Skjeldam, CEO, Hurtigruten
CEO Daniel Skjeldam (© Hurtigruten)
Print Friendly, PDF & Email

Die legendäre Reederei Hurtigruten feiert 130-jähriges Jubiläum. Im exklusiven HANSA-Interview spricht CEO Daniel Skjeldam über Post- und Passagierschiffe, neue Technologien und Konkurrenten sowie Hausaufgaben, Hürden und Fahrten in sensible Ökosysteme. Von Michael Meyer[ds_preview]

Was macht Ihrer Ansicht nach heute den den Kern der Marke »Hurtigruten« aus?
Daniel Skjeldam: Mit dieser langen Geschichte und Tradition ist Hurtigruten längst Teil der Kultur an der norwegischen Küste geworden. Seit fast 130 Jahren verbinden unsere Postschiffe die lokalen Gemeinden und bieten einen zuverlässigen Service, während die Expeditionsschiffe von Hurtigruten Expeditions in die Fußstapfen der bekannten norwegischen Entdecker treten: Sie bringen moderne Abenteurer in polare Gewässer und entlegene Regionen.


Alles begann mit Richard With …
Richard With heißt der Mann, der den Stein für das heute als »Hurtigruten« bekannte Unternehmen ins Rollen brachte. Man schrieb das Jahr 1893, als sein Dampfschiff »Vesteraalen« an der norwegischen Küste in Dienst gestellt wurde.
Seinerzeit war die 780 sm lange Strecke von Bergen nach Kirkenes eine vielbefahrene Route für den Transport von Gütern und Menschen, bedient von allen Schiffstypen von Dampfschiffen bis hin zu »Jakts« mit nur einem Segel. Eines der Probleme war aber seit jeher die unzureichende Anzahl an Fahrten und nicht zuletzt die mangelnde Zuverlässigkeit der Dienstleistungen. Weil zudem nur selten bei Nacht gefahren wurde, war die Reise ziemlich lang.

Den 1. hR DS Vesteraalen.jpg HGR 09719
Die »Vesteraalen« nahm 1893 ihrenDienst auf der Route auf (© Hurtigruten)

Den Behörden gefiel das nicht, sie starteten das, was man heute eine Ausschreibung nennen würde. Reedereien wurden aufgefordert, Angebote für den Betrieb einer Expressroute zwischen Trondheim und – je nach Jahreszeit – Tromsø beziehungsweise Hammerfest anzubieten. Ein nicht ganz unwichtiges Detail: Zu jenem Zeitpunkt gab es nördlich von Trondheim nur 28 Leuchttürme, was nächtliche Fahrten sehr riskant machte.
Damit sind wir zurück bei Richard With aus Stokmarknes in Nordnorwegen. Er zeigte sich interessiert und schuf mit der »Vesteraalen« eine regelmäßige Seeverbindung. Angeboten wurden wöchentliche Abfahrten, zunächst von Trondheim nach Hammerfest und später von Bergen nach Kirkenes, wobei für die letztere Strecke nur sieben Tage benötigt wurden. Diese Verbindung erhielt den Namen »Hurtigruten« – »die schnelle Route«.
Heute transportieren sieben Küstenschiffe von Hurtigruten nach wie vor Güter und Gäste – jeden Tag legt ein Schiff in Bergen ab – die norwegische Küste entlang zu 34 täglichen Anlaufhäfen.


 

130 Jahre sind eine ziemlich lange Zeit. Worauf, glauben Sie, wären die Gründer besonders stolz, wenn sie das Unternehmen heute betrachten?
Skjeldam: Unser Gründer Richard With wäre sicher besonders stolz darauf, was wir in puncto Nachhaltigkeit erreicht haben: Unsere Geschäftsentscheidungen sind immer darauf ausgerichtet, die Reederei so umweltfreundlich wie möglich zu führen. Außerdem nutzen wir verschiedene grüne Technologien, die das Reisen noch nachhaltiger machen.
Und unser Gründer wäre sicher begeistert zu sehen, dass unsere Reisen auch einen wissenschaftlichen Mehrwert bieten, sowohl für die Forschung als auch für unsere Gäste. Zum Beispiel sammeln die Postschiffe während der Fahrt Daten über die Gewässer, die wir befahren. So helfen wir Wissenschaftlern, die norwegische See besser zu verstehen. Auch auf den Expeditionsschiffen sind immer Experten an Bord. Die Teams werden für jedes Reiseziel individuell zusammengestellt, um den größten wissenschaftlichen Mehrwert zu bieten, den unsere Gäste in den schiffseigenen Science Centern hautnah miterleben können. In »Citizen-Science«-Projekten können sie sich außerdem aktiv beteiligen.

