und landseitigen Anbindungen der Häfen auf der Agenda der Spediteure, aus Bremer Sicht sind vor allem die Fahrrinnenanpassungen der Außenweser und Unterweser bis Brake für größere Schiffseinheiten seit mindestens zehn Jahren überfällig. »Die Planfeststellungsverfahren müssen nunmehr energisch vorangetrieben werden«, so die Forderung.

Auch an der Mittelweser müssten Maßnahmen durchgeführt werden, damit ein wirtschaftlicher Containertransport mit Großmotorgüterschiffen im Hinterland möglich wird. Zudem habe die Fertigstellung des Autobahnrings (A 281) für den städtischen wie für den überregionalen Verkehr »überragende Bedeutung«.