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Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) müssen noch einige Hürden nehmen, um in der Konstruktion, im Schiffbau und im Schiffsbetrieb zur breiten Anwendung zu kommen. Dass das passiert, steht nach Expertenmeinung aber längst außer Frage

Nach Einschätzung von Axel Friedewald vom Institut für Produktionsmanagement und –technik (IPMT) an der Technischen Universität Hamburg (TUHH) sind Virtual[ds_preview] und Augmented Reality für den gesamten Produktlebenszyklus eines Schiffs relevant. Der Einsatz von Virtual Reality sei vor allem im Bereich Konstruktion und Planung sinnvoll, in den Anwendungsgebieten Fertigung, Inbetriebnahme und Betrieb sei vor allem Augmented Reality gefragt. In der Schulung könnten dann beide Ausprägungen der Technologie nutzbringend eingesetzt werden.

Auch Uwe von Lukas vom Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD in Rostock sieht in AR und VR keine unterschiedlichen Technologien, sondern eher ein »Kontinuum«. »Es geht um digitale Daten, die wir dem Anwender zur Verfügung stellen«, sagt er. Die Vision ist ein 3D-Modell aus der Konstruktion, angereichert mit Daten aus Bedienungsanleitungen und weiteren Quellen. Dieses Modell soll den Anwender beim Bau eines Schiffs und später bei dessen Betrieb mit Zusatzanweisungenversorgen.

»So weit sind wir noch nicht«, sagt von Lukas. »Der Knackpunkt ist nicht die technische Anwendung, das wesentliche Problem ist, dass wir nicht an die Daten herankommen, da existiert noch ein Silodenken.« Auch Friedewald sieht die wesentliche Herausforderung für die Technologie in der Bereitstellung von 3D-Daten für den Kunden, da beispielsweise Werften dadurch einen Know-how-Abfluss befürchten. Viele Firmen agieren in einem komplexen Geflecht aus Lieferanten und Kunden, in dem sich jeder sicher sein muss, die Souveränität über seine Daten zu behalten, merkt von Lukas an. Friedewald verweist zusätzlich darauf, dass auch die Mitarbeiterbelange rechtlich geklärt werden müssen, »insbesondere wenn die Systeme auch Rückmeldeinformationen liefern. Sollen Wartungsassistenzsysteme eines Serviceanbieters Daten des Schiffsbetreibers nutzen, sind im Vorwege rechtliche Fragen zu klären.«

Als Lösung sieht von Lukas die Blockchain-Technologie, die bereits in anderen Branchen erprobt sei. »Blockchain würde auch die Datenhoheit und die Nutzungskontrolle im Kontext einer AR-Anwendung sichern«, sagt er. »Es gibt die technischen Vorkehrungen, das Konzept ist in verschiedenen Branchen wie Logistik und Automotive in der Einführung.

Dazu braucht es Schnittstellen, derzeit arbeitet man am Fraunhofer IGD an solchen Spezifikationen für die maritime Branche mit dem Ziel eines branchenweiten Datenmodells, dem Maritime Data Space, abgeleitet vom Konzept des International Data Space.

Von Lukas strebt ein offenes Modell an und will das Fraunhofer-Institut als Hersteller-unabhängigen Akteur in einer Mittlerrolle positionieren, die als vertrauenswürdige Zwischeninstanz die »Datentöpfe« verbindet.

Eine weitere Herausforderung stellt die Internet-Konnektivität an Bord von Schiffen dar, nicht in jeder Weltregion, nicht an jeder Stelle unter Deck und nicht bei jedem Wetter besteht eine ausreichende Verbindung mit genügend Bandbreite. Also müssen Daten gepuffert und Datenmengen reduziert werden.

Während die härtesten Nüsse auf der Datenseite zu knacken sind, gibt es auch noch ein paar technische Schwierigkeiten. So sei das Tracking an Bord, also die Position und Blickrichtung eines Nutzers, schwieriger als bei einem Anwender an Land, sagt von Lukas. »Das normale Tracking nutzt Algorithmen und Beschleunigungssensoren, deren Signale etwa durch die Rollbewegung eines Schiffs verfälscht werden können.« Um dieses Problem anzugehen, läuft am Fraunhofer IGD. derzeit ein Projekt zur Kompensation der Schiffsbewegung und zur Korrektur des Kamerabildes.

Große Vorteile von Virtual Reality sieht Friedewald in der Konstruktion und Fertigung, wie es z.B. bei der Meyer-Werft auch zur Information der Werker eingesetzt werde. »Hier sinkt der Aufwand zur Fehlerbeseitigung und Erkennen von Problemstellen im Vorwege«, sagt er, und auch im Bereich Retrofit eröffnete VR Chancen bei der Umkonstruktion. Im Testbetrieb seien Wartungsszenarien für Schiffskomponenten, sowohl als Tablet-oder Smartphone-Lösung oder als Microsoft-Hololens-Anwendung, berichtet Friedewald. Letzteres wird beispielsweise im dem im September endenden TUHH-Verbundprojekt WASSER erforscht. »Wir errechnen Einsparungen und Qualitätsverbesserungen sowohl für Servicedienstleister als auch Bordpersonal«, sagt Friedewald.

Die Navigation ist ein weiteres Anwendungsszenario, auch hier arbeitet man beim Fraunhofer IGD an einem Projekt, um Augmented Reality auf der Brücke zum Einsatz zu bringen und Kapitän und Lotsen mit Extra-Informationen zu versorgen. Das könnte gerade in kritischen Situationen, etwa bei hohem Verkehrsaufkommen, beim Anlegen oder bei schlechtem Wetter, helfen. Die Technologie erlaubt es, Informationen von separaten Monitoren zu verbinden und digitale Daten mit visuellen Informationen, die der Blick durch das Fenster bietet, zu verbinden. »Mit der Integration von Augmented Reality in das Schiffsfenster könnte man auch dem Akzeptanzproblem von herkömmlichen VR-Brillen begegnen«, meint von Lukas. »Je nach Position und Blickrichtung kann man die Person mit den richtigen Infos füttern.«

Einzelne Komponenten habe man bereits in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie an Bord eines BSH-Schiffs getestet. Auf der auf Februar 2021 verschobenen Schiffstechnikmesse SMM in Hamburg soll ein Prototyp vorgestellt werden, verrät von Lukas.

Denn Datenbrillen, die man auf der Nase trägt, seien sicher nicht der Weisheit letzter Schluss, so der Experte. »Das ist eine noch sehr junge Technologie, mit der heute erhältlichen Consumer-Technik sei der große Erfolg noch nicht möglich«, sagt von Lukas, der aber überzeugt ist, dass sich VR und AR etwa bei der 3D-Konstruktion auf Werften durchsetzen werden und sich Prozess- und Usability-Defizite beseitigen lassen. »Man wird die Uhr nicht zurückdrehen können.«