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Alfred Hartmann, Präsident des Verbands Deutscher Reeder, spricht im HANSA-Interview über mangelnde politische Unterstützung, seinen ungebrochenen Optimismus und die Zusammenarbeit mit regionalen Verbänden

Wie bewerten Sie den Zustand des Reedereistandorts Deutschland?

Alfred Hartmann: Nach wie vor bin ich ein absoluter Optimist[ds_preview], was den Standort anbelangt, da unser Knowhow auch international anerkannt wird. Ich bin auch der Meinung, dass der Standort weiter ausgebaut werden kann. Aber wir haben sicherlich einige strukturelle Schwierigkeiten, um Wachstum erzeugen zu können.

Was können oder müssten die deutschen Reeder selbst tun, an welcher Stelle müssen sie nachlegen?

Hartmann: Aus meinen Gesprächen weiß ich, dass viele Kollegen gerne nachlegen würden. Aber es fehlt an finanziellen Mitteln, die großen deutschen Banken müssen sich wieder beteiligen. Außerdem konnten die Reeder in den vergangenen Jahren nur wenig Eigenkapital ansammeln. Auch der Staat muss zulegen. Ich glaube, das Bewusstsein in Deutschland für die Bedeutung einer funktionierende Schifffahrt ist zu wenig vorhanden. Kaum einer macht sich Gedanken darüber, dass etwa die Apfelsinen mit dem Schiff gekommen sind, wenn er seinen Saft trinkt, oder das Mehl für seine Brötchen. Das wird für selbstverständlich erachtet. Es ist nicht einfach, in diesem Umfeld politische Unterstützung zu finden.

Beim Thema Flottenmodernisierung sind innovative Technologien ein ganz wichtiger Aspekt. Dafür gibt es doch politische Fördermaßnahmen… Oder woran hapert es?

Hartmann: Es hapert in zwei Bereichen. So haben wir leider keine Langfristigkeit für den Lohnsteuereinbehalt, die Rückerstattung von Sozialversicherungsbeiträgen oder die Schiffsbesetzungsordnung. Die Programme laufen nächstes Jahr aus und müssen verlängert werden. Wir haben dazu eine Studie bei PWC in Auftrag gegeben. Daraus geht ganz klar hervor, dass es sich lohnt, in den Schifffahrtsstandort zu investieren. Schifffahrt ist wichtig ist für Deutschland und die Maßnahmen der vergangenen Jahre haben gewirkt, wir haben die Zahl der deutschen Arbeitsplätze an Bord weitgehend gesichert, obwohl die Flotte drastisch geschrumpft ist. Wir erwarten also eine Verlängerung der Maßnahmen. Beim Thema Technologie-Förderung muss ich Sie enttäuschen, denn davon kommt leider relativ wenig bei deutschen Reedern an. Ein Beispiel ist die LNG-Förderung: Bestimmte Schiffstypen sind Nutznießer, aber für den »normalen« deutschen Reeder sind die Ansprüche fast nicht erfüllbar.

Was meinen Sie konkret?

Hartmann: Die Fördermaßnahmen beinhalten beispielsweise, dass ein Schiff mindestens acht Jahre wirtschaftlich betrieben werden muss, wobei die Hälfte der Zeit in Europa sein muss. Das heißt, selbst wenn man fünfjährige Chartererträge vorzuweisen hat, ist es schwierig, an diese Fördermittel ranzukommen. Weiterhin geht es um die finanzielle Situation der Reederei. Die meisten Schiffe in Deutschland sind formell jedoch als Einzelunternehmen organisiert. Wie kann ein solches Einzelunternehmen garantieren, dass es in acht Jahren noch existiert? Das muss angepasst werden. Das weiß man in der Politik, aber es ist enorm schwer für uns, diese nötigen Anpassungen politisch durchzusetzen.

Wie ist denn die Situation beim leidigen Thema Versicherungssteuer?

Hartmann: Das passt in das Bild vom fehlenden Verständnis für die Schifffahrt. Auf der einen Seite sind wir ja alle daran interessiert, möglichst viele Schiffe von Deutschland aus zu betreiben. Aber nun soll für Schiffe, die nur von Deutschland aus bereedert werden, aber in ausländischen Registern eingetragen sind, unter bestimmten Voraussetzungen Versicherungssteuer gezahlt werden. Das sind erhebliche Beträge und da sorgt für große Unsicherheit. Wir selbst haben in meiner Reederei schon Schiffe aus dem Management verloren, weil der ausländische Reeder nicht bereit war, hier eine Versicherungssteuer zu zahlen. Gleichwohl bin ich nach wie vor optimistisch, dass wir eine Lösung finden, die vielleicht nicht optimal ist, mit der wir aber leben könnten.

Sie sind dazu also in Gesprächen?

Hartmann: Ja, auch auf Ministerebene. Es ist nicht so, dass wir keine Gesprächspartner mehr haben. Auch der Bundesrat teilt unsere Meinung, aber er wird derzeit zu oft nicht gehört.

Wie haben die deutschen Reeder Ihrer Ansicht nach die Umstellung auf schwefelarme Kraftstoffe – Stichwort »IMO 2020« – bewältigt?

Hartmann: Es gab viele Bedenken im Vorweg, aber bei weitem nicht so viele Schwierigkeiten wie befürchtet, das freut mich. Daran sieht man: Die Politik sollte lernen, dass sie am besten ihre Forderungen umgesetzt bekommt, wenn sie erfüllbar und klar formuliert sind und es feste Fristen gibt.