RA Landing pa isen Antarktis HGR 141642 Foto Andrea Klaussner 1
Expeditionen ins Eis werden unter anderem mit dem
Hybrid-Neubau »Roald Amundsen« angeboten (© Hurtigruten)

Was waren die wichtigsten Ereignisse in der langen Geschichte der Reederei?
Skjeldam: Es gibt mehrere große Meilensteine. Einer der wichtigsten Schritte war unser freiwilliges Verbot von Schweröl im gesamten Betrieb der Hurtigruten-Schiffe im Jahr 2010. Wir sind auch weltweit die erste Reederei, die auf allen Schiffen auf vermeidbares Einwegplastik verzichtet. Unsere größte Errungenschaft der letzten Jahre ist, dass wir mit den ersten Hybrid-Expeditionsschiffen der Welt führender Anbieter von nachhaltigen Seereisen geworden sind. Unsere »Fridtjof Nansen« wurde 2021 als grünstes Expeditionsschiff der Welt ausgezeichnet.

Diese Reise ist vermutlich noch nicht am Ende …
Skjeldam: Wir haben noch weitere große Ziele vor uns: Wir arbeiten mit dem norwegischen Forschungsinstitut SINTEF zusammen daran, bis 2030 das erste emissionsfreie Postschiff der Welt zu entwickeln. Außerdem soll das ganze Unternehmen vollständig frei von Kohlenstoffemissionen werden. Derzeit modernisieren wir die Flotte von Hurtigruten mit grünen Upgrades – unter anderem statten wir drei Postschiffe mit einem Hybrid-Antrieb aus. Ein weiterer großer Erfolg ist, dass wir unsere neuen Expeditionen zu den Galapagos-Inseln von Beginn an völlig klimaneutral betreiben.

Was waren bedeutende negative Erfahrungen?
Skjeldam: Herausfordernd war die Covid-19-Pandemie – für uns, die gesamte Branche und sicher für alle Menschen weltweit. Wir sind froh, dass sich die Welt langsam erholt und Reisende an Bord kommen, um mit uns die Welt zu erkunden.

Wie sehen Sie als Reederei in dieser Hinsicht den kommenden Monaten entgegen?
Skjeldam: Wir sind froh, dass die Infektionsraten zurückgehen und die Reisebeschränkungen auf der ganzen Welt gelockert werden. Die Menschen haben wieder Lust, die Welt zu bereisen und unsere Touren und Expeditionen sind gut gebucht. Die Zeit während der Pandemie haben wir genutzt, um unsere Nachhaltigkeitsinitiativen voranzutreiben und neue Ansätze für umweltfreundliche Seereisen zu entwickeln. Diese Bemühungen werden auch von unseren Gästen sehr geschätzt, die von Natur aus umweltbewusst sind – sie interessieren sich für die bereisten Regionen und dafür, wie sie für künftige Reisende erhalten werden können.
Wir haben aber nicht nur unsere Nachhaltigkeitsmaßnahmen erweitert, sondern konnten auch unser Netzwerk an Expeditions-Reisezielen ausbauen. Dazu gehört auch eine neue Partnerschaft in Ecuador. Reisende an Bord unserer Expeditionsschiffe können sich auf umweltschonende Reisen zu einzigartigen Destinationen auf der ganzen Welt freuen, mit kleinen Schiffen und einer großen Anzahl von Ausflügen. Sie zeichnen sich durch besondere Reisemomente aus und sind stark nachgefragt, sodass wir mit einem gewachsenen Angebot gestärkt aus der Pandemie zurückkehren.

HRX DS Andenaes Svalbard
Anhand vieler alter und etwas unscharfer Bilder lässt sich die Entwicklung der Reederei nachvollziehen (© Hurtigruten)

Sie haben die Flotte gerade mit innovativen Neubauten verjüngt. Welche weiteren Pläne haben Sie – Neubauten, Umbauten, Ankäufe oder Verkäufe?
Skjeldam: Um unsere Flotte zu verjüngen und die grünen Upgrades so nachhaltig wie möglich durchzuführen, setzen wir auf Umrüstung. Die Postschiffe haben eine lange Lebensdauer, und mit unseren Modernisierungen können sie noch umweltfreundlicher betrieben werden.

