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Eines der größten Containerschiffe der Welt fährt in die Böschung des Suez-Kanals und steckt dort sechs Tage lang fest. Ein Milliardenschaden. Was passiert nun, nachdem die öffentliche Aufregung abflaut?

[ds_preview]Nicht zum ersten Mal hat ein Containerschiff im Suezkanal eine Havarie verursacht. Im April 2016 widerfuhr es der »MSC Fabiola« (13.000 TEU), nur 7 km entfernt vom Unglückort der »Ever Given«. Die »MSC Fabiola« konnte seinerzeit innerhalb von zwei Tagen flott gemacht werden, bei der »Ever Given« brauchte man sechs Tage.

Die Unfallursache bei der »Fabiola« soll ein Blackout der elektrischen Anlage gewesen sein. Der oder die Ursache(n) im Fall der »Ever Given« werden von den beteiligten Parteien derzeit heiß diskutiert und verhandelt. Schiffseigner (Shoei Kisen), Schiffsmanager (Bernhard Schulte), Charterer (Evergreen), Versicherungen, Klassifikationsgesellschaft (ABS), der Flaggenstaat Panama, die Suez­kanalbehörde SCA und viele Rechtsanwälte der geschädigten Spediteure und Ladungseigner sind involviert.

Nicht zu vergessen sind dabei die Belange der im Stau gelegenen Schiffe. Im Folgenden sollen auf Basis verfügbarer Informationen und meiner Berufserfahrung Auffälligkeiten und mögliche Ursachen beschrieben sowie Fragen gestellt und Vorschläge gemacht werden, wie solche gravierenden Havarien künftig vermieden werden könnten.

Die Daten des Voyage Data Recorders (VDR) und des Alarmlogs der Maschinenautomation werden bereits von Experten ausgelesen. Wichtig ist, wie mit den Daten umgegangen wird. Angeraten ist eine CFD-basierte Berechnung mit ganzheitlichem Ansatz, welche die Windeinflüsse, die auf das Schiff wirkten, ebenso betrachtet wie die hydraulischen Kräfte des umgebenden Wassers.

Dass es im Suez-Kanal aufbrist, ist nicht neu. Ich frage mich: Wurde eine solche Untersuchung mit Blick auf das Wachstum der Schiffsgrößen bereits durchgeführt? Falls ja, was waren die Ergebnisse? Wurden dafür Schiffe wie die »Ever Given« zugrunde gelegt?

Für die letzte Festlegung der Kanalabmessungen müssen Annahmen getroffen worden sein, etwa um sichere, erzielbare Geschwindigkeiten, die Dauerhaltbarkeit der Kanalböschungen sowie sichere Abstände der im Konvoi aufeinander folgenden Schiffe festzulegen. Die SCA leistet sich eine eigene Forschungsabteilung, so ist es zumindest auf ihrer Website zu lesen.

Geschwindigkeit

In diesem Zusammenhang fällt auf, dass die Regularien der SCA eine maximale Geschwindigkeit von 16 km/h = 8,6 kn erlauben (Artikel 54). In den Berichten zum Fall der »Ever Given« ist allerdings mitunter von 13 kn und mehr die Rede. Für das Manövrieren eines Schiffes und dessen Auswirkungen auf den Kanal ist die Geschwindigkeit durchs Wasser relevant. Inwieweit Tiden- und Strömungseinflüsse das Manövrierverhalten der »Ever Given« beeinflusst haben, sollte in der Studie betrachtet werden. Eine Frage also ist, bezieht sich das Limit von 8,6 kn auf die Fahrt über Grund oder auf die Fahrt durchs Wasser?

Welche Rolle spielt der Wind?

Schiffe mit einer Breite von 64 m–68 m dürfen den Kanal bei bis zu 10 kn Windgeschwindigkeit befahren. Die »Ever Given« war, bezogen auf ihre Breite von knapp 59 m, nicht windlimitiert. Ich frage mich, warum man einen Grenzwert nur im Zusammenhang mit der Schiffsbreite definiert, wo doch die Windangriffsfläche eines Containerschiffs ebenso wichtig für sein stabiles Kursverhalten ist?

Wo waren die Schlepper?

