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Die Flensburger Schiffbau-Gesellschaft blickt zum 150-jährigen Jubiläum auf eine turbulente Geschichte mit einigen Höhen und Tiefen zurück. Mit einem neuen Eigner setzt man nun wieder große Hoffnungen auf Spezialmärkte. Von Michael Meyer

Wer hätte 1872 gedacht, welche Traditionsmarke geboren wurde, als eine Gruppe Flensburger[ds_preview] Kaufleute zusammenkam, um sich von internationalen Abhängigkeiten zu lösen und selbst für den Bau von dringend benötigten Schiffen zu sorgen? Ob die Männer wohl ahnten, welche Entwicklung sie losgetreten hatten? Überliefert sind derartige Erwartungen nicht.

Mehr als 780 Neubauten

Die Zeitachse der Flensburger Schiffbau-Gesellschaft ist gespickt mit Höhen und Tiefen, Kriegsfolgen und Wirtschaftswundern. Trotz aller Wirren und Schwierigkeiten konnte sie sich aber am Markt behaupten und sich immer wieder einen Namen als Spezialist für bestimmte Schiffstypen erarbeiten. Eigner kamen und gingen, zu den prominentesten gehört wohl die Lübecker Großreederei Oldendorff, die 1990 das Ruder übernommen hatte.

Bis heute wurden mehr als 780 Neubauten abgeliefert, darunter viele Container- und Mehrzweckschiffe und zuletzt vor allem RoRo- und RoPax-Fähren, ab etwa 2010 gelten die Flensburger als Weltmarktführer in diesem Bereich. (Eine Chronik mit einigen Schlaglichtern aus der Historie finden Sie auf den Seiten 48-50).

Zuletzt geriet die Werft schließlich kurz vor Anbruch dieses Jahrzehnts in Schwierigkeiten. Mittlerweile war die norwegische Siem-Gruppe Eigentümer. Probleme bei Zulieferern, Planungsfehler, Bau-Verzögerungen und und Einbrüche am Weltmarkt führten 2020 zur Insolvenz. Es folgte die Übernahme durch die Tennor Holding vom Investor Lars Windhorst. Als »neue« Zielmärkte wurden ausgegeben: Marine-Schiffe, Fähren, seit 2021 auch Yachten.

Neuanfang statt Abwicklung

Zurück zur Ausgangsfrage: Wer hätte vor gar nicht allzu langer Zeit gedacht, dass die FSG überhaupt noch aktiv ist? In besagter Krise waren einige Prognosen zur Zukunftsfähigkeit des Unternehmens relativ negativ ausgefallen. »Damals« war die FSG in finanzielle Schieflage geraten, während sich andere deutsche Schiffbau-Akteure als Garanten für den Erhalt deutschen Know-hows feiern ließen.

Das ist nicht etwa zwei oder drei Jahrzehnte, sondern nicht einmal fünf Jahre her. Wie schnell sich die Zeiten doch ändern können, war seitdem des Öfteren in der Branche zu hören. Während die Gruppe MV Werften in Mecklenburg-Vorpommern nach der Insolvenz vom asiatischen Eigner Genting abgewickelt und in ihre Einzelteile zerlegt wird, haben sich die Flensburger unter neuer Ägide neu aufgestellt. Mehr noch: Durch die Übernahme der Nobiskrug-Werft ist der Schiffbauer sogar gewachsen. Mit dem Tennor-Einstieg war auch die Übernahme der FSG durch die Hamburger Traditionswerft Pella Sietas vom Tisch – die mittlerweile ebenfalls abgewickelt wird.

Was die Zukunft für die FSG bringt, weiß niemand. Zunächst aber ist ein wenig Ruhe eingekehrt – zumindest auf finanzieller Ebene. Ganz im Gegenteil zur Schiffbau- und Vertriebsarbeit. Sowohl in den Hallen als auch in den Management-Büros ist wieder deutlich mehr los.

Neue Experten an Bord

Eine entscheidende Rolle bei der Weiterentwicklung von FSG und Nobiskrug soll das Personal spielen.

In der Krisenzeit musste ein gewisser »Brain Drain« verkraftet werden. Von den einst 650 Mitarbeitern waren zwischenzeitlich nur noch rund 350 übrig. Nach dem Neustart sicherte sich das Unternehmen aber wieder neues Know-how.

