Paolo d'Amico, Chairman Intertanko und CEO d'Amico (© d'Amico)
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Das vergangene Jahr war aufgrund der Auswirkungen von Corona-Pandemie und Ölfördermaßnahmen der OPEC-Organisation kein leichtes für die Tankerschifffahrt. Die Erholung wird wohl nur langsam verlaufen, meinen Marktbeobachter.

[ds_preview]Der Reedereiverband Intertanko sieht zwar einige Ungewissheiten für die Branche – Stichwort Dekarbonisierung oder Corona –, so dass eine echte Prognose schwer fällt. Chairman Paolo d’Amico bewertet den Zustand der Tankerbranche gegenüber der HANSA aber insgesamt als »extrem herausfordernd« (siehe Interview). Eine Konsolidierung des Marktes sei denkbar, eine starke Zunahme der Verschrottung älterer Tonnage, für deren Weiterbetrieb es »offen gesagt keinen Grund« gebe, hält er für wünschenswert.
Schon 2020 war ein schwieriges Jahr für die Tanker-Reedereien dieser Welt. Die US Energy Information Administration (EIA) schätzt, dass die weltweite Ölnachfrage um 8,9 % von 101,2 Mio. Barrel pro Tag auf 92,2 Mio. bpd gesunken ist.

China dominiert den Secondhand-Markt

Der jüngste Ölpreiskrieg hatte die Tankerfrachtmeilen im Jahr 2019 bis Mai 2020 hoch gehalten. Nach dem Höchststand im Mai kam der Abschwung mit dem Ende der letzten Runde der OPEC+ Kürzungen – wie von vielen Experten vorhergesagt. Es dauerte bis November 2020, bis die Nachfrage wieder anstieg.
Betrachtet man den Tanker-S&P-Markt in Bezug auf die Anzahl der Schiffe und die Ausgaben, so verzeichnete der Markt nach Januar 2020 eine Delle. In der zweiten Jahreshälfte nahm das Interesse wieder zu und erreichte im Oktober mit einem Gesamtausgabenwert von 1,12 Mrd. $ für 49 Schiffe seinen Höhepunkt. In den letzten 12 Monaten war China das Land, das am meisten Tanker kaufte (54 Schiffe, 1,41 Mrd. $), gefolgt von Griechenland (50 Schiffe, 1,37 Mrd. $), den Vereinigten Arabischen Emiraten (29 Schiffe, 487 Mio. $) und Singapur (25 Schiffe, 263 Mio. $). ICBC Financial Leasing führt die Liste der Top-Tankerkäufer des vergangenen Jahres an und kaufte zehn Schiffe im Wert von 651 Mio. $. Betrachtet man die Plätze 2 und 3 in Bezug auf die Anzahl der Schiffe, so ist die Diskrepanz zwischen der Anzahl der Schiffe und dem Wert erheblich: Waruna Nusa Sentana kaufte sieben Schiffe im Wert von 69 Mio. $, De Poli Tankers kaufte ebenfalls sieben für 45 Mio. $. Während Euronav bei der Anzahl der Schiffe auf Platz 6 liegt, belegt das belgische Unternehmen beim Einkaufswert den zweiten Platz (391 Mio. $ für fünf Schiffe).

Peter Sand, Chief Shipping Analyst bei der Schifffahrtsorganisation Bimco geht – gemessen in Tonnenmeilen – von einem Nachfragerückgang in den Sektoren Rohöl- und Produktentanker um 9,2 % und 6,3 % aus. »Nach dem Boom auf dem Ölmarkt war eine Pleite für die Öltankschifffahrt unvermeidlich, da die Reise- und Wirtschaftstätigkeit eingeschränkt war, aber das Ausmaß des Schocks war unbekannt. Rückblickend war der Schaden für die Tankschifffahrt insgesamt nicht so groß wie der Schaden für die weltweite Ölnachfrage«, sagt Sand.

»Schmerzhafte Erholung«

Ein profitables Ergebnis für die Tankschifffahrt ist in seinen Augen nicht in Sicht, da erwartet wird, dass sich die globale Ölnachfrage nur langsam erholen wird. Die EIA prognostiziert, dass sie erst im dritten Quartal 2022 wieder das Niveau vom Ende des Jahres 2019 erreichen wird. »Die OPEC wird weiterhin Millionen Barrel pro Tag an Produktion kürzen, und es ist unwahrscheinlich, dass die Nachfrage in der Tankschifffahrt einen positiven Schock erleben wird«, so der Bimco-Experte Sand weiter. Dies werde dazu führen, dass die Erträge unter dem Break-even-Niveau bleiben, es sei denn, das OPEC+-Bündnis bricht wieder auseinander.

»Die Öltanker sehen einer langsamen, ungleichmäßigen und unsteten Erholung entgegen, da die Reisebeschränkungen dank neuen Virusmutationen weltweit verschärft werden, auch wenn links, rechts und in der Mitte Impfstoffe ankommen«, meint Sand.