Artikel 57 besagt, dass Containerschiffe, deren Steuerlichter von den Brückennocken aus nicht einsehbar sind, Schlepper­assistenz nehmen müssen. Ob das bei der »Ever Given« der Fall war, mag geprüft werden. Artikel 58 besagt, dass Containerschiffe ab 170.000 SCNT (Suez Canal Net Tonnage) zwei Schlepper benötigen. Also auch die »Ever Given«. Wurde die »Ever Given« von zwei Schleppern unterstützt? Die frei zugänglichen AIS-Daten sagen: Nein. Hingegen scheinen die vor der »Ever Given« (220.940 GT) fahrende »Al Nasriya« (153.148 GT) sowie die »Cosco Galaxy« (215.553 GT) jeweils von einem Schlepper achtern begleitet worden zu sein. Beide ähnlich große Schiffe, in Sichtweite vor der »Ever Given« fahrend, meisterten den Ort der Havarie offensichtlich ohne Probleme.

Fitness of Machinery Systems

Artikel 25 und 78 fordern den Kapitän auf, zu bestätigen, dass sich die Maschinen (»Engines«) sowie die Ruderanlage (»steering gear system«) in einem einwandfreien Zustand befinden. Man mag dies bei der SCA als generelle Bestätigung der uneingeschränkten Einsatzbereit­schaft der Maschinensysteme verstehen. Ob das aber jeder Kapitän und Leitende Ingenieur ebenso versteht, ist fraglich.

Die Bezeichnung »Engines« mag sich für manche Schiffsleitungen allein auf die Dieselmotoren beschränken. Dass damit wohl auch die Fitness des elektrischen Bordnetzes, inklusive der Generatoren, Trafos und Schaltanlagen gemeint ist, mag übersehen werden. Das hat aus verschiedenen Gründen großen Einfluss auf eine sichere Kanalpassage.

Elektrische Anlagen

Häufig werden elektrische Anlagen nicht in dem nötigen Umfang und in der angemessenen Qualität instandgehalten. Besonders Lastschalter der Hauptschalttafeln, Regelungseinrichtungen des Power Management Systems und Spannungsregler der Generatoren fallen spätestens nach zehn Betriebsjahren durch häufige Fehler auf. Die Gründe dafür sind fehlende Ersatzteilbevorratung, bereits nicht mehr lieferbare Ersatzteile sowie Mangelwissen an Bord und in der Landorganisation der Reedereien.

Das bedeutet: Das Risiko, einen Blackout und somit einen Verlust der Propulsion und der Steuerung zu erleiden, erhöht sich. Die »Ever Given« war zum Zeitpunkt des Unfalls erst seit 2,5 Jahren in Betrieb, dieser Punkt wird somit eher nicht Ursache gewesen sein.

Der zeitliche Verzug, bis nach einem Blackout die Generatoren am Netz sind, ist zudem ein von vielen Beteiligten an Bord, an Land und auf den Werften ungeliebtes Thema.

Gefahr bei Blackout

Bauwerften legen die elektrischen Systeme nach SOLAS und Klassenforderung aus. Daraus ergeben sich oft Minimallösungen, die unweigerlich zu unnötig langen Verzögerungen nach einem Blackout führen. Dies wird von den Verantwortlichen vieler Reedereien oft nicht in Frage gestellt, also werden keine Verbesserungen verlangt.

Die SOLAS fordert lediglich, dass spätestens 45 s nach einem Blackout die elektrische Notversorgung zur Verfügung stehen muss. Der Klassifikationsverband IACS beschreibt die anzustrebende Zeitspanne, bis die Hauptgeneratoren wieder am Netz sind, mit 30 s. Im Falle eines Blackouts können Sekunden allerdings schnell zu einer Ewigkeit werden.

Es gibt angemessen günstige Lösungen, die signifikant kürzere Wiederanlaufzeiten ermöglichen. Klassen sollten sich dieses Themas im Detail annehmen, und Eigner sollten Klassen zu Regeln »ermuntern«, die schneller umzusetzenden »Optimallösungen« entsprechen.

Bauliche »Bottlenecks«

Der Kraftstoffvordruck reicht – ohne vorheriges Aufschalten des Notgenerators – in der Regel nicht für ein schnelles, direktes und sicheres Wiederanlaufen der Hauptgeneratoren aus. Eine nicht optimierte Einstellung der sequenziellen Standby-Schaltung von Generatoren und Hilfssystemen kommt noch hinzu.

Fehlerhafte Inbetriebnahme

Selbst, wenn die elektrischen Systeme optimal bemessen sind, kommt es bei der Inbetriebnahme häufig zu Fehleinstellungen durch die Bauwerften. In manchen Fällen wird das sogar aufgrund von Forderungen der lokalen Klassenvertreter so umgesetzt. Warum? Weil die »Unified (Minimum) Requirements« der IACS oft als umzusetzende Regel missverstanden werden, entsprechend geht häufig zunächst der Notgenerator auf Schiene. Er muss dann erst getrennt werden, bevor die wiederangelaufenen Hauptgeneratoren ans Netz synchronisiert werden können. Man strebt in solchen Fällen aufgrund eines Missverständnisses leider häufig 45 s bis zum Restart an, wo im Normalfall 17–25 s möglich wären. Die Auswirkungen: 17 s entsprechen bei 16 km/h einer zurückgelegten Strecke des Schiffes von 75 m. Bei 45 s sind es hingegen schon 200 m.

