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Die Reedereien stellen den weltweiten Flaggenstaatsverwaltungen aktuell ein gutes Zeugnis aus. Verbesserungspotenzial wird allerdings beim Reporting zum Wohlergehen der Seeleute gesehen. Von Michael Meyer[ds_preview]

Die Reederei-Vereinigung »International Chamber of Shippging« (ICS) hat jüngst ihren jährlichen Bericht über die Leistungen der Flaggenstaaten veröffentlicht. Eines der Ergebnisse: das Reporting über das Wohlergehen der Seeleute sei ein »Opfer der Pandemie«.

Der Bericht soll Reeder dazu ermutigen, den Dialog mit ihren Flaggenstaaten aufrechtzuerhalten und dazu beitragen, die notwendigen Verbesserungen unter anderem in den Bereichen Sicherheit, Umwelt und menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu erleichtern.

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Das Leben und die Arbeit der Seeleute rücken – nicht nur wegen
der Corona-Pandemie – immer mehr in den Fokus der
Schifffahrtspolitik, auch bei der Internationalen Schifffahrtsorganisation
IMO, vor der diese Statue steht (© IMO)

Seitens der ICS heißt es nun, die Berichterstattung über den Stand der nationalen Arbeitsnormen – gemäß der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), einschließlich des Seearbeitsübereinkommens (MLC) von 2006 – sei rückläufig. Dies unterstreiche »den starken administrativen Druck«, den die Pandemie und die anhaltende Besatzungswechselkrise auf Seeleute, Regierungen und die Branche gleichermaßen ausüben. Wenn man das entsprechende Kriterium des Berichts bewertet, ergibt sich ein Rückgang von sechs Prozentpunkten bei denjenigen Flaggenstaaten, die ihren Verpflichtungen erfolgreich nachgekommen sind.

Der ILO-Sachverständigenausschuss stellte den Angaben zufolge fest, dass »die Zahl der bis zum 1. Oktober 2021 eingegangenen Berichte im Vergleich zu den Vorjahren stark zurückgegangen ist«. 2.004 Berichte über die Entwicklung von Arbeitsnormen hatte die ILO von den Regierungen angefordert. Aber lediglich 42,9% dieser Anträge wurden bewilligt. Zum Vergleich: Im Vorjahr lag die Quote noch bei 70,7%.

»Mehr Priorität für Seeleute«

Der ILO-Trend könne zwar zum Teil durch den administrativen Druck erklärt werden, der durch die Corona-Pandemie entstanden ist. Allerdings sei dies aber auch ein Indiz dafür, »dass die Härten, unter denen die Arbeitskräfte weltweit während dieser Pandemie zu leiden hatten, auf der Agenda der nationalen Verwaltungen möglicherweise nicht ganz oben standen.«

ICS-Generalsekretär Guy Platten sagte: »Die Pandemie war für uns alle eine Herausforderung, die auch die Flaggenstaaten zu bewältigen hatten. Der Rückgang der Meldungen über Verstöße gegen die ILO-Arbeitsnormen, einschließlich des Seearbeitsübereinkommens, ist jedoch ein weiterer Beweis dafür, dass das Wohlergehen der Seeleute in der Pandemie weniger im Fokus stand.« Hunderttausende von Seeleuten hätten in den letzten zwei Jahren viele Monate lang über ihre geplante Dienstzeit hinaus auf Schiffen festgesessen. »Dieser Bericht erinnert uns daran, dass die Flaggenstaaten den Seeleuten oberste Priorität einräumen müssen«, so Platten.

Deutsche Flotte und Flagge
© BSH

Insgesamt stellen die Reeder den Flaggenstaaten allerdings erneut ein gutes Zeugnis aus: »Die Ergebnisse waren ein Ausreißer im Vergleich zu einer allgemein guten Leistung der meisten Flaggenstaaten bei Kriterien wie der Hafenstaatkontrolle (PSC) und der Ratifizierung internationaler Übereinkommen.« Von den zehn größten Schiffsregistern (nach Tragfähigkeit), die mehr als 75% der Weltflotte abdecken, weist keines mehr als zwei Indikatoren für potenziell negative Leistungen auf, und fünf haben überhaupt keine negativen Indikatoren. Wie im Vorjahr kommentierte die Organisation erneut die vielfach geführte Diskussion über die unterschiedlichen Schiffsregister-Typen: »Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Unterscheidung zwischen ›traditionellen‹ Flaggen und offenen Registern nicht mehr sinnvoll ist, da viele offene Register neben mehreren europäischen Registern zu den Spitzenreitern gehören.«

UN-Organisationen in Sorge

Nach Veröffentlichung des ICS-Reports meldeten sich kürzlich die vier UN-Organisationen für Arbeit (ILO), Schifffahrt (IMO), Handel (UNCTAD) und Gesundheit (WHO) zu Wort. Sie riefen zu »weiterer globalen Zusammenarbeit« auf, um die Krise des Besatzungswechsels zu bewältigen. Neue Herausforderungen und besorgniserregende Covid-Varianten wie »Omikron« drohten die Notlage der Seeleute zu verschärfen. Zwar habe es vor dem Auftauchen von Omikron eine Verbesserung gegeben.

