Anders Ørgård, Chief Commercial Officer of OSK-ShipTech
Anders Ørgård, Chief Commercial Officer of OSK-ShipTech © OSK Group
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Beim Streben nach Netto-Null-Emissionen sollte sich die Schifffahrt nicht nur auf die CO2-Emissionen des Schiffskraftstoffs konzentrieren. »Wir müssen uns in der Debatte um die CO2-Emissionen auf das Gesamtbild konzentrieren«, fordert der Schiffsdesigner OSK Ship Tech.[ds_preview]

Das dänische Schiffbauingenieurbüro war maßgeblich an der Entwicklung vieler hochkarätiger RoPax-Fähren beteiligt. In der Schifffahrt ist die Fährbranche Vorreiter bei der Einführung alternativer Kraftstoffe und dem Übergang zu Batterieantrieben. Je kleiner aber der direkte Emissionsfußabdruck des Schiffsantriebs ist, desto größer ist der indirekte Emissionsfußabdruck durch den Bau des Schiffes, meint Anders Ørgård, Chief Commercial Officer von OSK-ShipTech. Zwar sollte die Verringerung der direkten CO2-Emissionen weiterhin Priorität haben, aber die Schiffseigner dürften die Augen nicht vor den indirekten Verursachern von CO2-Emissionen verschließen: vor allem vor dem Herstellungsprozess eines Schiffes und allen Komponenten, aus denen es besteht.

Eine kürzlich von der Beratungsfirma durchgeführte Studie ergab, dass bei einer vollelektrischen Fähre, die mit klimafreundlichem Strom betrieben wird, die nicht betriebsbedingten CO2-Emissionen weit über 55 % der gesamten CO2-Emissionen ausmachen können, die während des 20-jährigen Lebenszyklus des Schiffes entstehen. Daher sei ein ganzheitlicher Lebenszyklusansatz bei der Planung eines Neubaus von größter Bedeutung, so das Fazit. Ørgård: »Eine Lebenszyklusanalyse bietet die Möglichkeit, eine Konstruktionsstrategie zu entwickeln, die die Emissionen sowohl während des Baus als auch während des Betriebs reduziert und so die Lebensdauer des Schiffs weiter optimiert.«

Die Studie erfolgt vor dem Hintergrund einer Kontroverse um den Begriff der Nachhaltigkeit und der neuen Leitlinien des dänischen Verbraucherombudsmanns, die im Dezember 2021 veröffentlicht wurden. In den neuen Leitlinien wird betont, dass Aussagen wie beispielsweise »emissionsfrei« und »klimaneutral« über den gesamten Lebenszyklus des Produkts durch Lebenszyklusanalysen vollständig zu dokumentieren und von Experten zu überprüfen sind. Kann ein Unternehmen ein solche Aussage nicht mit einer tatsächlichen Lebenszyklusanalyse belegen können, drohen Geldstrafen in Millionenhöhe. Im Falle von Schiffen heißt das, dass neben dem Schiffsbetrieb auch der CO2-Fußabdruck durch den Bau und das Recycling des Schiffes berücksichtigt werden sollte.

Ökobilanz einer vollelektrischen Fähre

Die Studie von OSK-ShipTech umfasste eine Ökobilanz der 2021 gebauten, vollelektrischen Fähre »Grotte« von Fanølinjen, eines 50 m langen Doppelend-Ropax-Schiffs, das den zwölfminütigen Shuttle-Service zwischen Esbjerg und Nordby betreibt. Trotz der kurzen Strecke, die sie zurücklegt, fährt die »Grotte« effektiv zwölf Stunden am Tag. Die Studie sei daher repräsentativ für eine große RoPax-Fähre mit einer äquivalenten täglichen Betriebszeit von mindestens zwölf Stunden, so OSK. Die Bewertung, die die sechs Lebensphasen eines Schiffes vom Abbau der Rohstoffe über die Verarbeitung des Stahls bis hin zum Recycling des Schiffes umfasst, wurde in Übereinstimmung mit den Normen ISO 14040 und ISO 14044 durchgeführt.

Aus Gründen der Redundanz und um lange Positionierungsfahrten zu ermöglichen, sind die meisten Elektrofähren noch mit Dieselmotoren ausgestattet. Die Erfahrung aus dem Betrieb vollelektrischer Fähren hat gezeigt, dass sie etwa 90-95 % der Zeit mit Strom betrieben werden. Aus diesem Grund benötigen sie auch Reservestrom aus anderen Energiequellen. Nach öffentlich zugänglichen Daten hat der klimafreundliche Strom für die »Grotte« eine Emissionsintensität von 0,0187 kg CO2/kWh, verglichen mit 0,297 kg CO2/kWh des Stroms, der aus einem typischen Mix aus erneuerbaren und konventionellen Energieträgern (wie Kohle, Holzhackschnitzel und Erdgas) erzeugt wird, die im Netz verfügbar sind. OSK-ShipTech hat errechnet, dass die »Grotte« während ihrer gesamten Lebensdauer 2.508 t CO2-Äquivalente durch den Betrieb des Schiffes erzeugen wird, von denen 1.833 t CO2-Äquivalente auf die Herstellung des Schiffes zurückzuführen sind. Da das Schiff und seine Materialien beim Abriss recycelt werden, wird die Verschrottung des Schiffes einen positiven CO2e-Fußabdruck von 1.124,54 t haben.

Stahlbau ist größter Emissionstreiber

»Unsere Analyse zeigt deutlich, dass es ein emissionsfreies Schiff überhaupt nicht gibt«, sagt der OSK-CCO. »Vereinfacht gesagt, kann man die CO2-Emissionen, die bei der Herstellung entstehen, nicht mehr ignorieren, da sie in manchen Fällen mehr als 50 % des CO2-Fußabdrucks von der Wiege bis zur Bahre ausmachen können.« Nach dieser eingehenden Lebenszyklusanalyse will OSK-ShipTech, die gewonnenen Erkenntnisse bei künftigen Neubauprojekten anwenden und den Reedern bei der Entwicklung einer Konstruktionsstrategie zu helfen, um die CO2-Emissionen während des Bauprozesses zu reduzieren.

Da die Stahlkonstruktion fast 40 % des CO2-Fußabdrucks beim Bau eines Schiffes ausmacht, sollte eine Strategie entwickelt werden, die sich bereits in der Entwurfsphase auf den Schiffsrumpf und die Stahlkonstruktion konzentriert. »Man sollte auch das Land berücksichtigen, in dem das Schiff gebaut wird«, erklärt Ørgård. »In vielen Ländern wird die Stahlproduktion mit Kohle befeuert. Als Teil ihrer Baustrategie sollten die Reeder auch überlegen, wo sie ihre Schiffe bauen und wo sie den Stahl einkaufen wollen.« Neben der Stahlkonstruktion ist die Einrichtung der Fähren ein weiterer bedeutender Umweltverschmutzer, der etwa 10 % des gesamten Bauprozesses ausmacht. »Unsere Innenausstattungsabteilung, Steen Friis Design, hat ein Tool zur Berechnung der CO2-Emissionen der Unterkünfte entwickelt«, fügt Ørgård hinzu.