Print Friendly, PDF & Email

Die deutschen Werften haben sich mit Innovationen und Expertise auf lukrativen Nischenmärkten etabliert. Ein Besuch bei Abeking & Rasmussen in Lemwerder zeigt, wie das in der Praxis funktioniert

Die Kunst des Schiffbaus ist der Titel eines Buches über die Werft, welches tief in ihre 114 Jahre alte Tradition zurückblickt. Gegründ[ds_preview]et 1907 mit dem Bau von Arbeits- und Segelbooten, hat dieses Unternehmen einen langen, erfolgreichen Weg mit über 6.500 abgelieferten Schiffen und Booten hinter sich.

Abeking & Rasmussen ist ein familiengeführtes Unternehmen mit rund 490 Mitarbeitenden und im Schnitt 40 Auszubildenden. Eigner ist der Urenkel des Firmengründers Henry Rasmussen, Hans Schaedla. Das Unternehmen hat sich im Jahr 2020 neu aufgestellt, die Führungsstruktur gestrafft und Zuständigkeiten geordnet. Die Vorstandsdoppelspitze Matthias Hellmann (Finanzen) und Dirk Petersjohann (Technik) führt die drei Geschäftsbereiche Yachten, Marine und Spezialschiffe. Ein größeres Augenmerk als früher legt die Werft inzwischen auf den Bereich Services, mit dem man den Kunden auch über den Gewährleistungszeitraum hinaus an sich binden möchte. Die Kundenorientierung wird gern herausgestellt, dazu gehören das Engagement der Mitarbeitenden, ihre Bindung an das Unternehmen und die unbedingte Beachtung des Kundenwunsches. Es muss seinen Grund haben, warum Yachten, Marine- und Spezialschiffe von Kunden aus aller Welt an der Unterweser bestellt werden und warum Eigner den langen, kostenintensiven Weg nach Lemwerder zurücklegen. Die Antwort lautet Qualität und Können, oder wie Carsten-Söhnke Wibel, Geschäftsführer der A&R Spezialschiffbau und bei Abeking & Rasmussen für den nationalen Vertrieb von Spezial- und Marineschiffen verantwortlich, es ausdrückt: »Eigner sind die besten Werbeträger.« Und damit meint er nicht einzig Yachteigner, die als Stammkunden schon häufiger wiederkehrend Schiffe geordert haben, sondern auch die zahlreichen Nutzer der öffentlichen Hand, darunter Behördenschiffe und natürlich auch die deutsche Marine.

Auf den ersten Blick scheint das seit 1907 genutzte und mehrfach erweiterte Areal beengt, auf den zweiten Blick erkennt man jedoch die Effizienz, die sich aus dieser Kompaktheit ergibt: In sechs beheizten Hallen mit bis zu zwei Ausrüstungsplätzen, flurgesteuerten Kran-anlagen und einem Werfthafen mit einem Synchrolift mit über 2.000 t Tragfähigkeit passen Schiffe mit einer Maximallänge von zurzeit 125 m. Die Querverschiebeanlage mit Schienensystem ermöglicht flexibles und schnelles Verfahren der Objekte zwischen den Bauplätzen und Hallen. Man verfügt zudem über eine ganzheitliche Gasmedienversorgung inklusive Schweißrauch- und Absauganlagen.

Das doppelrümpfige SWATH-Design ist eine Spezialität der Werft © Abeking & Rasmussen
Das doppelrümpfige SWATH-Design ist eine Spezialität der Werft © Abeking & Rasmussen

Aufträge in allen Sparten

Und was findet sich derzeit in den Hallen, die man unter Beachtung der Coronaregeln betreten darf? Eine in beeindruckender Form konstruierte Motor­yacht von knapp 120 m Länge ist so eine Neugier weckende Silhouette. Der Name des Schiffes und des Eigners? So etwas fragt man nur als Laie, denn eine Antwort gibt es ebenso wenig wie die Chance, solch ein Objekt jemals zu betreten. Fertigstellung und Ablieferung sind für 2022 geplant, dann wird man vom Ufer aus zuschauen können, welches Kunstwerk entstanden ist.