So sank der »Neptune Declaration Crew Change Indicator«, der auf den Daten von zehn großen Schiffsmanagern mit rund 90.000 Seeleuten beruht. Demnach ging der Anteil der Seeleute, die nach Ablauf ihres Vertrags an Bord bleiben, von 9% im Juli 2021 auf 3,7% im Dezember 2021 zurück. Bis Mitte Januar 2022 stieg der Anteil jedoch wieder auf 4,2% an. Nach der Einstufung von Omikron als »besorgniserregende Variante« hatten viele Länder Maßnahmen wie Reiseverbote verhängt, von denen Seeleute weltweit betroffen waren, von denen die meisten aus Entwicklungsländern stammen. IMO-Generalsekretär Kitack Lim sagte zuletzt auf einer Branchenkonferenz in Frankreich: »Obwohl sich die Situation deutlich verbessert hat, bestehen einige Schwierigkeiten fort. Die Entwicklung hat gezeigt, dass wir weiterhin zusammenarbeiten müssen, um die Probleme des Wechsels der Besatzung anzugehen und die Gesundheit und das Wohlbefinden der Seeleute zu gewährleisten.« Der Schiffssicherheitsausschuss der IMO will nun einen Vorschlag zur umfassenden Überarbeitung des STCW-Übereinkommens »über Normen für die Ausbildung und Erteilung von Befähigungszeugnissen für Seeleute« prüfen.

Forderungskatalog an Flaggen

Die Überprüfung soll Gelegenheit bieten, die Anforderungen im Zuge der Umstellung auf eine nachhaltigere Schifffahrt mit der Einführung neuer Kraftstoffe und dem zunehmenden Einsatz neuer Technologien zu prüfen. »Die Fachkräfte im Seeverkehr müssen so ausgebildet werden, dass sie das für diesen Übergang erforderliche hohe Qualifikationsniveau erreichen. Die Beseitigung von Beschäftigungs- und Qualifikationsdefiziten erfordert konzertierte und kooperative Anstrengungen«, so Lim. Die maritimen Fachkräfte der Zukunft benötigten neue und andere Qualifikationen als in der Vergangenheit.

In diesem Zusammenhang forderte das »Special Tripartite Committee« des Seearbeitsübereinkommens (MLC) die Regierungen der Länder, aus denen Seeleute stammen, sowie von Hafen- und Flaggenstaaten auf, weiter dafür zu sensibilisieren, dass die Güter, »auf die wir alle in unserem täglichen Leben angewiesen sind, von Seeleuten transportiert werden, die mit Würde und Respekt behandelt werden sollten, um sicherzustellen, dass sie ihre lebenswichtigen Dienste für die Welt weiterhin leisten können.«

Die Beauftragten begrüßten den kürzlich vom ILO-Sachverständigenausschuss angenommenen Bericht, in dem betont wird, dass »der Begriff der höheren Gewalt nicht als gültiger Grund dafür angesehen werden sollte, Seeleuten ihre Rechte vorzuenthalten, da es weltweit Möglichkeiten gibt, die Bestimmungen des Seearbeitsübereinkommens von 2006 einzuhalten«. Der Ausschuss forderte die Staaten, die das Übereinkommen noch nicht ratifiziert haben, auf, »unverzüglich« alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den Schutz der Rechte von Seeleuten wiederherzustellen. Verschiedene Punkte seien dabei zu klären, darunter unter anderem:

  • Seeleute als Schlüsselarbeitskräfte anzuerkennen und sie als solche zu behandeln, inklusive einem vorrangigen Zugang zu Impfungen
  • Sicherstellen, dass Seeleuten als Schlüsselarbeitskräften Ausnahmen von Reisebeschränkungen gewährt werden, damit sie ihre Schiffe betreten und verlassen und nach Hause zurückkehren können
  • als Flaggenstaaten den Schiffen klare Leitlinien an die Hand geben, um sicherzustellen, dass Pläne für die Rückführung von Seeleuten entwickelt werden, einschließlich Empfehlungen für die Umleitung von Schiffen in Häfen, die einen Besatzungswechsel ermöglichen
  • ihre Politik als Flaggenstaaten weiter zu überprüfen, um zu verhindern, dass Dienstzeiten an Bord über die vereinbarten Dienstzeiten hinaus ausgedehnt werden, und ihre Verantwortung für die Minderung der mit Ermüdung und Unfällen verbundenen Risiken in vollem Umfang wahrzunehmen, indem sie die Schiffe wirksam überwachen und die Vorschriften durchsetzen
  • Sicherstellen, dass strenge Maßnahmen ergriffen werden, um zu gewährleisten, dass Seeleute nicht auf eine schwarze Liste gesetzt oder stigmatisiert werden, weil sie sich weigern, ihre Beschäftigungsverträge zu verlängern oder weil sie Bedenken und Beschwerden gemäß den Bestimmungen des Seearbeitsübereinkommens 2006 vorbringen.

»Es ist von entscheidender Bedeutung, dass diese Punkte ernst genommen werden und dass die Staaten klare, entschlossene und unterstützende Maßnahmen ergreifen, um die Freizügigkeit von Seeleuten zu gewährleisten, den Schiffsbetrieb zu erleichtern und die anhaltenden sozialen, wirtschaftlichen und betrieblichen Auswirkungen der Pandemie auf den Schifffahrtssektor zu minimieren«, so das Statement.

Buch HS 04 22 fin
© ICS / HANSA