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Hydrodynamik und Opex vs. Mess- und Arbeitsfähigkeit: Der Forschungsschiffbetrieb stellt besondere technische und operative Herausforderungen an Seeleute und Reederei. Die Briese-Gruppe ist für einen Großteil der deutschen Flotte verantwortlich. Von Michael Meyer[ds_preview]

Insgesamt rund 250 Seeleute und 15 Mitarbeiter in den Büros in Leer kümmern sich für die Reedereigruppe Briese nur um Forschungsschiffe. Das ostfriesische Unternehmen – eigentlich vor allem bekannt für seine große Anzahl an Mehrzweck- und kleineren Containerfrachtern – war 2004 in das Segment eingestiegen. Es betreibt acht Forschungsschiffe: »Meteor«, »Maria S. Merian«, »Alkor«, »Heincke«, »Elisabeth Mann Borgese«, »Senckenberg«, »Littorina« sowie die 2014 in Dienst gestellte und von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel getaufte »Sonne«.

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»Sonne« und »Maria S. Merian« werden von Briese Research bereedert (© Briese)

Die Schiffe befinden sich mit Ausnahme der »Senckenberg« im Eigentum der öffentlichen Hand, die wiederum Briese mit der Bereederung betraut. Entsprechend muss sich die Reederei an einige Vorgaben halten.

Dazu zählt zum Beispiel, dass die Betriebssprache an Bord deutsch ist. Hinzu kommen umfangreiche Berichts- und Monitoring-Pflichten. »Der Kunde ist im Regelfall die öffentliche Hand, die einen sehr transparenten und sorgfältigen Umgang mit den Haushaltsmitteln und eine damit einhergehende Kommunikation einfordert«, sagt Klaus Küper, Leiter der Abteilung Forschungsschifffahrt der Reederei Briese. Alle Reisen werden kritisch von den wissenschaftlichen Fahrtleitern evaluiert und die Ergebnisse dem Auftraggeber bekannt gemacht, der sich so nicht zuletzt eine gewisse Kontrolle sichert.

Diplomatie mit bis zu 70 Personen an Bord

Eine besondere Herausforderung ist das Zusammenspiel von nautisch-technischer Besatzung und Wissenschaftlern an Bord. Immer wieder muss abgewogen und ein Kompromiss gefunden werden.

Mitunter sind bis zu 70 Personen auf einem Schiff. Die wissenschaftliche Besetzung erfolgt auf jeder Reise neu und für viele Teilnehmer ist es die erste Begegnung mit einem Schiff, auf dem sie nun wochenlang ohne Hafenanlauf ihrer Arbeit nachgehen, aber auch ihre Freizeit verbringen. »Das erfordert eine gute Moderation und diplomatisches Geschick der Schiffsleitungen, um auch den Bereich Sicherheit gut und gemeinsam abzubilden«, so Küper.

Die Wissenschaftler sind zwar als »Gäste« nicht in den Schiffsbetrieb integriert. Dennoch gibt es ausgeprägte Sicherheitstrainings, deutlich umfangreicher als beispielsweise für Gäste auf Kreuzfahrtschiffen – weil sie eben an Bord arbeiten. Gleichzeitig müssen die Seeleute aus Sicherheitsgründen auch in einige Grundlagen der Forschungsausrüstung eingewiesen werden.

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Seeleute und Wissenschaftler arbeiten auf Forschungsschiffen Hand in Hand um einen erfolgreichen Einsatz der modernen Technik zu ermöglichen. Die Abläufe an Bord müssen gut koordiniert werden. Mitunter führen die Expeditionen in sehr abgelegene Regionen (© Briese)

Die Herausforderungen an die Besatzung unterscheiden sich in vielen Belangen grundsätzlich von denen auf Frachtschiffen. »Die Ladung ist der Kunde und gibt direkt Feedback«, sagt der Abteilungsleiter, selbst ehemaliger Seemann. Alle Crew-Mitglieder haben Kontakt zur Wissenschaft und dienen als Unterstützung, damit die Reise ein Erfolg wird. Zur Unterstützung zählt mittlerweile mehr denn je eine stabile Internet-Verbindung, wenn Daten schnell und sicher übermittelt werden müssen. Weil Forschungsreisen oft in recht abgelegenen Gebieten stattfinden, ist die Anbindung nicht selten ein »Bottleneck«.

