Der Bulker »Wakashio« lief im Juli 2020 auf ein Riff vor Mauritius, eineinhalb Jahre später waren die aufwendigen Bergungsarbeiten abgeschlossen (© IMO)
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Während beim Thema Bergung in der Öffentlichkeit vor allem die immer größeren Schiffe im Vordergrund stehen, sehen sich die Spezialunternehmen mit Problemen bei Umsätzen und Finanzierung konfrontiert.[ds_preview] Von Felix Selzer

Große Havarien in der Schifffahrt werden seltener, die Totalverluste sind zuletzt auf einem Rekordtief angelangt, wie jüngst der »Safety & Shipping Review 2022« des Versicherers Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) zeigte. In den vergangenen vier Jahren hat es demnach 50 bis 75 Fälle pro Jahr gegeben, verglichen mit mehr als 200 noch in den 1990er Jahren. 2021 wurden weltweit 54 Totalverluste von Schiffen gemeldet, verglichen mit 65 im Vorjahr. Seit 2012 verzeichnet der Versicherer einen Rückgang um 57%. Dabei hat sich auch die Zahl der weltweit fahrenden Schiffe von 80.000 vor 30 Jahren auf heute schätzungsweise 130.000 erhöht. Verbesserte Schiffskonstruktionen, neue Technologien und verschärfte Vorschriften führt AGCS als Gründe für die sinkenden Havariezahlen ins Feld.

Die Versicherungsbranche kann das freuen: je weniger Havarien und Bergungen, umso weniger muss ausgezahlt werden. Für die auf die Bergung von Schiffen spezialisierten Unternehmen bedeutet das aber, dass ihr Geschäft immer unsicherer und kleiner wird.

Das hat Konsequenzen, der Markt konsolidiert sich, Akteure verschwinden, Berger müssen sich nach Alternativen umsehen. »So froh man aus Versichererperspektive sein kann, dass wenig passiert, so sind wir doch darauf angewiesen, dass schnell Hilfe da ist, wenn etwas passiert«, sagt Tim de Bruyne-Ludwig vom Verband hanseatischer Transportversicherer (VHT).

»Die zusätzlich benötigte Zeit lässt auch die Folgeschäden anwachsen«

Tim de Bruyne-Ludwig, VHT

Es gebe nicht mehr in jeder Ecke der Welt Bergungsspezialisten, die Anfahrtswege seien weiter. Das treibe die Kosten in die Höhe und die zusätzlich benötigte Zeit lasse auch die Folgeschäden, etwa an der Umwelt, wachsen. Langfristig befürchtet man beim VHT dadurch einen Verlust an Know-how insbesondere für die großen Fälle, die man in Zukunft angesichts der neuesten Megaschiffe erwartet.

Auch große Player sind augenscheinlich nicht sicher. 2020 war die aus dem Zusammenschluss des Bergungsgeschäfts von Svitzer und Titan entstandene Bergungsreederei Ardent vom Markt verschwunden. Schon 2016 hatte Mammoet sein Bergungsgeschäft aufgegeben und das Equipment verkauft. Es gebe derzeit nur noch eine Hand voll wirklich internationaler Bergungsakteure, sagt James Herbert, Generalsekretär des Branchenverbands International Salvage Union (ISU). Zu nennen wären Smit Salvage, T&T Salvage oder Resolve Marine. Viele Daten über die tatsächliche Situation, was die weltweite Verfügbarkeit angehe, gebe es aber nicht, meint Herbert – dafür umso mehr »gefühlte Missstände«. Es sei schwer Einzelfälle zu quantifizieren. Aus ISU-Perspektive lasse sich die Frage jedenfalls nicht so einfach beantworten. »Grundsätzlich sind unsere Mitglieder in der Lage, die anfallenden Bergungsprojekte zu stemmen, und sie sind kreativ, wenn nötig. Die Frage nach der Verfügbarkeit und der Vorlaufzeit ist aber insbesondere im Hinblick auf abgelegene Regionen berechtigt«, sagt er im Gespräch mit der HANSA.