Wirksame Breite im Kanal

Der Suezkanal ist bei km 155 auf 15,7 m Tiefe etwa 200 m breit. Abzüglich der Schiffsbreite und der zusätzlich genutzten Breite – aufgrund des Vorhalte­winkels von 4° bei einem Seitenwind von 40 kn – beträgt die wirksame Breite des Schiffes dann etwa 71 m. Es verbleiben bis zu einer Kollision mit der Böschung nur etwa 64 m zu beiden Seiten, also entsprechend 14 s bei 16 km/h Fahrt durchs Wasser. Im Falle eines Blackouts würde man in diesem Fall keine Propulsion und Ruderwirkung wiedererlangen, bevor das Schiff mit der Böschung kollidiert.

Erfahrungswerte

Schiffe mit 6.6 kV-Mittelspannungsanlage, wie mit großer Wahrscheinlichkeit auf der »Ever Given« installiert, können bei optimaler Auslegung und Inbetriebnahme etwa 25 s nach einem Blackout die Hauptmaschine wieder starten, ebenso die Querstrahleinrichtungen und das Hauptruder. Die Parameter sind:

  • ca. 17 s für die Hauptgeneratoren,
  • ca. 20 s bis die Step Down Trafos zur 440-V-Serviceschalttafel in Betrieb sind,
  • ca. 25 s, bis Kraftstoff-, Schmieröl- und Kühlwasserdruck für den Neustart des Hauptmotors anstehen.

Bei Schiffen mit einem 440-V-Bordnetz kann nach 17–20 s die Hauptmaschine wieder angelassen und die Steuereinrichtungen genutzt werden.

Verhalten der Crew

Zu berücksichtigen ist das Verhalten der Maschinencrew vor und während einer Kanalpassage. Erfahrene Leitende Ingenieure stellen sicher, dass sich die wichtigen Hilfssysteme für Kraftstoff, Schmieröl, Kühlwasser, Anlass- und Steuerluft, Hilfskesselbrenner und Dampfsystem in einem einwandfreien Zustand befinden. Zudem werden sie ihren Maschinenbesatzungen jegliche Arbeiten an diesen Systemen während der Kanalpassage untersagen. Das bedeutet, dass zum Beispiel keine Arbeiten an Filtern in Kraftstoff- und Schmierölsystemen und auch kein Reinigen eines Seekastenfilters erfolgen. Ebenso werden keine Arbeiten an elektrischen Systemen ausgeführt.

Wenn man diese Punkte außer Acht lässt, ist das Risiko eines menschengemachten Ausfalls der Maschinenanlage während der Passage signifikant erhöht. Wichtig ist zudem: Die Regelung aller Generatoren muss auf »Automatik« stehen. Häufig tut sie das jedoch nicht. Das liegt oft an einem falschen Verständnis für den Betrieb der E-Versorgungssysteme, indem ein Chief meint, dort selber eingreifen zu müssen – was bei einem modernen Schiff mit intakter Anlage nicht nötig ist.

Auf die Anzahl der in Betrieb befindlichen Generatoren kommt es weniger an, sondern darauf, dass im Falle eines gesteigerten Leistungsbedarfs der nächste Standby-Generator automatisch, unverzögert und sicher anspringt. Das ist auch für den sicheren Betrieb der Querstrahleinrichtungen nötig.

Auf einem Schiff wie der »Ever Given« sind zwei Bugstrahlruder mit je 2500 kWel. Leistung installiert. Einer der vier Generatoren liefert gemäß Klassifikationsangaben 4600 kWel., was für die elektrische Grundlast sowie für rund 500 Kühlcontainer ausreicht, bis bei ca. 80 % Generatorenlast der nächste Generator auf Schiene gehen würde.

Sollte ein Chief einen Generator am Netz laufen haben und die übrigen drei Generatoren würden sich im Betriebsmodus »Hand« im Stillstand befinden, so würde eine plötzliche Anforderung »Bugstrahler« zunächst ein manuelles Eingreifen des Chiefs verlangen, wofür in einer brenzligen Situation keine Zeit wäre. Querstrahler können bei Kanalpas­sagen durchaus bis zu Geschwindigkeiten von 5–6 kn hilfreich sein.

