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Gehen Container über Bord, gibt es nicht nur imposante Bilder, sondern meist auch eine Debatte über Staufehler und Laschtechnik. Man kann den Fokus aber auch auf etwas anderes legen: Kooperation, Transparenz, Klimawandel oder Digitalisierung. Von Michael Meyer

Zuletzt verlor die »Madrid Bridge« Container, davor machten unter [ds_preview]anderem die Schiffe »Cosco Nagoya«, »Zim Kingston« oder »One Apus« Schlagzeilen mit zum Teil drei- oder vierstelligen Box-Verlusten. Derartige Meldungen sorgen stets für Aufsehen. Im Verhältnis zur weltweit transportierten Containermenge macht die Anzahl der über Bord gegangenen Boxen allerdings nur einen Bruchteil aus – mithin sei das für die maritime Branche nicht wirklich ein großes Problem, sagen so manche. Allerdings produzieren derlei Havarien wirksame Bilder – treibende Container, an die Küste geschwemmter Müll. Aus ökologischen Gesichtspunkten ist jeder verlorene Container einer zu viel, damit werden solche Vorfälle zum Image-Problem für Reedereien. Mit zunehmender Schiffsgröße nimmt das Image-Risiko zu, weil ja auch mehr Container über Bord gehen können.

Auch wenn schon einiges getan wurde und eine Anpassung der Stau-Standards nicht unwahrscheinlich ist – unter anderem die Versicherungsbranche macht immer größeren Druck auf die Politik – gibt es weitere potenzielle Stellschrauben. Richard Steele, neuer Chef der International Cargo Handling Coordination Association (ICHCA) glaubt etwa: »Wir können durch Partnerschaften mit allen Interessengruppen noch viel mehr erreichen.« Die Organisation ist Teil der Cargo Integrity Group (CIG), die sich unter anderem auf eine Verbesserung der CTU-Kontrollen – für Verpackung, Packen und der Sicherung sowie Gefahrgutplanung und Deklaration – stürzen könne.

Ein Punkt ist die Falschdeklaration von Containerladung: »Das kann aufgrund von Fehlern oder Missverständnissen auftreten. Wir müssen aber auch anerkennen, dass manche Falschdeklarationen vorsätzlich und damit kriminell sind«, sagt Steele im Gespräch mit der HANSA.

Daten-Austausch & Transparenz

Der Ansatz der ICHCA im Bereich der Ladungssicherheit ist eine kollegialer, um wichtige Richtlinien wie den CTU-Code zu vermitteln und bekannt zu machen. So haben die CIG-Partner beispielsweise eine Kurzanleitung zum Code entwickelt, die in sieben verschiedene Sprachen übersetzt wurde. »Wenn die Menschen wüssten, welche Folgen das schlechte Packen von Beförderungseinheiten haben kann – die Folgen, die durch immer größere Schiffe noch verstärkt werden können – dann würden sie sich meiner Meinung nach anders verhalten, oder es gäbe weniger Falschangaben und weniger schlecht verpackte CTUs«, so der Vertreter der 1952 gegründeten NGO.»Wenn die Menschen wüssten, welche Folgen schlechtes Packen haben kann – die Folgen werden durch immer größere Schiffe noch verstärkt – würden sie sich anders verhalten«, Richard Steele, Leiter der International Cargo Handling Coordination Association ICHCA © ICHCA

»Wenn die Menschen wüssten, welche Folgen schlechtes Packen haben kann – die Folgen werden durch immer größere Schiffe noch verstärkt – würden sie sich anders verhalten«, Richard Steele, Leiter der International Cargo Handling Coordination Association ICHCA © ICHCA

Als anerkannte Nichtregierungsorganisation bei der IMO trägt die ICHCA zur Entwicklung von Vorschriften, Leitlinien bei. Steele glaubt jedoch nicht, dass eine Regulierung allein diese Art von Herausforderungen lösen kann. Kein Land habe die Ressourcen, um jede Frachttransporteinheit auf jedem Schiff zu überwachen. Ihm geht es auch darum, mit den anderen Akteuren zusammenzuarbeiten, also sowohl mit Unternehmen wie Reedereien, Spediteuren, Häfen und Terminals als auch mit den Menschen, die die Arbeit machen. So ist die Internationale Transportarbeiter-Gewerkschaft ITF in der ICHCA vertreten. »Es geht darum, all dieses Fachwissen zusammenzubringen, um kontinuierlich verbesserte Standards zu schaffen. Dies erfordert Zusammenarbeit, Koordination und Kommunikation zwischen allen Beteiligten. Für die verschiedenen Teile der Kette gelten unterschiedliche Vorschriften. Wir alle sind darauf angewiesen, dass jeder seine Rolle erfüllt«, sagt Steele.