Nicht weniger geheimnisvoll, aber aus anderen Gründen, verhält es sich mit dem grauen Schiff in der Halle daneben. Es ist das Minenjagdboot »Dillingen«, welches einem Refit unterzogen wird. Die deutsche Marine hat das Boot der Klasse 332 »nach Hause« geschickt, denn es wurde 1994 hier gebaut. Man untersucht den Schiffskörper aus amagnetischem Stahl, überholt Generatoren und Pumpen, erweitert das B-Deck und überholt die Wellen, Belüftungs- und Klimaanlage. Mit der Konstruktion und dem Bau dieser Boote – von denen auch andere deutsche Werften profitierten – betrat Abeking & Rasmussen in den 1990ern Neuland. Die Werft knüpfte damit an eine Jahrzehnte währende Erfolgsgeschichte an, denn bereits vor dem zweiten Weltkrieg hatte man sich mit Räumboten die notwendige Expertise aufgebaut. Von den 1960ern bis zum Bau der ersten Stahlboote der Klasse 343 Ende der 1980er waren die Holzboote der »Schütze«-Klasse zahlreich bei der Bundesmarine im Einsatz. Dass sich diese Expertise weltweit herumgesprochen hat, beweisen zahlreiche Exporte und Lizenzbauten. Dass die deutsche Marine sich in den vergangenen Jahrzehnten besonders auf die Konstruktionen von A&R gestützt hat, gehört zum Stolz und Selbstverständnis der Werft.

Aktuell entsteht in Lemwerder das erste, 62 m lange Minenabwehrfahrzeug aus amagnetischem Stahl für die indonesische Marine. Neben den klassischen Aufgaben Minenortung und -räumung – insbesondere von Altlasten aus dem Zweiten Weltkrieg – wird die indonesische Marine mit ihrer sehr langen Küste die Boote auch als OPV einsetzen.

Draußen an der Pier findet sich dann Bekanntes: Abeking & Rasmussen erneuert von Grund auf die Zollboote »Emden« und »Schleswig-Holstein«. Die in den 1980ern gebauten Boote wurden komplett modernisiert, haben eine neue Motorisierung und Abgasreinigung bekommen. Außerdem werden alle Rohrsystem für Wasser, Öl, Kraftstoff und Luft ausgetauscht. Zusammen mit der komplett neuen Inneneinrichtung wurde ebenfalls die gesamte Brücke inklusive Navigations- und Kommunikationsanlage getauscht. Man erkennt zwar noch die gewohnte Silhouette, aber es ist nahezu ein Neubau. Apropos Neubau: Für das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr baut A&R einen Messponton zur Nutzung bei der WTD 71. Mit einer Länge von 23,1 m und einer Breite von 9,3 m wird der für Erprobungszwecke vorgesehene Ponton Ende 2021 abgeliefert.

Innovationsträger Mehrzweckschiff

Der zurzeit spannendste Auftrag für den öffentlichen Auftraggeber – im Werftenjargon »öAG« – sind drei Mehrzweckschiffe für die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV). Die 99,8 m langen Spezialschiffe sollen der Notfallvorsorge in Nord- und Ostsee dienen. Sie werden mit Hubschrauberlandedeck und Spezialausrüstung zur Schad-stoffunfallbekämpfung gebaut. Dazu ist auch eine Schleppeinrichtung mit einem Pfahlzug von 145 t vorgesehen.

