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Die Schiffsrecycling-Politik der Europäischen Union sorgt weiter für großen Unmut in der Schifffahrt – die Kritik beinhaltet nicht nur die eigentliche Verordnung »EU SRR«, sondern auch die sogenannte »Basel-Konvention«. Von Michael Meyer

[ds_preview]Grünes Schiffsrecycling ist eine recht delikate Angelegenheit, derzeit«, sagte Peter Heier, Chief Executive Officer von Grieg Green aus der skandinavischen Schifffahrtsgruppe Grieg, kürzlich bei einer online durchgeführten Diskussionsrunde. Sein Unternehmen hat in den vergangenen elf Jahren immerhin schon 50 Audits bei weltweit verteilten Werften durchgeführt. Doch die Unzufriedenheit in der Branche ist groß. Bei einigen externen Beobachtern und NGOs gelten Abwrack-Plätze in Südasien noch immer pauschal als Standorte ohne ausreichend gute Arbeits- und Umweltbedingungen. Und sicherlich gibt es noch eine Vielzahl an Stellschrauben, an denen gedreht werden muss. Jeder Unfall mit Verletzten oder Todesfällen, ist einer zu viel. An dieser Stelle soll es allerdings weniger darum gehen, der Branche einen Freibrief zu erstellen. Vielmehr steht das regionale Vorgehen der EU im Fokus.

Zu wenig Genehmigungen

Scrapping in den USA

Nicht Indien, nicht Türkei, nicht China – sondern USA. Der jüngste Neuzugang zur EU-Liste für Schiffsverschrottungen ist das Unternehmen International Shipbreaking, Tochter von EMR Metal Recycling, für seinen Standort in Brownsville, Texas. Man habe die Zulassung nach der EU-Schiffsrecyclingverordnung (EU SSR) erhalten, nachdem 30 Mio. $ in die Infrastruktur investiert wurden, teilte EMR mit. Chris Green, Senior Manager bei International Shipbreaking, sagte: »Wir haben gerade unser erstes EU-Schiffsrecyclingprojekt, die »Wolverine«, erhalten und sicher vertäut. Diese Branche hat eine große Zukunft, und im letzten Jahr haben sich die Anfragen von EU-Schiffseignern verdreifacht.«

International Shipbreaking recycelte nach eigenen Angaben seit 1995 über 100 Schiffe und maritime Strukturen. Laut Green wurde in »eine Unternehmenskultur der Einhaltung von Sicherheitsvorschriften« investiert. Es werden künftig Due-Diligence-Prüfungen durchgeführt, einschließlich Sicherheits- und Umweltbewertungen, bevor überhaupt ein Angebot für ein Projekt abgegeben wird. »Dadurch kann unser Team die Kosten für die Entsorgung von Gefahrstoffen und die Einnahmen, die wir für die recycelten Metalle erhalten, genau abschätzen. Diese Schiffe enthalten umfangreiche Gefahrstoffe, die eingedämmt und entfernt werden müssen. Zu denken, dass diese Operation anders durchgeführt werden könnte, ist rücksichtslos und unverantwortlich«, so der Manager.

Heier fordert einen differenzierteren Blick auf die Dinge: »Die Leute sollten aufhören zu sagen, Indien ist schlecht, die Türkei ist gut, Europa ist gut, denn so einfach ist es nicht. Alle Werften sind unterschiedlich, es gibt überall gute und schlechte Werften.« Seiner Ansicht nach gibt es nach wie vor viele Missverständnisse. Grieg hat mittlerweile eine Menge Schiffe in China und der Türkei, aber auch in Indien erfolgreich recyceln lassen. »Wir haben auch Schiffe in Nordeuropa recycelt, allerdings nicht so erfolgreich. Das sagt eine Menge über die Branche aus. Man kann nicht sagen, ich gehe zu einer Werft in Nordeuropa, weil es dort in Ordnung ist, denn so ist es nicht.« Recycling sei ein komplexer und komplizierter Prozess. »Es ist nicht so einfach, mit dem Recycling zu beginnen, wie es jetzt an vielen Orten in Europa gemacht wird. Europa hat noch einen weiten Weg vor sich, um technisch wettbewerbsfähig zu sein. Sie haben es nicht ernst genug genommen«, so Heiers Bewertung. Weil China seit 2018 keine Schrott-Exporte von Schiffen mehr zulässt, seien die wichtigsten Märkte eben Indien und die Türkei – er hofft allerdings, dass sich die Gerüchte bewahrheiten, wonach Peking sein Importstopp eventuell bald aufheben könnte.

In Europa gibt es seiner Erfahrung nach zudem nur wenige Werften, die wirklich auf den Markt wollen – mit Ausnahme von Verschrottungen für Offshore-Anlagen und kleinere Schiffe. Beim Preis gebe es noch einen zu großen Unterschied für konventionelle Schiffe.