Des Weiteren: Sollte nach dem Verlassen der Ankerposition, vor Einfahrt in den Kanal, die Querstrahler auf null-Pitch, quasi im Leerlauf, weiter betrieben werden, sich aber nur ein Generator am Netz befinden, weil man nach dem Start der Querstrahler die Generatoren 2, 3 und 4 gestoppt und auf »Hand« gestellt hat, so würde im Falle einer Laststeigerung durch Querstrahlernutzung (Pitcherhöhung) der einzige am Netz laufende Generator die geforderte Leistung nicht erbringen. Die »auf Hand« befindlichen Generatoren würden nicht automatisch ans Netz gehen und es käme zu einem Blackout.

Komplexität

Diese Sachverhalte und Fragen sollen zeigen, wie komplex sich die Situation an Bord von Schiffen generell, sowie explizitim Fall der »Ever Given«, darstellen kann. Sogenannte »Single-Cause-Failures«, also Unfälle aufgrund von nur einer Ursache, sind meiner Erfahrung nach selten. Soweit ich es in Diskussionen mit Klassifikationsgesellschaften und flaggenstaatlichen Behörden erleben durfte, werden zur Regelerstellung vielfach lediglich Single-Causes und nicht Multiple-Cause-Failures betrachtet. Deshalb sollten die Verantwortlichen Zeit, Mittel und Experten zur Verfügung stellen, um das Problem »Entwicklung einer erhöhten Sicherheit auf Revierfahrten« mit offenem Visier neu anzugehen.

In der Tat muss die zu betrachtende Zielgröße »Sicherheit« lauten und nicht, wie bisher, die »Schiffsgröße«. Mit Blick auf die »CSCL Indian Ocean« (19.000 TEU), die bereits im Februar 2016 sechs Tage lang auf einer Sandbank in der Elbe festsaß und man befürchten musste, dass sie dort auseinanderbrechen könnte, stellt sich die Frage, warum seither nichts in diese Richtung unternommen wurde.

Nur eine ganzheitliche, auf praktischen Ansätzen basierende Untersuchung durch Praktiker und Rechenexperten, wird zu einer Lösung führen.

Die Regeln der SCA in ihrer bisherigen Form, erscheinen mir nicht mehr zeitgemäß. Sie nennen wichtige, relevante, zu einer Havarie führende Fehler des komplexen Schiffsbetriebs, nicht. Zudem sollte der teilweise spannungsgeladene, zwischenmenschliche Umgang zwischen Kapitänen und Kanallotsen und Angehörigen der Kanalbehörden verbessert werden. Wer gemeinsam Schiffe sicher durch den Kanal führen möchte, tut das am besten in professioneller Kooperation und mit gegenseitigem Respekt. Daran sollte gemeinsam gearbeitet werden.

Potenzial in Reedereien

Geschäftsführungen von Reedereien und Schiffsmanagern, zumeist kaufmännisch geführt, sind aufgerufen, die gelebten Praktiken an Bord offen zu erfragen und notwendige Änderungen gemeinsam mit den Besatzungen einzuleiten. Des Weiteren sind regelmäßige Trainings im Schiffssimulator, ganz besonders für Bridgemanagement-Teams von großen Containerschiffen, äußerst wichtig, um in Stresssituationen bestmöglich zu agieren.

Außerdem wäre ein verbessertes Wohlbefinden der Besatzungen an Bord hilfreich. Besonders eine dauerhafte, verlässliche und mit ausreichendem Datenvolumen bemessene Internetverbindung für Crews sollte zur Regeln werden, damit sie ihre familiären Bindungen aufrecht erhalten können. Wer sich an Bord wohlfühlt, arbeitet konzentrierter und macht weniger Fehler. Die Verantwortung bleibt beim Befahren des Suez-Kanals – und auch aller anderen Kanäle, außer dem Panama-Kanal – bekanntlich beim Kapitän. Insofern sind dies immer lohnende Investitionen in eine nachhaltig gute Reputation des Unternehmens.

Das technische Reedereipersonal sollte motiviert werden, sicherheitsbezogen zu denken und zu handeln, um bei Neubauvorhaben und im laufenden Schiffsbetrieb nachhaltige Konzepte und Entscheidungen zu entwickeln. In diesem Zusammenhang verdient der Faktor Sicherheit ebenso viel Aufmerksamkeit wie die Themen Dekarbonisierung und Energieeffizienz. Das auch in Wahrnehmung des gesteigerten Interesses der finanzierenden Banken und Investoren an einer nachhaltigen Schifffahrt.

