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Der Fährsektor in Europa hat besonders mit der Covid-19-Pandemie zu kämpfen. Eine Erholung des zeitweise völlig eingebrochenen Passagiermarkts könnte einige Zeit brauchen. Dennoch sehen die Reedereien Chancen in der Zukunft, berichtet Felix Selzer

Bei Scandlines war das GeschäftAnfang 2020 noch relativ stabil, Covid-19 und die anschließenden Reisebeschränkungen führten jedoch zu einem starken[ds_preview] Rückgang des Passagierverkehrs. Zu Beginn der Corona-Krise beförderteScandlines nur einen Bruchteil der budgetierten Pkw und Passagiere. Anfang des Sommers gingen die Zahlen wieder nach oben. »Allerdings haben sich Scandlines’ Verkehrszahlen im Pkw-Bereich gegenüber dem letzten Sommer halbiert«, erklärt die Reederei. Man erwartet, dass die Verkehrszahlen auch für den Rest des Jahres negativ durch die Corona-Krise beeinflusst werden. Die Anzahl der Lkw zeigte sich hingegen fast unverändert.

»Positiv betrachtet konnte unsere Reederei ein hohes Maß an Flexibilität an den Tag legen. Die Geschäftsorganisation zeigte sich agil und anpassungsfähig«, erklärt Scandlines. Man arbeite nun daran, die Auswirkungen der negativen externen Verhältnisse durch Kostenkontrolle und Effizienzsteigerungen zu vermindern. »Wir müssen davon ausgehen, dass das Coronavirus unser Geschäft bis weit in das Jahr 2021 hinein beeinträchtigen wird«, heißt es. Man plane aktuell weder eine Erweiterung noch eine Reduzierung des Routennetzwerks und gehe langfristig von einem Anstieg im Frachtbereich aus, vor allem durch eine Zunahme des Internet-Handels und der Handelsaktivität innerhalb Europas. Die Folgen der Krise könnten langfristig zudem den Pkw-Verkehr positiv beeinflussen, man könne sich vorstellen, dass viele den individuellen Transport einem Flug vorziehen.

»EU-Regeln für staatliche Beihilfen müssen auch in Krisenzeiten eingehalten werden« Emanuele Grimaldi, CEO Finnlines

Auch Finnlines leidet unter der aktuellen Situation. Emanuele Grimaldi, Präsident und CEO, erklärt gegenüber HANSA: »Die Covid-19-Pandemie setzte ihre dramatischen Auswirkungen in Europa und Finnland fort, und operativ war das Quartal äußerst schwierig.« Der Passagierverkehr kam fast vollständig zum Erliegen, im zweiten Quartal wirkte sich die Pandemie auch auf das Ladungsaufkommen negativ aus.

»Den Passagierverkehr wird es in der Ostsee immer geben, und er ist einer der profitabelsten Verkehre für Reedereien, so dass wir zuversichtlich sind, dass die Pax-Ströme wieder auf das Vorkrisenniveau zurückkehren werden, sobald die gesundheitliche Krise vorüber ist. In der Zwischenzeit ist es wichtig, dass die staatlichen Beihilfen gerecht verteilt werden, um Marktverzerrungen zu vermeiden«, sagt Grimaldi. Der Finnlines-CEO zeigt sich besonders besorgt über Notfallhilfen, die der finnische Staat einigen Reedereien bisher gewährt hat, »da sie für die Versorgungssicherheit nicht optimal, für die Gesellschaft teuer, für verschiedene Unternehmen desselben Sektors ungleich und diskriminierend sind und somit gegen die EU-Beihilfevorschriften verstoßen.« Die EU-Notstandsregeln für staatliche Beihilfen und die Gleichheitsregeln müssten auch in Krisenzeiten eingehalten werden, wenn man wolle, dass lebenswichtige Märkte funktionierten.

»In jedem Fall verfügt Finnlines über breite Schultern und eine ausreichende Effizienz, um vergangene und mögliche zukünftige Quartale mit schwachen Volumina zu überwinden«, zeigt sich Grimaldi zuversichtlich. Ungeachtet der Unsicherheit des Marktes und der mit Covid-19 verbundenen Einschränkungen sei Finnlines bestrebt, den Passagier- und Frachtschiffverkehr auf den Routen zu Marktbedingungen zu sichern.