Einer der größten Kritikpunkte aus der Branche ist, dass die EU noch immer viel zu wenige Werften außerhalb Europas in ihre Liste aufnimmt. Sotiris Raptis vom europäischen Reederverband ECSA ist enttäuscht dass auch beim jüngsten Update aus Brüssel Ende 2020 keine indischen Standorte grünes Licht bekommen haben. »Wir bedauern das sehr«, so der Verbandsvertreter. Dem Vernehmen nach haben sich 20 Werften offiziell um eine Genehmigung bemüht

Basel kommt auf die Agenda

Raptis bringt neben der EU SRR eine weitere Regulierung ins Spiel, die sich negativ auswirkt: die 2019 in Kraft getretene finale Version des »Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung«.

Dieses verbietet es – so eine prominente Lesart – der EU, Standorte für die Schiffsverschrottung zu genehmigen, die nicht in einem OECD-Land liegen – selbst wenn dort die Anforderungen der EU SRR erfüllt werden. Eine vertrackte Situation, für die Raptis einen Ausweg in bilateralen Abkommen zwischen der EU und beispielsweise Indien sieht. »Die Kommission erwägt diese Option. Es ist jedoch eine große Frage, ob diese Verhandlungen aufgenommen werden. In der EU wird viel darüber diskutiert, ob die EU SSR dem Basler Verbot gleichwertig ist und ob es der Kommission überhaupt erlaubt sein sollte, Verhandlungen mit Indien aufzunehmen«, berichtet er aus seinen Erfahrungen aus dem Brüsseler Politbetrieb.

Eine weitere Befürchtung der Reeder basiert auf der EU-Ankündigung die EU SRR im Jahr 2023 einer Revision zu unterziehen. »Es gibt Leute, die glauben, dass es darum gehen wird, die EU SRR auf alle Schiffe auszuweiten, die EU-Häfen anlaufen. Das würde es zu einem deutlich größeren Problem machen«, so Raptis weiter. Er verweist auf einen Widerspruch im Ansatz der Europäer: Eigentlich hatte die EU die Regulierung angesetzt, um weltweit die Standards für Arbeits- und Umweltschutz anzuheben. Schließt sie Nicht-OECD-Länder aus, erreicht sie genau das Gegenteil, weil dort ansässige Unternehmen keinen Anreiz zu haben, ihre Arbeitsweisen anzupassen.

Hong Kong Convention

Die »Hong Kong International Convention for the Safe and Environmentally Sound Recycling of Ships« soll sicherstellen, dass von Schiffen beim Recycling nach Erreichen des Endes ihrer Betriebsdauer keine unnötigen Risiken für die menschliche Gesundheit, die Sicherheit und die Umwelt ausgehen. Das Übereinkommen wurde im Jahr 2009 verabschiedet, ist aber noch nicht in Kraft getreten. Die Regelungen des Übereinkommens betreffen: den Entwurf, den Bau, den Betrieb und die Vorbereitung von Schiffen, um ein sicheres und umweltverträgliches Recycling zu ermöglichen, ohne die Sicherheit und die Betriebseffizienz von Schiffen zu beeinträchtigen; den sicheren und umweltverträglichen Betrieb von Schiffsrecyclingwerften; und die Einrichtung eines geeigneten Durchsetzungsmechanismus für das Schiffsrecycling, der Zertifizierungs- und Meldepflichten umfasst.

Europäische Schiffsrecycling-Verordnung

Die EU-Verordnung gilt für Schiffe mit mindestens 500 BRZ, die unter der Flagge eines EU-Mitgliedstaates fahren, und für Schiffe, die die EU anlaufen und die Flagge eines Nicht-EU-Mitgliedstaates führen. Die Verordnung ist größtenteils an das IMO-Übereinkommen angeglichen, verlangt aber vor allem die Erstellung einer Liste von zugelassenen Schiffsrecyclinganlagen (die »EU-Liste«). EU-Schiffe können nur in einer Anlage auf der EU-Liste recycelt werden. Solche Anlagen müssen die Anforderungen der EU an Konstruktion, Bau und Betrieb erfüllen und können sich auch außerhalb der EU befinden. Anlagen, die sich innerhalb der EU befinden, müssen bei der Europäischen Kommission einen Antrag auf Aufnahme in die Liste stellen. Anträge gibt es von vier Standorten in China sowie 20 in Indien, zwei in den USA und 13 in der Türkei. Bisher sind aus dem »Nicht-EU-Ausland« acht türkische Werften sowie eine in den USA in die Liste aufgenommen worden.