Klassen und Flaggen in der Pflicht

Die Klassifikationsgesellschaften sollten ihre Bauvorschriften und Besichtigungsrichtlinien entsprechend der herrschenden Gegebenheiten neu betrachten. Das seit gut 20 Jahren vorherrschende Streben nach vereinheitlichten, abgespeckten Minimallösungen kollidiert mit dem Betrieb der komplexer gewordenen Schiffsanlagen sowie mit dem häufig zitierten »loss of talent« an Bord und an Land – bei Reedereien, Herstellern von Schiffssystemen, Servicefirmen und Werften. Klassifikationsregeln sollten den vorherrschenden Zuständen und Anforderungen in der Schifffahrt entsprechen. Es geht dabei um mehr Sicherheit, die Umwelt und den Schutz menschlichen Lebens.

Alle größeren Klassifikationsunternehmen sind seit Jahren an der Entwicklung der großen Containerschiffe detailliert beteiligt und arbeiten eng mit Werften und Reedereien zusammen. Insofern sollten sie auch in der Lage sein, auf entsprechende Risiken frühzeitig hinzuweisen. Inwieweit Klassen Deckungslücken beim Wissen über die operativen Prozesse beim Führen eines Schiffes haben, mag diskutiert werden. Ausreichende Informationen und eine unvoreingenommene Betrachtung möglicher Probleme sind aber essenziell, um die Klassifikationsregeln bestens zu formulieren und aktuell zu halten.

Welcher Flaggenstaat beschäftigt noch ausreichend erfahrene Experten, die fortlaufend am »Front­end« in die Entwick­lung involviert sind? Viele Aufgaben werden seit Jahren an die Klassifikations­unternehmen ausgelagert, die als »Recognized Organizations« beratend Expertisen erarbeiten, nach denen dann entschieden wird. Daraus resultiert oft eine Diskrepanz zwischen dem vorhandenen Wissen und Festlegungen etwa in den Gre­mien der IMO. Dort entscheidet der Flaggenstaat, nicht die Klasse. Entschieden wird dann schon mal abweichend vom technischen Argument, sei es aus kommerziellen oder politischen Gründen.

Autor: Niels Kaiser ist Schiffsingenieur. Von 1997–2007 war er Technischer Inspektor und Fleet Manager bei der Reederei NSB (Buxtehude), danach von 2007–2020 Technischer Direktor bei der Norddeutschen Reederei H. Schuldt (Hamburg). Seit März 2020 ist er als freiberuflicher Berater aktiv.

SCA will Schadenersatz

Die Suezkanal-Behörde SCA fordert rund 900 Mio. € Schadenersatz von dem Eigner der »Ever Given«, Shoei Kisen aus Japan. Eine Einigung soll nach Möglichkeit außergerichtlich erfolgen, erst danach wollte Ägypten die Weiterfahrt erlauben. Die SCA macht entgangene Einnahmen, die Aufwendungen für die Bergung des auf Grund gelaufenen Containerfrachters sowie die Arbeiten am Kanal geltend.

Teure Havarie

Die Unterbrechung der Lieferketten durch die Blockade des Suezkanals könnte den Welthandel pro Tag rund 0,2%-0,4% Wachstum und mehrere Milliarden Dollar kosten, schätzt die Allianz. Demnach werden täglich Waren im Wert von rund 5,1 Mrd. $ in Richtung Westen und im Wert von etwa 4,5 Mrd. $ in Richtung Osten transportiert. Einer anderen Kalkulation zufolge kostet die verzögerte Zustellung der Waren rund 400 Mio. $ pro Stunde.

Havarie-grosse

Am 1. April hat Shoei Kisen als Eigner Havarie-grosse für die havarierte »Ever Given« erklärt und Richards Hogg Lindley Ltd. als Dispacheur bestellt. In einem solchen Fall haften alle am Seetransport beteiligten Parteien für die anfallenden Schäden und Kosten proportional zu den Beitragswerten von Schiff und Ladung. Macht der Reeder sein Pfandrecht geltend, kann die Ware durch einen Cash Deposit oder eine General Average Guarantee einer Transportversicherung ausgelöst werden. Mögliche Kosten aus einer Havarie-grosse sind sowohl durch die Waren- als auch die Seekaskoversicherung gedeckt.

Abstract: The »Ever Given« case – and what is next?

Another large container ship crashed in the Suez Canal, causing billions of damage and chaos in container logistics. Aware of a quickly forgetting public, the author describes a realistic and holistic scenario of what may have happened and what should be reconsidered or improved. CFD studies, including hydraulic and aerodynamic forces, as well as ship and wind speed limits combined with effects on ship sail area, must be linked to the role of tugs. A reversal of the class rules, which leads from minimal solutions back to what is really needed, finds suitable examples.