Von German Naval Yards in Kiel wechselte Philipp Maracke im Herbst 2020 zur FSG. Der in Kiel für den Bereich Marine­schiffe zuständige Manager übernahm als Geschäftsführer das Steuer in Flensburg. Als eine der ersten Maßnahmen kündigte er eine Analyse an, mit welchen Schiffstypen die Werft wirtschaftlich erfolgreich am Markt agieren könne.

Mit dem Ziel, die FSG zu diversifizieren und in den Bau von Unterstützungs- und Begleitschiffen für die Marine einzusteigen, holte Maracke erfahrene Köpfe an Bord der FSG, die die Marine- und Yacht-Expertise der Werft steigern sollten: zum Beispiel Carsten Treuer von der Lürssen-Kröger-Werft und dem neuen Vertriebsleiter Bernd Liedtke von Nobiskrug.

Umfangreiche F&E-Arbeit

Für die Zukunft sieht sich die Werft nun »gut gerüstet«, wie Geschäftsführer Maracke sagt (siehe Interview auf Seite 54). Ein besonderer Fokus liegt dem Management am Herzen: die Entwicklungsarbeit für neue Antriebs- und Schiffskonzepte, »um einen signifikanten Beitrag zur maritimen Energiewende zu leisten«.

Man wolle »grüne Produkte« entwickeln, die das Umrüsten auf alternative Kraftstoffe mittels Brückentechnologien »systematisch vordenken und kosteneffizient ermöglichen«, erläutert Forschungsleiter Rolf Nagel.

Über die Produkte von FSG und Nobiskrug hinweg wird auch grundsätzlich zu »zero-emission« geforscht – in unterschiedlichen Ausprägungen und an unterschiedlichen Stellschrauben.

Da ist zum Einen das große Feld der alternativen Kraftstoff­e LNG, Methanol, Ammoniak und Wasserstoff. Der Blick richtet sich nicht zuletzt darauf, »wie sie synthetisch mit Hilfe erneuerbarer Energien hergestellt und in einem Transformationsprozess als ›drop-in fuels‹ verwendet werden können«, sagt Nagel. Auch bei der Evaluierung der Verfügbarkeit derartiger Kraftstoffe will man unterstützend tätig sein sowie Kunden bei der Auswahl geeigneter Technologien für den jeweiligen Einsatzzweck beraten. Umfangreiche Forschung wird zudem zur Integration von Brennstoffzellentechnologie in kommerziellen und nicht kommerziellen Einsatzbereichen betrieben.

Generell will man das Energiesystem an Bord – einschließlich aller Potenziale zur Energierückgewinnung – optimieren. Auch am Einsatz von Batteriesystemen zur Optimierung der Energieerzeugung vor dem Hintergrund der individuellen Betriebsprofile wird gearbeitet.

Die »klassische« Schiffbau-Entwicklung soll dabei allerdings nicht außer Acht gelassen werden. So beschäftigt sich das Unternehmen laut Nagel mit der »fortlaufenden Effizienzsteigerung der FSG-Entwürfe durch Optimierung der Raumunterteilung, Rumpfform und Propulsionssysteme, etwa mit neu entwickelten E4/RDE-Methoden«.

Die großen technologischen Herausforderungen – Stichwort Dekarbonisierung und Schiffseffizienz – teilen FSG und Nobiskrug mit der gesamten weltweiten Werft-Branche. Nach einigen Jahren mit Problemen auf »anderen Baustellen« wollen Maracke, Nagel und Co. genau diese Arbeit nun wieder vorantreiben. Die Voraussetzungen dafür sind geschaffen.

Schiffbau-Kapazitäten in Flensburg

  • Gesamte Werftfläche: 125.000 m2
  • davon überdacht: 60.000 m2
  • Überdachte Helgenhalle mit Bauplatz: 275 x 45 x 43 m
  • Baukapazität Helgen: 220 x 32,5 m
  • Helgenneigung: ca. 2.86°
  • Max. Ablaufgewicht Helgen: ca. 14.000 t
  • Krankapazität Helgen: 2 x 120 t
  • Krankapazität Pier: 1 x 40 t + 1 x 60 t
  • 2 x 220 m lange Schiffe an Ausrüstungspier möglich
  • Krankapazität Werktstätten: 0,12 t – 40 t
  • Nutzfläche Werktstätten: 352 m2 – 1.895 m2
  • Zwei klimatisierte Strahl- und Beschichtungshallen für Modulbeschichtung, ausgelegt für PanMax
  • Produktionskapazität: 25.000 t Stahl/Jahr