Robert Ashdown, Generalsekretär, International Association of Classidication Societies (IACS) © IACS
Robert Ashdown, Generalsekretär, International Association of Classidication Societies (IACS) © IACS
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Dekarbonisierung und Digitalisierung, praxisbezogene Regulierung und der Ausschluss der russischen Klasse: Robert Ashdown, Generalsekretär beim globalen Klassifikationsverband IACS, spricht im HANSA-Interview über aktuelle Herausforderungen und Handlungsbedarfe

Nach der russischen Invasion in die Ukraine hat IACS die Mitgliedscha[ds_preview]ft der russischen Klasse RMRS suspendiert. Wird sie dauerhaft ausgeschlossen bleiben oder gibt es eine Chance, sie wieder an den Tisch zu bekommen?

Robert Ashdown: Wir mussten die Mitgliedschaft des russischen Registers aufheben, um nicht gegen die Sanktionen gegen Russland zu verstoßen. Sobald die Sanktionen aufgehoben sind, kann RMRS wie jede andere Klasse diesem Verband beitreten, wenn sie die IACS-Qualitätskriterien erfüllt.

Gab es in der Vergangenheit Zweifel an der fachlichen Kompetenz?

Ashdown: RMRS war und ist eine hochkompetente Klassifikation. Und wir haben keinen Zweifel daran, dass sie das auch weiterhin sein wird. Ich bin mir sicher, dass sie kein Problem haben wird, die Qualitätskriterien zu erfüllen, sobald das wieder ein realistisches Thema werden würde.

 

Neues Panel für »Safe Decarbonisation«

Auf seiner 85. Sitzung in London hat der IACS-Rat unter dem Vorsitz von Nick Brown, CEO von Lloyd’s Register ein neues Panel »Safe Decarbonisation« eingesetzt. Damit erkenne man die Herausforderung an, dass die ehrgeizigen Ziele für die Dekarbonisierung sicher und mit der notwendigen technischen Untermauerung erreicht werden, um frühzeitige Investitionen der wichtigsten Interessengruppen zu erleichtern.

Die IACS-Panels stellen die oberste Ebene der themenspezifischen Gremien des Verbandes dar, die Einrichtung wird entsprechend als »das deutlichste Signal für die Entschlossenheit« bezeichnet, die Industrie bei dieser vielschichtigen, mehrere Jahrzehnte umfassenden Herausforderung zu unterstützen. Indem der Dekarbonisierung der gleiche Stellenwert eingeräumt wird wie den traditionellen Bereichen Sicherheit, Umwelt, Schiffskörper, Maschinen, Vermessung und Cyberspace, soll die Fähigkeit des Verbandes, sich mit Fragen der sicheren Dekarbonisierung zu befassen und den Schutz von Menschenleben, Eigentum und der Meeresumwelt zu unterstützen, erheblich verbessert werden.

Ab sofort sollen sich vier Projektteams mit Kraftstoffen und Technologien für die Dekarbonisierung befassen. Obwohl die IACS technologieunabhängig bleibt, haben ausführliche Diskussionen mit der Industrie ergeben, dass sich die ersten Anstrengungen auf Ammoniak, Wasserstoff, Kohlenstoffabscheidung und -speicherung sowie Batterien konzentrieren sollten. Darüber hinaus wird der SDP auch die derzeitigen Arbeitsströme der IMO zu Methyl-/Ethylalkoholen bewerten, um gegebenenfalls weitere Arbeiten durchzuführen. Andere alternative Kraftstoffe und Technologien werden im Rahmen des SDP zu einem späteren Zeitpunkt geprüft. Alle Interessensgruppen sollen einbezogen werden. Das soll dazu beitragen, Prioritäten zu setzen, die Effizienz zu maximieren und Doppelarbeit zu vermeiden.

Ist es eine Option, die ukrainische Klassifikation in den IACS-Kreis aufzunehmen, und sei es nur als symbolischer Akt?

