Ostseestaal setzt in den Produktionsprozessen unter anderem auf die 3D-Kaltverformung © Ostseestaal
Ostseestaal setzt in den Produktionsprozessen unter anderem auf die 3D-Kaltverformung © Ostseestaal
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Stahlbau, Schiffbau, Architektur & Co. Die in Stralsund ansässige Firma Ostseestaal ist auf Wachstumskurs. Ein wichtiger Grund dafür ist die Flexibilität bei der Auswahl der Geschäftsfelder. Von Michael Meyer

In direkter Nachbarschaft der zur MV-Werften-Gruppe gehörenden, einstigen Volkswerft hat sich Ostseestaal in den[ds_preview] vergangenen Jahren ein umfangreiches Produktportfolio aufgebaut, das deutlich aus dem ursprünglichen Geschäft herausgewachsen ist. Die Firma ist bei Manchem vielleicht nicht so bekannt wie der prominente Nachbar mit asiatischem Eigner. In der Industrie Mecklenburg-Vorpommerns hat man aber mittlerweile einen festen Platz eingenommen. Das heutige Unternehmen nahm den Betrieb im Jahr 2000 auf. Gegründet wurde es von der niederländischen Firma Centralstaal, die schon mehrere Jahrzehnte im Zuschnitt und der Verformung von Stahl und der Lieferung von Baupaketen für Werften engagiert war. Nach einigen Verwerfungen infolge der globalen Schifffahrtskrise gehört die Gruppe heute dem Private-Equity-Investor Nimbus und heißt CIG.

Nach der deutschen Wiedervereinigung hatten sich die Niederländer ein Gelände gesichert, das ursprünglich zur Volkswerft gehörte, nach dem Einstieg des Bremer Vulkan aber nicht mehr benötigt wurde. Mit Ostseestaal wollte man das niederländische Modell kopieren.

Ostseestaal fertigte ein Deckshaus für eine Nordsee-Fähre, die bei Pella Sietas gebaut wurde – hier ein Bild von der Verladung vor der Überführung nach Hamburg © Ostseestaal
Ostseestaal fertigte ein Deckshaus für eine Nordsee-Fähre, die bei Pella Sietas gebaut wurde – hier ein Bild von der Verladung vor der Überführung nach Hamburg © Ostseestaal

Etabliert in MV

Das gelang zwar zunächst nur in Teilen, weil hierzulande die Werftenlandschaft stärker von großen Unternehmen geprägt ist, die Stahlbau-Arbeiten nicht selten in Eigenregie erledigen. Dennoch baute sich mit der Zeit ein ordentlicher Kundenstamm auf, zu dem unter anderem die Volkswerft, die Warnowwerft, die Peene-Werft und nach einer gewissen Anlaufphase die Neptun Werft im Osten sowie die Meyer Werft, Lürssen oder Abeking & Rasmussen weiter westlich gehören.

Auch Ostseestaal war vom Strukturwandel in Mecklenburg-Vorpommern betroffen. So wie sich das Schiffbau-Spektrum in Deutschland änderte – weg von Containerschiffen, hin zu Kreuzfahrt und Yachten – so hat man sich mitentwickelt. Heute ist das traditionelle maritime Geschäft, also die Baupaketfertigung, vor allem von Aufträgen aus diesen beiden Segmenten geprägt. Im Kreuzfahrtgeschäft kam zuletzt auch Geschäft aus dem Umfeld der italienischen Fincantieri-­Werft hinzu, Italien gilt im Management um den Technischen Direktor Thomas Kühmstedt als »interessanter Markt«, nicht zuletzt aufgrund der Marktanteile von Fincantieri im Kreuzfahrt- und Marine-Schiffbau, in dem Ostseestaal bislang vornehmlich auf deutsche Werften fokussiert ist.

Logistik als Verkaufsargument

Eine entscheidende Komponente in den Kundenbeziehungen ist die Logistik. Ein Beispiel ist die Zusammenarbeit mit der Meyer Werft und ihrer Tochter Neptun. Die Kreuzfahrt-Spezialisten arbeiten auf Basis eines ausgeklügelten Sektionsbausystems. Ostseestaal musste sich in dieses System einfügen, um Aufträge zu bekommen. Mittlerweile sind die Abläufe der Partner eng verzahnt. »Wir haben ein Logistik-System entwickelt, in dem wir die Bauteile nicht nur zuschneiden und an die Werft liefern, sondern auch die innere Logistik des Werftprozesses mitgestalten: Wir liefern die Baupakete genau dann, wenn sie benötigt werden und die Bauteile sind so sortiert, wie sie verbaut werden«, so Kühmstedt. Das ist im Vorfeld zwar organisatorisch anspruchsvoll, führt aber zu deutlichen Einsparungen. »Was wir gelernt haben«, so Kühmstedt, »ist, dass die Integration in die Supply Chain der Werft neben dem Zuschnitt und Verformen eine immer größere Rolle spielt«.