Was kann man sich konkret darunter vorstellen?
Skjeldam: Drei der sieben Postschiffe bauen wir zu Hybridschiffen um. Als erstes wird die »Richard With« mit neuen Motoren und großen Batteriepaketen ausgestattet. Sie soll bis August wieder an der norwegischen Küste in Betrieb genommen werden. Anschließend folgen die Postschiffe »Kong Harald« und »Nordlys«. Die Modernisierungen beinhalten auch neue SCR-Anlagen und werden bis 2023 abgeschlossen sein. Die norwegische Küste bietet großartige Möglichkeiten für die Nutzung nachhaltiger Infrastruktur und grüner Energie, wir haben dort den idealen Standort, um neue umweltfreundliche Lösungen zu entwickeln.

Das sieht im globalen Einsatz der Expeditionsschiffe anders aus, die ja gerade in entlegenere Gebiete fahren, wo die Versorgung mit alternativen Energien deutlich schwieriger ist …
Skjeldam: Hier sind die Rahmenbedingungen für die Treibstofflogistik vor Ort ganz anders. Wir sind sehr stolz auf unsere drei Expeditionsschiffe mit Hybridantrieb, und wir werden uns auch in Zukunft auf kleine Schiffe mit Hybridmotoren konzentrieren. Die Hurtigruten Group arbeitet daran, die besten technologischen Lösungen für die unterschiedlichen Herausforderungen zu entwickeln.

OTTO SVERDRUP HAMBURG 240821 IMG 6412 MARKO STAMPEHL 12375147 Photo Marko Stampehl
Auch in Hamburg ist Hurtigruten immer wieder zu Gast (© Hurtigruten)

Welche technologischen Schwerpunkte wollen Sie künftig setzen?
Skjeldam: Unser Ziel ist es, alle Schiffe emissionsfrei zu betreiben – eine passende technologische Lösung gibt es aber leider noch nicht. Es ist schwierig zu entscheiden, welche Antriebsart langfristig am umweltfreundlichsten ist. LNG gilt beispielsweise als grüner und nachhaltiger Treibstoff und wird von vielen anderen Unternehmen in der Schifffahrtsbranche genutzt, es verursacht aber hohe Methanemissionen. Wir konzentrieren uns derzeit auf Hybridmotoren und SCR-Anlagen, aber wir arbeiten weiter daran, unsere Emissionen so weit wie möglich zu reduzieren. Die Hurtigruten Group befindet sich auf einem guten Weg zu emissionsfreien Postschiffen. Deshalb kooperieren wir mit zukunftsorientierten, renommierten wissenschaftlichen Partnern, beispielsweise wie gesagt mit dem Forschungsinstitut SINTEF .

Sie haben mit Havila Kystruten neue Konkurrenz im traditionellen Geschäft. Welche – ideelle und wirtschaftliche – Bedeutung hat dieses Aktivität für Sie an der norwegischen Küste noch und ist ein Rückzug aus diesem Geschäft eine Option?
Skjeldam: Hurtigruten ist das Original an der norwegischen Küste. Es ist unser Zuhause. Seit fast 130 Jahren verbinden wir die Gemeinden an der norwegischen Küste, und die Norweger verlassen sich auf unseren Liniendienst. Hurtigruten und die Schiffe unserer Flotte sind längst Teil der norwegischen Kultur, außerdem unterstützen wir die Wirtschaft vor Ort. Wir sind nicht nur langjähriger zuverlässiger Betreiber der Postschiffe, sondern setzen uns auch für den Schutz unserer geliebten Küste ein. Wir wollen zeigen, dass die Postschiffroute die umweltfreundlichste Seereise der Welt werden kann, und mit diesen Werten und Zielen werden wir auch weiterhin die Postschiffroute befahren.

Expeditions-Seereisen und besondere Reiseerlebnisse sind derzeit sehr beliebt. Wohin wird sich die Branche Ihrer Meinung nach entwickeln?
Skjeldam: Der Trend geht zum umweltbewussten Reisen, wir sehen eine steigende Nachfrage nach individuellen, authentischen Reiseerlebnissen. Wir freuen uns, dass immer mehr Gäste dem Massentourismus entkommen wollen. Viele haben den Wunsch, ihre Umgebung genauer zu erkunden und mehr Hintergrundinformationen zu erfahren. Genau das bieten wir.