John Stawpert vom globalen Reederverband ICS pflichtet seinem europäischen Kollegen bei: »Der Einbezug des Basel-Abkommens ist unnötig und unangemessen. Europa steht an einer Kreuzung und muss sich entschieden, ob sie wirklich die Bedingungen im Weltmarkt verbessern oder die Reputation ihres Instruments mit unrealistischen Ambitionen verteidigen wollen.«

Er findet, das Positive der vergangenen Jahre komme in der Bewertung zu kurz – auch und gerade mit Blick auf die Hongkong-Konvention und den Standort Indien. »Die Kritiker lagen falsch. Sie hat einen großen Wechsel bewirkt für sichere und umweltfreundliche Praktiken, es gab massive Investitionen in Infrastruktur und Abfallmanagement.« Die Chance, dass die HKC in diesem Jahr in Kraft treten kann, sei groß. Sollte China tatsächlich die Konventionen ratifizieren, wie viele Experten meinen, könnte das nach Ansicht von Stawpert ein »Game Changer« sein. Auch Bangladesch will bis 2023 compliant sein. »Wir sind auf einem guten Weg, die Aussichten sind sehr gut«, meint der Reedereivertreter.

Auch Ilker Sari vom türkischen Cash Buyer Rota Shipping zeigte sich sehr enttäuscht vom EU-Vorgehen. »15 türkische Werften hatten sich beworben, aber nur sieben sind aufgenommen worden, ich hatte auf zehn gehofft. Die EU-Inspektoren waren nicht sehr tolerant.« Kritik äußerte er allerdings auch an der türkischen Regierung, die den Werften in Aliaga keinen zusätzlichen Platz zur Verfügung stelle.

Anil Sharma, Gründer und CEO des asiatischen Cash Buyers GMS findet, auch noch die »European Waste Shipment Regulation« von 2006 in die Bewertung einzubeziehen, sei schrecklich. Selbst wenn eine Verschrottung in Indien möglich wäre, würde der nötige Papierkram im Vorfeld 30 bis 60 Tage in Anspruch nehmen. »Man macht die Industrie in dieser Zeit nicht grüner, man wartet einfach darauf, dass Bürokraten das tun, was sie tun sollen.« Seiner Ansicht nach ist die HKC ein gutes Instrument. Immerhin gebe es bereits 92 Abwrackplätze in Indien, die den Vorgaben entsprechen, hinzu kommen 14 in der Türkei, zwei in China und einer in Bangladesch.

Sharma hätte gern gesehen, dass eine der 20 indischen Werften, die sich beworben hatten, in die EU-Liste aufgenommen wird. Deren Kapazität reiche schlichtweg nicht aus, um den Bedarf aus der europäischen Flotte abzudecken. »Man kann darüber streiten, was gutes oder schlechtes Recycling ist. Aber es gibt gute und schlechte Werften überall«, gab er Grieg-Chef Heier recht.

Auch die Schifffahrtsorganisation Bimco schaltet sich immer wieder in die Debatte ein. Sie vertritt 1.900 Mitglieder – zu einem sehr großen Teil Reedereien – in 120 Ländern und etwa 59 % der weltweiten Tonnage. Nach der Aktualisierung der EU-Liste hieß es, trotz der Aufstockung der Kapazitäten »spiegeln die Regeln immer noch nicht die kommerziellen Realitäten wider und hinken den nötigen Kapazitäten für das Abwracken großer Handelsschiffe hinterher.«

»Das wird besonders deutlich, wenn es um das Recycling von Schiffen der Panamax-Größe und größer gemäß der EU-Verordnung geht«, sagte Bimco-Generalsekretär David Loosley. Dem Bericht zufolge sei die Türkei im Grunde das einzige Land auf der Liste, das Recycling für diese Größe anbietet. Derzeit sind die türkischen Werften allerdings – die Verwerfungen der Corona-Pandemie zeigen deutlich Wirkung – hauptsächlich mit dem Recycling von Kreuzfahrtschiffen beschäftigt und daher nicht in der Lage, andere Typen zu bearbeiten.

Letzter Ausweg Umflaggung?

Der Mangel an ausreichenden Recyclingkapazitäten lasse Reedern nach Ansicht von Bimco keine andere Möglichkeit, als ihre alternden Schiffe in Register außerhalb der EU umzuflaggen – genau das ist aber seit Jahren einer der größten Kritikpunkte an der Branche, nicht immer zu Unrecht. »Die Absicht, die Umwelt zu schützen und die Sicherheit der Arbeiter zu gewährleisten, ist goldrichtig, aber wir würden uns wünschen, dass die EU die guten Absichten stattdessen auf die Ratifizierung der Hongkong-Konvention gerichtet hätte«, so Loosley.

Zusätzlich zum Mangel an geeigneten Werften bedeutet der Preisunterschied beim Stahl einer Berechnung seiner Kollegen zufolge in Europa einen Verlust von mindestens 150 $ pro Tonne im Vergleich zum Recycling auf einer indischen Werft. Das Geld fehle dann beispielsweise für Investitionen in modernere Schiffe. »Der Zuwachs an türkischen Werften ist willkommen, ändert aber letztlich nichts am Gesamtbild«, so eine Schlussfolgerung. Werften in Indien hätten sich verbessert, »und es scheint, dass sie den Sicherheits- und Umweltanforderungen gerecht werden können«, sie sind jedoch immer noch von der Liste ausgeschlossen.