Auch das Beratungsunternehmen Drewry geht von einer »langen und schmerzhaften Erholung« aus. Angesichts rückläufiger Verschrottungszahlen und einer wachsenden Flotte scheint die Wiederherstellung des Gleichgewichts auf dem Rohöltankermarkt schwierig. »Die schwachen Aussichten für den Ölhandel und der mögliche Tonnagezufluss aus der schwimmenden Lagerung lassen vermuten, dass eine Erholung vom Ausmaß der Verschrottungsaktivitäten abhängt. Da die Flotte jedoch sehr jung ist, ist ein schnelles Rebalancing nicht möglich, ohne dass das durchschnittliche Abwrackalter unter 20 Jahre sinkt«, lautet die Einschätzung von Rajesh Verma, Lead Analyst, Tanker Shipping bei Drewry.

Für etwa 81 Großtanker der VLCC-Klasse stehen bis Ende 2022 die vierten oder fünften Special Surveys an, während 102 VLCCs in diesem Zeitraum abgeliefert werden sollen. Von den 81 VLCCs lagern 23 Öl, neun sind mit Scrubbern und Ballastwassersystemen ausgestattet. »Wenn wir annehmen, dass alle Schiffe ohne Scrubber/BWTS vor dem vierten oder fünften Special Survey verschrottet werden, wird die VLCC-Flotte bis 2022 noch um etwa 30 Schiffe auf 863 anwachsen. Bis zur Rückkehr der Ölnachfrage auf das Niveau von 2019 (im besten Fall bis 2022) wird die VLCC-Flotte also von 804 Schiffen Ende 2019 um 59 Schiffe oder 6,7% wachsen«, meint Verma.     (MM)

 

5 Fragen an… Paulo d’Amico, Chairman des Branchenverbands Intertanko, in dem 192 Reedereien mit insgesamt 4.088 Tankern vertreten sind

Wie würden Sie den Zustand der Tankerindustrie beschreiben und was ist die größte Herausforderung für 2021?
d’Amico: Der Zustand der Branche ist aufgrund der Folgen von Covid-19 extrem herausfordernd. Die schwimmende Lagerung löst sich auf, und mehr Schiffe kommen auf den Markt. Wir haben also ein wachsendes Angebot mit einer Nachfrage, die immer noch durch die Pandemie gelähmt ist. Die größte Herausforderung ist eindeutig der Zustand des Marktes, der so lange anhalten wird, bis wir von den verschiedenen Lockdowns befreit sind und die Leute wieder zu reisen beginnen. Es ist zu hoffen, dass die Zahl der Abwrackungen für die alten Schiffe, die offen gesagt keinen Grund mehr zum Fahren haben, stark zunehmen wird.

Welche Auswirkungen hat die Covid-19-Pandemie bisher?
d’Amico: Die bisherigen Auswirkungen waren dank der Einrichtung von schwimmenden Lagern zunächst positiv, aber jetzt erleben wir den umgekehrten Prozess, und deshalb zahlen wir alles, was am Anfang verdient wurde, jetzt zurück.

Erwarten Sie eine (weitere) Konsolidierung des Marktes, sei es durch Fusionen und Übernahmen oder das Auftreten neuer Akteure?
d’Amico: Eine weitere Konsolidierung ist möglich, denn es gibt sowohl die Akteure, die konsolidieren wollen, als auch die, die konsolidiert werden wollen. Ich würde eher sagen, dass es sich um einen Trend handelt, der von den Marktkräften angetrieben wird, als um eine Notwendigkeit zur Konsolidierung.

Wie wird sich die Tankerflotte in den kommenden Monaten und Jahren verändern?
d’Amico: Es ist schwierig, die Größe der zukünftigen Tankerflotte zu definieren. Wir treten in eine Zeit der starken Energiewende ein, die nicht nur die Kraftstoffe, die wir verwenden werden, sondern auch die Ladungen, die wir transportieren müssen, verändern wird. In Anbetracht dieses Wandels ist für die Zukunft eine jüngere Flotte zu erwarten.

Wie sieht die Agenda von Intertanko für die nun kommenden Monate aus?
d’Amico: In nächster Zeit werden wir sicherlich das Problem des Besatzungswechsels auf die eine oder andere Weise lösen müssen. Intertanko und andere Schifffahrtsverbände drängen darauf, Seeleute als Schlüsselkräfte anzuerkennen und damit das Ein- und Ausschiffen sowie den Zugang zu den Impfstoffen zu erleichtern. Aber ich glaube, der wichtigste Punkt ist für Intertanko, wie auch für andere Verbände, die Dekarbonisierung, obwohl es noch viel Verwirrung darüber gibt, wie das geschehen soll.