Die Zahl der Bergungsfälle für die ISU-Mitgliedsfirmen schwankt zwar, als Mittelwert gibt Herbert 200 Bergungen im Jahr an. »Es sind mal etwas mehr, mal etwas weniger. Alles in allem beobachten wir über die Jahre aber eine recht stabile Zahl an Bergungsdienstleistungen«, so der ISU-Chef. Allerdings nehme dabei die Zahl der großen Havarien ab.

»Die Frage nach Verfügbarkeit und Vorlaufzeit ist insbesondere im Hinblick auf abgelegene Regionen berechtigt«

James Herbert, ISU

Dafür würden diese auch immer komplizierter, insbesondere, was Containerschiffe angehe. Hier war die Größenentwicklung in den letzten Jahren rasant. Laut Allianz-Report zeigt sich zudem bei Containerschiffen und RoRo-Schiffen wie Autofrachtern ein Trend hin zu Brandhavarien. Das nennt auch Herbert als besonders ernstzunehmende Entwicklung, weil sie nicht zuletzt auch durch den speziellen Umgang mit den feuergeschädigten Wracks und Trümmern die Bergungen zusätzlich verkompliziert.

Während die ISU noch die Daten für die Jahresstatistik 2021 zusammenstellt, verweist Herbert auf die Zahlen von 2020, die bereits deutlich schwächere Umsätze mit dramatischem Rückgang der Einnahmen aus Wrackbeseitigung und Dienstleistungen um fast 38% zeigten. Im Bereich Wrackbeseitigungen waren die Umsätze gar um 65% eingebrochen. Das Geschäft ist ohnehin schwer vorhersehbar, jährliche Schwankungen sind normal. Jedoch verstärkt der Trend zu einer geringeren Anzahl größerer und komplexerer Fälle diese noch. Das erhöht den wirtschaftlichen Druck auf die Akteure.

Neben der Konsolidierung macht Herbert die Diversifizierung als Branchentrend aus. »Die Unternehmen versuchen sich so aufzustellen, dass sie stabile Umsätze außerhalb des maritimen Bergungsgeschäfts erzielen«, sagt er.

Das sieht Dennis Brand von Brand Marine Consultants (BMC) nicht als positive Entwicklung, da damit auch der Trend zu langfristigen Vercharterung von Gerät einhergehe, das eigentlich für Bergungseinsätze schnell verfügbar sein müsste. »Die Mobilisierungszeit wird länger, die Verfügbarkeit kürzer«, sagt er. »Der Markt ist komplett ausgedünnt, was große Bergungs-Player angeht.« Es gebe allerdings kein technisches Problem bei der Bergung großer Schiffe. Vielmehr stelle sich generell die Frage nach den Mobilisierungszeiten, weil fast alles Gerät langfristig verchartert sei. In vielen Gegenden gebe es beispielsweise keine Bergungsschlepper mehr, »die einfach da liegen«, so Brand, der das Problem weniger in der Zahl der Havarien oder den Gegebenheiten der individuellen Fälle sieht, sondern vielmehr in der Finanzierung der Ausrüstung und der laufenden Projekte. »Die Bergungsunternehmen finanzieren das alles aus ihrem Cashflow. Es kann mal monatelang nichts passieren und dann geht es zwei Wochen heiß her«, sagt er. Dennoch müssten die Firmen Leute und Ausrüstung vorhalten. »

»Es braucht Risikofinanzierer, die bereit sind, sich darauf einzulassen«

Dennis Brand, BMC

Beim chinesischen Modell mit Staatsunterstützung ist es egal, ob ein Schwimmkran oder Schlepper eingesetzt wird oder in Warteposition liegt. Er ist ja schon bezahlt«, so Brand. Es brauche Risikofinanzierer, die bereit seien, sich darauf einzulassen. Banken seien Aufgrund von Finanzierungsrichtlinien und der Aussicht auf unsichere Umsätze dazu heute nicht mehr bereit. So könne man beobachten, dass immer öfter chinesische Bergungsunternehmen zum Zug kämen, auch das sei ein Trend, der sich verstärken könnte.

Diese Gemengelage und immer sicherer werdende Schiffe könnten das Problem in Zukunft noch verschärfen – für Bergungsunternehmen, Versicherer und Schiffseigner. Eine Aufgabe für den Staat oder für einen speziellen Salvage-Fonds? Ein Patentrezept fehlt bislang.