Der Clou dieser Schiffe ist der Gasschutz für den Einsatz in gefährlicher, also giftiger oder explosiver Atmosphäre. Das stellt die Werft vor Herausforderungen, denen man mit einem eindrucksvollen Konzept begegnet. Der Schutz vor entzündbarer Luft geht weit über das hinaus, was man bei Kriegsschiffen als ABC-Zitadelle kennt. Die Schiffe mit den Abmessungen 99,8 x 19,8 x 7,0 m sind Ersatz für »Scharhörn« (Baujahr 1974), »Mellum« (1984) und »Neuwerk« (1998). Aus Umweltschutzgründen werden sie einen ausschließlichen LNG-Antrieb mit mindestens 12.000 kW haben und erreichen damit eine Geschwindigkeit von über 15 kn. Die Besatzung wird aus 16 Personen bestehen, zusätzlich steht eine Einschiffungskapazität von 32 Personen bereit. Brennbeginn für das erste Schiff war am 28. Juni 2021, die Kiellegung wird am 7. September erfolgen. Das erste Boot soll dann im dritten Quartal 2023 abgeliefert.

Spezialschiffbau in Berlin

Dass die Wertschöpfung der maritimen Wirtschaft nicht nur an der Küste stattfindet, ist bekannt, aber was macht Abeking & Rasmussen in Berlin? In Spandau werden auf einer weltweit einzigartigen Roboteranlage dreidimensional verformte Komponenten laser-geschweißt. Entwickelt wurde die Anlage von A&R, seit November 2019 ist sie in Betrieb. Die bis zu 17 m langen und 6 m breiten Bauteile werden dann in transportgerechten Größen zur Werft gebracht. Vorteil dieser Technologie: geringerer Wärmeeintrag, höhere Nahtqualität und deutlich weniger Verformung bei hochwertigem, spannungsfreien Schweißen. Das senkt Kosten, besonders bei der Verwendung von amagnetischem Stahl.

Diese innovative Technologie – hält man die superglatten Probestücke in der Hand – ist beeindruckend. Die gute alte Schuppnaht ist Geschichte geworden. Der Wunsch nach einer glatten Außenhaut hat nicht nur optische Vorteile, wie man lernt. Und auch hier kann man erkennen, dass es einen regen Austausch zwischen den Sparten gibt. Was im Marine- und Spezialschiffbau bewährt ist, kann auch für die Fertigung von Superyachten dienen – oder umgekehrt.

Doppelrumpf als Spezialität

Und dann, am Ende des Rundgangs, plötzlich in einer Ecke eine wenige Meter lange Röhre. Darin technisches Equipment, das wie ein Antrieb aussieht. Schwer einzuordnen, was ist das? Es handelt sich um ein Anschauungsmodell für die A&R-Spezialität Doppelrumpf, ge-nannt Swath@A&R, ein Mockup. Daran demonstriert man gerne die Vorteile der Swath-Technologie (Small Waterplane Area Twin Hull). A&R hat mit dieser Technologie bereits mehr als 26 Schiffe gefertigt, darunter Lotsenversetzboote für die deutsche Bucht und die texanische Küste, Patrouillenboote für die lettische Marine und auch eine Expeditionsyacht, die »Silver Cloud«. Sie ist 40 m lang und 17 m breit bei einem Tiefgang von 4 m. Weitere Anwendungen, welche die Vorteile des unübertroffenen Seegangsverhaltens dieses Schiffstyps nutzen, sind derzeit für alle Geschäftsbereiche in Planung.

Am Ende eines sonnigen Tages muss man auch über die Zukunft sprechen, über den deutschen Schiffbau, über innovative Antriebe, Kraftstoffe der Zukunft und über die Bedeutung der maritimen Wirtschaft – den Einfluss der Pandemie. Die beiden A&R-Vorstände Hellmann und Petersjohann haben – so scheint es – auf alle Herausforderungen eine Antwort. Man beklagt nicht den globalen Wettbewerb, sondern stellt sich stets die Frage: »Was können wir?«

Autor: Holger Schlüter, Kapitän zur See a.D., Chefredakteur MarineForum

 

Abstract: The art of ship building

German shipyards are well positioned in profitable niche markets thanks to innovations and expertise. A visit to Abeking & Rasmussen shows why the traditional shipbuilder is successful in the areas of yachts, naval vessels and other special ship types. A strong focus on service, state-of-the-art technology as well as the special SWATH-design hull form make A&R stand out from global competition.