Luftfahrt & Architektur

Parallel baute Ostseestaal das eigene Portfolio aus. Ergeben sich Möglichkeiten, scheut das Management nicht davor zurück, neue Wege zu gehen. Als die chinesische Regierung Anfang der 2000er verkündete, zum größten Schiffbauland der Welt werden zu wollen, sei man zu der Überzeugung gekommen, dass Europa darunter leiden werde, also auch der eigene Kundenkreis. »Wir haben uns überlegt, in welchen Märkten können wir mit unserem Stahlbau punkten?«, erinnert sich der technische Direktor. Im Ergebnis ist eine breite Palette entstanden: Neben dem Stahlpaketebau für Schiffe gehören dazu Laminierformen für den Bau von Windenergieanlagen und für die Luft- und Raumfahrt oder Architektur-Elemente wie beispielsweise ein Brückensteg für die Landesgartenschau in Ingolstadt in 2020. Ein Markt, von dem man sich viel erhofft, ist der Tankdeckelbau, dem speziell im Rahmen der Energiewende und dem Bedarf an Lagerung und Verteilung von alternativen Kraftstoffen großes Potenzial bescheinigt wird. Heute machen beide Teile – klassische Bauteilfertigung und »neue Geschäftsfelder« – jeweils rund die Hälfte der Aktivitäten aus.

Meilenstein Elektro-Schiffe

Eine der jüngeren Entwicklungen markiert für Ostseestaal den Einstieg in den eigentlichen Schiffbau-Markt: Unter der Marke Ampereship werden komplette Elektro-/Solar-Schiffe gebaut. Explizit geplant war dieser Schritt nicht. Vielmehr war man über ein kleines Fahrgastprojekt im Münsterland dazu gekommen, gefolgt von einem Auftrag für Fahrgastschiffe in Berlin. Mittlerweile hat die in diesem Fall als »echte« Werft fungierende Firma zehn Neubauten abgeliefert, sieben weitere Elektro-Schiffe stehen noch im Auftragsbuch.

Das Neubau-Geschäft nimmt zwar noch einen verhältnismäßig kleinen Teil ein. Gerade in den letzten Monaten wuchs das Segment aber schnell. Im Fokus stehen vor allem Fahrgast- und Binnenschiffe. Zum einen, weil solche Schiffe mit den Kapazitäten in Stralsund gebaut werden können. Zum Anderen sieht man darin die bessere Kombination aus Risiko und Potenzial: Im Hinterland der Küsten spielen Wellen und Wind eine geringere Rolle, was dem Energiebedarf der Schiffe und damit der Batterie-Kapazität und dem Platzbedarf an Bord entgegenkommt.

Neuer Markt im Osten?

Kühmstedt setzt auf eine wachsende Nachfrage, wenn die Batterie-Preise weiter sinken und die Kapazität solcher Antriebe steigt. Den derzeit enorm von der Politik geförderten Wasserstoff-Antrieb sieht er hingegen kurzfristig noch nicht ausreichend ausgereift: »Es gibt mehrere Projekte, auf die auch wir schauen, aber die Technik ist noch nicht so weit.« Prototypen könne man realisieren, aber eine kommerziell sinnvolle Lösung für Reeder gebe es noch nicht.

Auch geografisch ist ein Ausbau der Aktivitäten eine Option. Neben Italien ist dabei beispielsweise Russland im Fokus. Die Regierung in Moskau hat große Pläne für eine Modernisierung der russischen Flotte. Allerdings gibt es Hürden, unter anderem hohe Anforderungen an den »local content«. Kühmstedt sagt, Russland sei, bei aller Unsicherheit darüber, was aus den hochtrabenden politischen Plänen letztlich wird, ein interessanter Markt, »für den man aber einen langen Atem braucht und der eine relativ hohe Einstiegshürde hat.«

Wie geht es mit dem klassischen Geschäft weiter? Das staatlich verordnete Schiffbau-Wachstum in Asien hat bekanntlich auch den Kreuzfahrtmarkt erfasst. Viele Experten rechnen mit einer Verschiebung der Werftkräfte – zum Nachteil der Europäer.

Maritim bleibt

Thomas Kühmstedt – Technischer Direktor
Thomas Kühmstedt – Technischer Direktor

Das hätte dann auch Auswirkung auf die Geschäfte von Ostseestaal, dessen ist man sich in Stralsund bewusst und Kühmstedt zeigt sich realistisch: »Wir hoffen, dass unser maritimes Geschäft nicht abnimmt, aber wir rechnen damit, so ehrlich muss man sein.« Auch in Zukunft will man jedoch definitiv im Schiffbau aktiv bleiben, die Suche nach Alternativen läuft bereits.

Eine »nach wie vor attraktive« Option ist das Geschäftsmodell der niederländischen Werften. Kühmstedt sagt: »Wenn es den Nachbarn gelingt, Frachtschiffe ohne Subventionen wirtschaftlich zu bauen, warum gelingt das dann in Deutschland nicht? Ich sehe da Potenzial, allerdings müsste man dafür die existierende Wertschöpfungskette im Schiffbau auf den Prüfstand stellen.« Hält er es für möglich, auch hierzulande (wieder) Neubauten aus den Shortsea- und Spezialschiff-Segmenten zu realisieren? »Absolut!«

Abstract: Structural change in a north-east German way

Steel construction, shipbuilding, architecture & Co. Stralsund-based Ostseestaal is on course for growth. One important reason for this is the flexibility in the selection of business fields. In direct neighbourhood of the former Volkswerft shipyard, which nowadays belongs to the MV Werften Group, Ostseestaal has built up an extensive product portfolio in recent years that has clearly outgrown the original business.