Diese Schiffe sind oft mit hochmoderner Technik ausgestattet und bedürfen »entsprechender Aufgeschlossenheit« der Crew. Daher spielt die Weiterbildung bei Briese eine große Rolle. An einem Simulator in Leer können sich Seeleute im Umgang mit den Schiffen »Sonne« und »Maria S. Merian« schulen lassen.

Die lange Nutzungsdauer der Schiffe von über 30 Jahren ist ebenfalls eine Herausforderung, da sich die wissenschaftlichen Anforderungen und damit die Gerätschaften an Bord immer wieder ändern – der Anpassungsbedarf ist deutlich höher als in der Handelsschifffahrt. »Da ist die Reederei gefordert, dem Auftraggeber Lösungsmöglichkeiten anzubieten, damit auch zukünftige Reisen bestmögliche Forschungsergebnisse erzielen können«, heißt es. Konkret geht es dabei unter anderem um ein hohes Niveau bei Pflege und Wartung.

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(© Briese)

An Bord sind die Besatzungen gefordert, die Forschungsgeräte in den Schiffsbetrieb und teilweise auch ins entsprechende Netzwerk einzubinden, um sicherzustellen, dass eine einwandfreie Funktion gewährleistet ist. Auf größeren Schiffen sind dafür Mitarbeiter des Wissenschaftlich Technischen Dienstes (WTD) zugegen und bilden das Bindeglied zwischen Wissenschaft und Schiff.

Die Natur setzt der Forschung auch Grenzen

Einerseits steht die Wissenschaft im Fokus jeder Reise und die Seeleute müssen verstehen, worum es den Forschern geht. Ihnen soll ermöglicht werden, zum Zeitpunkt X an Ort Y arbeiten zu können. Das erfordert eine sehr gute Reiseplanung. Gleichzeitig muss der »Gast« erkennen, dass es auf See auch gewisse Grenzen der Machbarkeit gibt, vor allem die Natur. Hier spielen insbesondere Wetter und Strömungsverhältnisse eine große Rolle. Selbst das heutzutage fast schon gängige System zur dynamischen Positionierung (DP) kann unter bestimmten Bedingungen keine Wunder vollbringen. Auch hier öffnet der Simulator Perspektiven. »Nur durch das enge Zusammenspiel der handelnden Parteien an Bord kann eine Forschungsreise den entsprechenden wissenschaftlichen Erfolg erreichen«, sagt Küper.

Die Wissenschaft ist – vereinfacht ausgedrückt – auf möglichst stabile Bedingungen auf See angewiesen. Um dies bestmöglich zu erreichen, sind deutsche Forschungsschiffe in der Regel speziell dafür konstruiert und ausgerüstet, etwa für multidisziplinäre Arbeiten in den Bereichen Biologie, Geologie, Geophysik, Glaziologie, Geochemie, Ozeanographie und Meteorologie.

»Das Besondere beim Design ist, dass für eine sichere und effektive Forschungsarbeit ein guter Kompromiss zwischen dem Stationsarbeitsverhalten, dem Leistungsbedarf in offenem Wasser bei Transitfahrt und dem Seegangsverhalten gefunden werden muss«, so der Abteilungsleiter weiter. Die Form habe neben einem möglichst geringen Fahrtwiderstand die hydrodynamischen Anforderungen für den Betrieb der echolottechnischen Anlagen sicherzustellen. Dazu zählen die Vermeidung und sichere Ableitung von Lufteinträgen und Verwirbelungen unterhalb der Echolotschwinger.

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(© Briese)

Daher weicht die Schiffsform grundsätzlich von normalen Frachtschiffen ab und man benötigt sehr spezielles Knowhow für eine gute Konstruktion. »Die neusten deutschen Forschungsschiffe zählen zu den weltweit modernsten Einheiten und genießen ein sehr hohes Ansehen«, sagt Küper.