Die aus Brüssel ins Spiel gebrachte CO2-Steuer trifft wohl nicht auf Ihre Zustimmung, wenn sie nur eine Region der Welt betrifft, oder?

Hartmann: Ja, wenn das global gelten würde, wäre es zumindest gerechter. Aber anderseits ist dann die Frage, ob das Ziel einer CO2-freien Schifffahrt damit erreicht wird – und darum muss es doch gehen. Die Motivation, in neue Technologien zu investieren, wäre für Reeder größer, wenn man diejenigen, die weniger CO2 produzieren, belohnt. Möglich wäre ein Bonussystem – und mit einer gewissen Zeitverzögerung eine harte Frist, nach der zahlen muss, der keine Emissionen einspart.

Immer mehr deutsche Reeder betreiben ihre Schiffe unter einer europäischen Flagge. Könnte es sinnvoll sein, die Diskussion um eine EU-Flagge wieder aufzunehmen, um einen europäischen Flickenteppich zu verhindern?

Hartmann: Das System der freien Flaggenwahl funktioniert derzeit gut. Fast 45% der Schiffe im deutschem Register fahren bereits unter einer europäischen Flagge. Vor ein paar Jahren waren es nur rund 25%. Wichtiger als die Flagge ist meiner Ansicht nach aber, dass die Reedereien hierzulande ansässig sind. Hier werden die qualifizierten Jobs gehalten. Die Ausbildungszahlen sind bei weitem nicht so stark zurückgegangen, wie man es vermuten könnte, wenn man sich die Flottenentwicklung anschaut. Wenn wir den Standort hier stützen, werden wir auch wieder wachsen.

Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit mit regionalen Reedervereinen?

Hartmann: Es mag hin und wieder Forderungen an den VDR geben, die man realistisch oder unrealistisch finden kann. Aber die regionalen Verbände haben eine enorme Bedeutung für die Region, und in der Regel sehr gute Kontakte zu den Politikern und Behörden dort. Ich halte die Zusammenarbeit für gut und würde mich über noch mehr Austausch freuen. Denn am Ende ziehen wir alle an einem Strang und haben ein Ziel: in Deutschland weiter und noch mehr Schifffahrt zu betreiben.

Neue PWC-Studie zum Reedereistandort Deutschland

Plädoyer für alte und neue Fördermaßnahmen

Wie viel oder wenig die deutsche Politik die hiesigen Reedereien sollte, ist eine dauerhafte Debatte. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PWC hat jetzt für den Verband Deutscher Reeder die aktuelle Situation analysiert. Die HANSA zeigt Auszüge aus den Ergebnissen.

Die Corona-Krise zeige, wie bedeutend die Stabilität der Logistikketten für Deutschland und auch seine europäischen Partner ist. Auch unabhängig davon nehme die Schifffahrt vor allem bei der Einbindung der exportorientierten deutschen Wirtschaft in den Welthandel eine Schlüsselrolle ein. Nach Enschätzung der Analysten ist es durch verschiedene Maßnahmen vor und nach der großen Krise ab 2009 gelungen, den Anteil der Tonnage unter deutscher Flagge zuletzt deutlich zu stabilisieren.

»Scheuen wir Anpassungen an das Wettbewerbsumfeld, riskieren wir, das Erreichte zu verlieren«

»Weiterhin erscheint es als noch wichtiger, dass dadurch (jedenfalls bislang) auch die Anzahl der inländischen oder am Standort ansässigen Besatzungsmitglieder durch die Krise hindurch annährend stabil gehalten werden konnte«, heißt es weiter.

Die Schifffahrtsförderung wird somit als »Erfolgsgeschichte« bewertet. Die bestehenden Maßnahmen sollten daher mindestens erhalten und nach Möglichkeit weiter optimiert werden: »Scheuen wir Anpassungen an das Wettbewerbsumfeld, riskieren wir, das Erreichte zu verlieren«, so ein Zwischenfazit, da andere Regierungen ihre Bemühungen zur Steigerung der Attraktivität des eigenen Standortes teils deutlich verstärkt haben.

Einige Maßnahmen werden empfohlen:

Knowhow sichernde Maßnahmen

• Erhalt der bestehenden Fördermaßnahmen

• Anpassungen, etwa an EU-Beihilferichtlinien

• Schaffung größerer Planungssicherheit durch Erhöhung der Laufzeit von Förderprogrammen

• Anpassung der Ausbildungsförderung zur Berücksichtigung weiterer Ausbildungsberufe, z.B. Elektrotechnischer Offiziersassistent

• Stärkung der Attraktivität der deutschen Flagge durch weitere Digitalisierung und Entbürokratisierung

Steuerliche Maßnahmen

• Anpassung an das Niveau europäischer Nachbarländer

• Tonnagesteuerbegünstigung auch für Schiffsmanagementgesellschaften sowie für Offshore-Schiffe und –aktivitäten

• Ergänzung der Tonnagesteuer um eine Umweltbonus-Komponente

• Wiedereinführung steuerfreier Reinvestitionsrückstellung für Seeschiffe

• Abschaffung oder zumindest deutliche Absenkung der Versicherungssteuer

• Prüfung der Gebührenstrukturen für die Eintragung von Schiffen und Schiffshypotheken
Interview: Michael Meyer