Ashdown: Symbolik ist nicht das, wofür IACS eigentlich steht. Wir sind ein unpolitischer Verband und es geht uns um Qualitätsstandards. Bei der Aufnahme geht es darum, ein qualitativ hochwertiges Register zu haben. IACS steht jedem offen, der die Qualitätsstandards erfüllt, also auch einer ukrainischen Klassifikation. Erfüllen sie die Kriterien, können sie beitreten. Wenn sie diese Standards aktuell leider nicht erfüllen können, müssen sie sich erneut bewerben, wenn sie es können.

Bemerken Sie kriegsbedingte Verschiebungen in der Schiffsklassifizierung?

Ashdown: Es gab viele Umflaggungen und -klassifizierungen von Schiffen. Einige IACS-Mitglieder haben ihre eigenen Gründe – und das sind operative Gründe, die von einzelnen Mitgliedern angeführt werden – um russischen Schiffen die Klasse zu entziehen. Aber IACS mischt sich nicht in die kommerziellen oder betrieblichen Aspekte seiner Mitglieder ein, dafür sind wir nicht da. Es ist zu betonen, dass es bei der Entscheidung gegenüber dem russischen Register um die IACS als Verband und seine rechtliche Beziehung zum russischen Register als Gesellschaft ging. Diese rechtlichen Belange unterscheiden sich sehr von denen, die für eine einzelne Klassengesellschaft mit einem einzelnen Schiff gelten. Es ist ein völlig anderes Regime.

Hat sich die Arbeit von IACS infolge des Krieges – mit Ausnahme der RMRS-Suspendierung – verändert?

Ashdown: Nein, überhaupt nicht.

Unabhängig vom Krieg in der Ukraine, was sind die aktuell wichtigsten Themen in der Arbeit des IACS?

Ashdown: Die Dekarbonisierung nimmt natürlich einen großen Teil unserer Zeit in Anspruch. Sie umfasst so viele verschiedene Aspekte der Technik, des menschlichen Elements und so weiter, dass sie wirklich einen maßgeschneiderten Ansatz erfordert. Mit dem Aufbau des Verbands versuchen wir sicherzustellen, dass wir uns mit diesem Thema angemessen beschäftigen. Die Digitalisierung ist ein weiterer Bereich, an dem wir sehr intensiv arbeiten. Eine genaue Definition ist wichtig, denn der Begriff kann vieles umfassen, sei es die Digitalisierung von Prozessen oder die Digitalisierung von Anlagen. Auch das menschliche Element ist sehr wichtig, denn wir sehen neue Technologien auf uns zukommen. Ich denke, wir müssen über die traditionellen Regeln hinausgehen, um die Betriebssicherheit an Bord zu gewährleisten. Wir müssen uns auch Gedanken darüber machen, wie hochgradig digitalisierte Systeme in der Praxis so sicher betrieben werden können, wie es bei ihrer Entwicklung vorgesehen war.

Es geht also auch um mehr Ausbildung und Training für Seeleute?

Ashdown: Ganz genau. Wir müssen sicherstellen, dass die Seeleute nicht nur für den Umgang mit normalen Betriebsbedingungen geschult werden, sondern auch für den Umgang mit »vorhersehbaren abnormalen« Bedingungen. Das menschliche Element wird also einige Herausforderungen für die Arbeit der Klassen mit sich bringen. Auch autonome Schiffe stehen natürlich ganz oben auf unserer Tagesordnung. Der Grad der Autonomie eines Schiffes nimmt zu, das ist eine Reise und kein einzelner großer Sprung.

Haben Dekarbonisierung oder Digitalisierung aktuelle eine höhere Relevanz für Sie?