Seiner Ansicht gibt es viel zu tun, wenn es darum geht, sich auszutauschen und zu verstehen, welche Risiken in verschiedenen Situationen auftreten können. »Das Interesse an neuen Technologien ist groß, aber wir haben noch nicht herausgefunden, wie wir Daten und Wissen gründlich, schnell und so weitergeben können, dass es immer ankommt«, so der ICHCA-Chef, der sich bewusst ist, dass einige aufgrund kartellrechtlicher Fragen und kommerzieller Empfindlichkeiten bei der Offenlegung von Daten zurückhaltend sind, aber: »Wenn wir die Sicherheit verbessern können, ist es das allemal wert.«

Automation kein heiliger Gral

Steele zeigt sich im Gespräch zuversichtlich (»Ich würde diesen Job sonst nicht machen«), dass man in der gesamten Branche etwas aufbauen und verbessern kann. Man habe eine Reihe sehr großer Unternehmen als Mitglieder, »das gibt uns eine solide Basis, um eine kritische Masse an Interesse und Einfluss zu schaffen.« Auch die Versicherungsbranche sei ein wichtiger Verbündeter. Weil Containerverluste für sie konkrete geschäftliche Konsequenzen haben, ist Risikominderung Teil ihrer Strategie.

Die berüchtigten »Human Errors« sind für die ICHCA nicht der entscheidende Punkt: »Da Organisationen aus Menschen bestehen, kann man jeden Unfall oder Fehler auf menschliches Versagen schieben, wenn man genau genug hinschaut. Ich ziehe es vor, die Menschen als eine Quelle der Agilität und Reaktionsfähigkeit zu betrachten, die in den meisten Fällen die Dinge richtig machen und Lösungen für komplexe Probleme finden«, betont Steele.

Auch mit modernster Ausrüstung und noch so guten maschinellen Prozessen allein könne man nicht erreichen, dass keine Schäden entstehen: »Automatisierung ist kein heiliger Gral, es gibt keine Patentrezepte.« Es geht für ihn vielmehr um die Integration der Akteure. Die Technologie habe ihren Platz, um die Sicherheit voranzubringen. »Aber ich denke, man muss es auf eine differenzierte Art und Weise angehen – hinter all dem stehen Menschen, und sie sind es, die ein Unternehmen beweglich halten und auf Veränderungen und Unsicherheiten reagieren lassen.«

»Schwer zu durchschauen«

Auf der rein technischen Seite der Aufarbeitung von Containerverlusten steht unter anderem die Belastung der Container-Ecksäulen oder der Twistlocks im Fokus. Nicht alle Beobachter teilen diese Ansicht allerdings. So sieht man nach einer Containerhavarie viele Schäden und zum Teil auseinandergebrochene Container – an denen der Twistlock bisweilen jedoch nach wie vor unbeschädigt hängt.

Auch Dennis Brand, Gründer und Geschäftsführer beim Hamburger Wrackbeseitigungsunternehmen Brand Marine Consultants (BMC) sieht die konkrete Ausrüstung zur Ladungssicherung nicht als das eigentliche Problem an: »Klar, wenn die Laschstange reißt, kann man immer sagen, die hätte dicker sein können. Aber ich glaube, das Gesamtpaket ist nicht so leicht zu durchschauen.«

Brand ist selbst zur See gefahren und hat einige Erfahrungen in der Branche gesammelt. Seiner Ansicht nach könnten die Entwicklung zu immer größeren Containerschiffen und wohl auch der Klimawandel eine Rolle in diesem Zusammenhang spielen.

Die Ladungssicherungssysteme werden bei der Konstruktion von Schiffen mit den zu jenem Zeitpunkt gültigen Annahmen über Kräfte und Rahmenbedingungen entwickelt. Was aber waren die Parameter? Sie wurden unter anderem von den Wetterbedingungen abgeleitet. »Durch den Klimawandel dürfte sich aber auch der Seegang in bestimmten Fahrtgebieten geändert haben«, meint Brand. Bei älteren Schiffen gibt es also eine gewisse Diskrepanz.

Parametrisches Rollen im Fokus

Hinzu kommt die Schiffsgrößenentwicklung. Die Schiffe werden breiter und über die zusätzlichen Containerstapel höher. Es besteht das Risiko von größeren Seitwärtsbewegungen beziehungsweise von parametrischem Rollen – nach Ansicht von Brand »die größte Baustelle«. Für ihn besteht ein wichtiger Punkt darin, dass der Abstand vom sogenannten Drehpunkt zu den ganz oben und ganz seitlich gestauten Containern immer größer wird. Je größer das Schiff, desto größer dieser Abstand, bei gleichem Rollwinkel lasten auf jenen Containern also größere Kräfte. Daher würde sich im Übrigen auch die potenzielle Auswirkung von falsch deklarierten oder falsch gestauten – weil für obere Lagen zu schweren – Containern bei größeren Schiffen stärker auswirken.

Theoretisch könnte man mit immer höheren Laschbrücken arbeiten. Das würde allerdings das Gewicht erhöhen und den Platz für Container reduzieren – keine realistische Variante.

Gegen die Rollbewegung gäbe es zwar prinzipiell Maßnahmen, wie etwa Flossen-Systeme und Schwingungsdämpfer, wie sie heute etwa an einigen Kreuzfahrtschiffen installiert sind. Allerdings wäre das ein zusätzlicher Investitionsaufwand, den viele Reeder scheuen dürften.

Für Brand gibt es zudem andere Mittel und Wege, um mit dem Risiko von ausufernden Rollbewegungen umzugehen, etwa Monitoring-Systeme, die vor drohender Gefahr warnen: »Ich glaube, das Wichtigste ist die Unterstützung der Schiffsführung. Das können Manövrierhilfen sein damit ein Schiff so navigiert wird, dass es gar nicht in die Grenzbereiche der Laschsysteme kommt.«