Welche Rolle will Hurtigruten bei dieser Entwicklung spielen?
Skjeldam: Auf unseren kleinen Expeditionsschiffen und mit kleinen Gruppen können wir unseren Gästen ein einzigartiges Reiseerlebnis bieten. Die kleineren Schiffe sind auch umweltfreundlicher, was vor allem in entlegenen Regionen wichtig ist. Wir hoffen, dass dieser Ansatz, individuelle und nachhaltige Reisen anzubieten, als gutes Beispiel für andere Reiseveranstalter dient.

Nicht jeder ist der Meinung, dass Schiffsreisen in sensible Gebiete wie die arktischen Gewässer geboten oder ökologisch sinnvoll sind. Sie werden es aber weiterhin tun?
Skjeldam: Abgelegene Gebiete wie die Arktis und Antarktis so schonend wie möglich zu erkunden, hat für uns oberste Priorität. Wir halten uns an strenge Vorschriften, um diese besonderen Regionen zu schützen. Hurtigruten Expeditions ist beispielsweise Gründungsmitglied der AECO, deren Ziel es ist, dass Seereisen in der Arktis nur mit höchsten Standards für Umwelt- und Naturschutz durchgeführt werden. Diese strengen Vorschriften sind uns wichtig, um Umwelt und Tiere nicht zu stören und sie für künftige Generationen zu schützen und zu erhalten. Außerdem nutzen wir unsere Reisen in die Polarregionen auch für wissenschaftliche Zwecke: Mit den Science Centern bieten wir Wissenschaftlern die Möglichkeit, ihre Forschungsprojekte direkt an Bord durchzuführen. Es ist besonders wichtig für die fragilen und vom Klimawandel bedrohten Ökosysteme, dass wir in diesen schwierigen Zeiten unser Wissen über die Natur vertiefen. Die Expeditionen in die Polarregionen folgen den Spuren der großen Entdecker und sind Teil der DNA von Hurtigruten, genauso wie der Schutz unserer Umwelt.

Wo hat Hurtigruten Ihrer Meinung nach noch Hausaufgaben zu erledigen und wie wollen Sie diese angehen?
Skjeldam: Die gesamte Branche muss umweltfreundlicher werden. Wir sehen uns als Vorreiter und Pionier in Sachen nachhaltige Seereisen und hoffen, auch anderen Unternehmen ein Beispiel zu sein. Es gibt viele kleine Maßnahmen, die nicht allzu schwierig umzusetzen sind, aber von den Gästen sehr geschätzt werden, zum Beispiel die weitgehende Vermeidung von Einwegplastik. Diese Dinge haben einen Domino-Effekt, weil sie auch das Bewusstsein der Gäste stärken. Unsere Gäste leisten mit großer Begeisterung einen aktiven Beitrag, zum Beispiel mit Strandsäuberungen. Und wir sind stolz darauf, weiter auf das erste emissionsfreie Postschiff hinzuarbeiten. Das ist eine Herausforderung, aber gemeinsam mit SINTEF sind wir zuversichtlich, dieses Ziel zu erreichen.
Es liegt in unserer Verantwortung, die Schiffe so nachhaltig und umweltfreundlich wie möglich zu bauen. Deshalb investieren wir weiter in Technologien: Wir wollen neue Lösungen zur Verringerung der Kohlenstoffemissionen finden. Unser Ziel ist es, bis 2050 emissionsfrei zu sein.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Welche Schlagzeile würden Sie gerne zum 150. Jahrestag lesen?
Skjeldam: Unser 150-jähriges Jubiläum ist im Jahr 2043. Wir planen, bis 2030 das erste emissionsfreie Postschiff in Betrieb zu nehmen, deshalb würde ich mir wünschen, dass bis dahin die gesamte Flotte der Postschiffroute folgt. Es wäre großartig, wenn wir die Route zum weltweit ersten emissionsfrei betriebenen Liniendienst zur See machen könnten. Insofern: Der emissionsfreie Betrieb wäre ein wahr gewordener Traum. Es ist ehrgeizig, aber ein Ziel, für das sich der Aufwand lohnt.


Abstract: Coastal culture and Hurtigruten DNA
The legendary Norwegian shipping company Hurtigruten celebrates its 130th anniversary. In an exclusive Interview with HANSA, CEO Daniel Skjeldam talks about mail and passenger ships, new technologies and competitors, as well as homework, hurdles and voyages into sensitive ecosystems.