Hulls of Ships – als Planung in den Schiffbau einzog

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Im April 1675 legte William Keltridge, Zimmermann auf der Yacht »Cleaveland« in Portsmouth, Aufzeichnungen vor, welche technische Daten über den[ds_preview] Bau von Marineschiffen in England enthielten. Die Zusammenstellung des Tabellenwerks erfolgte offenbar auf Veranlassung des Inspekteurs der Flotte (»Surveyor of the Navy«), Sir John Tippetts, und des Schiffbaumeisters (»Master Shipwright«) der Marinewerft Portsmouth, Sir Anthony Deane. Keltridge nannte sein Werk »His Book«. Es bestand aus Zahlentafeln mit Abmessungen und Kosten für sämtliche Schiffsklassen (»rates«) der Marine. Angegeben waren etwa die Anzahl, Länge und Stärke der einzelnen Laufblöcke, die Länge und Dicke der Rahen und die Fläche der Segel. Auch die Größe der Vorratskammern und Lasten wurde notiert und ins Verhältnis zur voraussichtlichen Fahrtzeit eines Schiffes gebracht. Darüber hinaus stellte Keltridge Maßregeln auf, wie Schiffspläne und Schiffszeichnungen anzufertigen seien.

Diese sollten Gewähr dafür bieten, dass die Rümpfe einzelner Klassen die gleiche Form aufwiesen und bereits in Dienst befindliche Schiffe einheitlich vermessen werden konnten. Schließlich listete er alle Schiffe der Royal Navy des Jahres 1674 unter dem Gesichtspunkt auf, wie viele Besatzungsmitglieder und Geschütze (»men and guns«) diese besaßen.

Die Vereinheitlichung der Schiffe innerhalb verschiedener Klassen sollte die Konstruktion der einzelnen Bauten einschließen. Vereinheitlichung hieß Planung und Planung bedeutete die Anwendung wissenschaftlicher, also mathematischer und physikalischer Methoden im Schiffbau.

Die Neuorganisation der Royal Navy unter dem Sekretär der Admiralität, Samuel Pepys, im berühmten ersten Schiffbauprogramm, dem »Establishment of Men and Guns« von 1677, beruhte auf diesen beiden Säulen. Die empirischen Grundlagen und die Zeichnungen für sämtliche 30 Schiffe des Bauprogramms stammten von Sir Edmund Dummer, einem Mitarbeiter von Tippetts. Die wissenschaftliche Basis wurde von Deane gelegt, der 1670 in seinem berühmten Werk »Doctrine of Naval Architecture« (Grundlagen des Schiffbaus) Linienrisse zeichnete und die Unterwasserform von Schiffsrümpfen konstruierte.

Bruch mit der Tradition

Die Arbeit von Pepys, Deane, Dummer und auch Keltridge richtete sich gegen die Tradition, den Schiffbau ausschließlich in der Kompetenz von Handwerkern zu belassen. Englische Schiffe drohten in der technischen Konkurrenz zu anderen europäischen Nationen wie etwa Frankreich zurückzufallen und in alten Traditionen zu verharren: Die Gründung der französischen »Académie des Sciences« im Jahr 1677 etwa brachte so bedeutende Werke hervor wie »L’Architecture Navale« (»Schiffbau«) von C.R. Dassié oder »Théorie de la Construction des Vaisseaux« (»Theorie der Schiffskonstruktion«) von Paul Hoste.

Der englische Thronfolgestreit von 1678 bis 1685 unterbrach das Schiffbauprogramm. Die protestantischen Gegner des katholischen Kronanwärters, des Duke of York, wollten ihn von der Thronfolge ausschließen. Pepys war ein Freund des Dukes und wurde wegen einer Intrige inhaftiert. Die englischen Werften waren aus Inkompetenz und Geldmangel nicht mehr in der Lage, das Bauprogramm durchzuführen. Erst 1684, mit der doch erfolgten Thronbesteigung des Duke of York als König Jakob II. wurde das ehrgeizige Programm des Samuel Pepys wieder aufgenommen.

William Keltridge arbeitete in jener Zeit an seinem zweiten Werk, »Hulls of Ships« (»Schiffsrümpfe«), das vereinheitlichte Maßangaben für die Schiffe der Flotte und darauf basierende Zeichnungen für Fregatten und Sloops 4., 5. und 6. Klasse enthielt. In der Nachfolge von Anthony Deane zeichnete Keltridge als einer der ersten die Unterwasserlinien. Seine wissenschaftliche Arbeit bestand zwar hauptsächlich in der Anwendung geometrischer Formen. Sein Werk enthielt aber bereits Längsrisse sowie vordere und achtere Ansichten mit Rumpflinien und Spanten – begleitet von Tabellen mit Schiffsdaten.

Planung wurde in der Folge zur Normalität, und der Weg zur Wissenschaftlichkeit im Schiffbau, zur Bestimmung von Rumpfform, Stabilität und Geschwindigkeit mit Hilfe von Zeichnungen und Modellen, war vorgeprägt. »Hulls of Ships« von Keltridge ist weltweit in nur zwei Exemplaren überliefert – ein Original liegt auf Deck 3 im Internationalen Maritimen Museum Hamburg.


Axel Griessmer – Internationales Maritimes Museum Hamburg