Kreativität ist gefragt

Tallink musste Mitte März den Freizeitverkehr fast vollständig einstellen, nur die Hälfte der Schiffe blieb in Betrieb, hauptsächlich für den Gütertransport. Im Juni konnten einige der Hauptrouten wieder geöffnet und neue angeboten werden. Die estnische Reederei ist zuversichtlich, dass das Unternehmen zu seiner Stärke und Marktform zurückkehren wird, aber es werde sicher noch einige Zeit dauern. ›Business as usual‹ kann neu definiert werden«, erklärt man. »Wir haben gelernt, kreativ zu sein, schnell zu entscheiden und Mut zu haben, etwas Neues auszuprobieren«, so die Reederei.

Während der Hauptzeit der Pandemie erlebte Tallink eine große Nachfrage, den RoRo-Frachtverkehr zwischen den Heimatmärkten zu sichern – hauptsächlich mit RoPax-Fähren, was aber wirtschaftlich nicht rentabel war. »Vor diesem Hintergrund und angesichts einiger Lehren, die wir aus der Pandemie gezogen haben, ist es daher durchaus sinnvoll, unsere Flotte für die Zukunft zu diversifizieren und zu stärken«, heißt es.

»Die Nachfrage ging nicht zurück,sie verschwand einfach« Adolfo Utor, CEO Baleària

Die spanische Reederei Baleària hatte vor der Pandemie mit guten Zahlen und Investitionen Schlagzeilen gemacht. Dann musste die Hälfte der Flotte stillgelegt werden, während der Rest nur noch für die Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern zur Verfügung stand. Aktivität und Einnahmen seien um etwa 70% zurückgegangen, sagt CEO Adolfo Utor.

»Diese Krise hat uns alle überrascht; niemand hat so etwas jemals zuvor erlebt. Die Krise von 2008, die dasselbe System gefährdete, erreichte nicht die Virulenz der durch die Pandemie ausgelösten Krise. 50% unserer Einnahmen stammen aus dem Personenverkehr. Die Nachfrage ging nicht zurück, sie verschwand einfach«, so Utor. Auch das Ladungsaufkommen sei um bis zu 50% gesunken. »Selbst im schlimmsten Fall war diese Situation nicht vorhersehbar. Die Lektion, die man gelernt hat, ist, dass man sich auf das Schlimmste vorbereiten muss und dass alles immer schlimmer werden kann«, sagt er. Utor sieht die Branche und die Wirtschaft insgesamt vor einer »sehr komplexen Wiederaufbauphase«.

Bei Scandlines steht der Umweltaspekt trotz Corona »weiterhin ganz oben auf der Tagesordnung«. Im Rahmen des Unternehmensziels »grüne Fährschifffahrt« unterstütze man die UN-Nachhaltigkeitsziele. Um die Agenda bis 2030 umsetzen zu können, identifiziere und bearbeite man laufend neue Projekte, heißt es.

Finnlines will weiter nachhaltigere Schiffe einsetzen, in technologisch fortschrittliche Neubauten investieren – derzeit sind drei große und moderne RoRo-Schiffe und zwei RoPax-Schiffe im Auftragsbuch –, Größenvorteile schaffen und Emissionen reduzieren. Es sei wichtig, sich weiterhin auf die Langfristigkeit zu konzentrieren, sagt Grimaldi.

Baleària wurde von der Krise mitten im Prozess der Investitionen, Flottenerneuerung und LNG-Remotorisierung erwischt, und auch inmitten der Digitaisierung von Management- und Effizienzprozessen. »Diese Veränderungen sind es, die uns wettbewerbsfähiger machen können, und sie sind die Säulen des europäischen Wiederaufbauplans. Ich glaube, dass der Personentransport auf dem Seeweg weniger leiden wird als der Luftverkehr, und schon in einem frühen Stadium könnten wir wieder Chancen sehen«, sagt Utor. »Neue Routen werden warten müssen, es sei denn, sie erscheinen als klare Chancen.« Die gesamte Vor-Covid-19-Investitionsplanung soll durchgeführt werden. »Von da aus werden wir vorsichtiger mit neuen Investitionen umgehen, wir werden uns um die Entwicklung der Wirtschaft und die Konsolidierung neuer Projekte kümmern«, so der CEO.

Tallink legt den Schwerpunkt neben dem aktuellen Kerngeschäft auf die Realisierung früherer Investitionen. »Einer unserer wichtigsten strategischen Eckpfeiler sind Umweltstandards«, erklärt die Reederei, die derzeit eine neuen LNG-Fähre in Rauma bauen lässt. Zudem sei die Nutzung von Landstrom für weitrere Schiffe und Häfen für die nächsten Monate geplant.
Felix Selzer