Bei Handelsschiffen stehen Hydrodynamik und möglichst geringe Kraftstoffverbräuche und Betriebskosten im Vordergrund. Meist soll ein Wulstbug die Bugwelle veerringern und Wasser und Luftblasen unter den Rumpf leiten, um den Widerstand zu verringern. In der Forschungsschifffahrt – wo wie in der Kreuzfahrtflotte oft auf Stabilisatoren gesetzt wird – ist genau das nicht gewollt, wie Lothar Meinders, Technik-Chef bei Briese Research erläutert. »Diese Luftblasen zerstören die Aufnahmen von Echoloten, die sich in der Regel im vorderen Teil des Rumpfs befinden.« Das gelte es zu verhindern, »der für uns wichtigste Aspekt ist dieser sogenannte ›Bubble Sweep Down‹«, so der Experte. Zumindest in der deutschen Forschungsschiffsflotte wird daher unter anderem auf einen Wulstbug verzichtet. Auch einen Tunnel-Thruster findet man in der Regel nicht an Bord. Wasserbewegungen, die durch dessen Öffnungen entstehen würden, sollen reduziert werden, denn sie erzeugen Luftblasen. Jegliche Öffnung soll vermieden werden, oder zumindest so positioniert werden, dass sie nicht auf die Lote wirkt.

Entstehen dennoch Blasen durch den Schiffsbetrieb, sollen sie möglichst lange an der Außenhaut bleiben, um die Echolote nicht zu beeinträchtigen. »Das ist beispielsweise einer der Erfolgs­faktoren der ›Sonne‹«, sagt Meinders.

Keine Sonnencreme

Die hohen Ansprüche an die Schiffe beim Umweltschutz werden durch moderne Abgasnachbehandlungsyssteme, LED-Beleuchtung, weitere energetische Maßnahmen oder die Abwärme-Nutzung erfüllt.

OFOS FS SONNE Quelle Briese RESEARCH Mathias Grossmann
(© Briese)

Die Luftreinheit steht bei Messarbeiten im Vordergrund, daran muss sich auch die Besatzung halten. Ein Beispiel zum Schmunzeln: Es kommt vor, dass sich Seeleute nicht mit Sonnencreme einreiben dürfen, weil sie damit die empfindlichen Geräte für Messungen der Luft beeinträchtigen könnten.

Alle Schiffsabwässer können zudem bis zu 48 Stunden an Bord behalten und nicht wie sonst direkt abgeleitet werden. Auch das soll dazu beitragen, Proben nicht zu verfälschen.

Nachdem Briese 2004 in die Forschungsschifffahrt eingestiegen war, gab es zunächst einige Hürden zu nehmen. Mittlerweile läuft es »rund« und man wolle definitiv weiter in dem Bereich aktiv bleiben, sagt Abteilungsleiter Küper.

Neubauten im Fokus

Briese beteiligt sich derzeit aktiv an der Entwicklung und am Bau des neusten Forschungsschiffs, der »Meteor IV«, die die 1986 gebaute Meteor« und die bereits außer Dienst gestellte »Poseidon« ersetzen soll. »Wir sehen die Forschungsschifffahrt auch in den nächsten Jahrzehnten als wichtigen Beitrag Deutschlands für die Untersuchung und das Verstehen der Meere. Die multidisziplinäre Ausrichtung der Schiffe erlaubt ein breites Spektrum von Untersuchungen. Angesichts der Tatsache, dass nicht nur die Klimaforschung in den Fokus der Bevölkerung geraten ist, können mit neusten und weiterentwickelten Geräten Gebiete erforscht werden, wo es bisher nicht möglich war«, so Küper.

So ist das deutsche Bundesforschungsministerium an Fragen interessiert wie: »Welche Rolle spielen die Ozeane als Wärme- und CO2-Speicher im fortschreitenden Klimawandel? Wie wirken sich steigende Meeresspiegel und verändertes Klima auf die Küstenregionen aus? Welche Folgen haben die Verschmutzung und Versauerung der Ozeane für die biologische Vielfalt und die Versorgung der Menschen? Die große gesellschaftliche Herausforderung besteht darin, das ökologische Gleichgewicht in den marinen und polaren Regionen zu erhalten und die Nutzung natürlicher Ressourcen und Ökosystemleistungen langfristig für heutige und zukünftige Generationen zu sichern.« Darin spiegeln sich zugleich Auftrag und Chance für die Forschungsschifffahrt.