Ashdown: Das geht Hand in Hand. Ich glaube nicht, dass es möglich ist, vollständig zu dekarbonisieren, ohne zu digitalisieren. Die Digitalisierung ist ein Prozess und ein Werkzeug, das dazu beiträgt, eine ganze Reihe von Vorgängen an Bord zu ermöglichen, von denen einige mit der Dekarbonisierung zusammenhängen und andere nicht. Aber der Schwerpunkt von IACS liegt auf dem, was wir »sichere Dekarbonisierung« (Anm.: »safe decarbonisation« im Original) nennen. Denn um die Dekarbonisierung zu erreichen, werden wir viele neue Technologien und Kraftstoffe, und all das wird mit einem Sicherheitsrisiko verbunden sein. Dieses Risiko ist überschaubar, aber es muss erkannt, erfasst und angegangen werden. Hier kommt IACS ins Spiel, indem wir dafür sorgen, dass diese neuen Technologien und Kraftstoffe allgemeinen technischen Anforderungen unterliegen, die den Reedern und Shipmanagern das Vertrauen geben, in diese Technologien zu investieren, während die Behörden sich um die Einhaltung der regulatorischen Anforderungen kümmern.

Befassen sich die Regulierungsbehörden und die Branche aus Ihrer Sicht ausreichend mit der sicheren Dekarbonisierung?

Ashdown: Die Aussage, dass die Dekarbonisierung sicher erfolgen muss, darf nicht als Vorschlag zur Verlangsamung der Dekarbonisierung interpretiert werden. Es geht vielmehr darum, den Politikern und Behörden klar zu machen, dass wir, wenn wir uns ehrgeizige Ziele setzen, härter arbeiten müssen, um sicherzustellen, dass die regulatorischen Rahmenbedingungen zur Erreichung dieser Ziele auch mit der gleichen Geschwindigkeit funktionieren. Es gibt eine gewisse Sorge darüber, dass es eine wachsende Kluft zwischen den ehrgeizigen Zielen und der Arbeit gibt, die getan werden muss, um diese Ziele in der Praxis zu erreichen.

IACS hat der IMO-Versammlung und dem Sicherheitsausschuss MSC ein Papier vorgelegt, um auf diese Diskrepanz hinzuweisen und Vorschläge zu unterbreiten. Ein Beispiel ist, wie die IMO unserer Meinung nach dazu beitragen kann, einen Teil des Fachwissens besser zu nutzen, um die detaillierten technischen Anforderungen zu erfüllen, die zur Verstärkung des bereits festgelegten Anspruchsniveaus erforderlich sind. Wir sind der Meinung, dass zu wenig über Sicherheit gesprochen wird, und deshalb rücken wir das Thema in den Mittelpunkt unserer Arbeit.

Wie beurteilen Sie die jüngsten Entwicklungen auf IMO-Ebene?

Ashdown: Im Umweltausschuss MEPC geht es immer noch hauptsächlich um politische Fragen. IACS als technischer Verband mischt sich nicht in die Festlegung von Zielvorgaben oder kommerziellen Aspekten ein. Wir sind lediglich dazu da, Informationen zu liefern, um diese Arbeit zu untermauern, was auch immer das sein mag. Aber ich denke, das ist eines der Probleme. Die Regulierungsbehörden müssen bei der Festlegung von Zielvorgaben anerkennen, was sie für die Praxis bedeuten.

Es besteht also eine Lücke zwischen Regulierung und industrieller Entwicklung?

Ashdown: Ja, schauen Sie sich zum Beispiel Ammoniak an. Eine Menge Leute arbeiten an Ammoniak als Schiffskraftstoff, es gibt viele verschiedene Forschungsprojekte. Aber wir haben noch keine allgemeinen Standards. Es muss noch einiges geschehen, damit die Industrie nicht mit verschiedenen Projekten in verschiedene Richtungen geht und wir sie dann hinterher wieder zusammenführen müssen.

Dabei geht es auch um eine gewisse Art von Planungssicherheit, damit man besser entscheiden kann, in welche Technologien investiert wird…

Ashdown: Genau. IACS ist technologieoffen, es geht uns nicht darum, Gewinner auszuwählen. Wir sind uns bewusst, dass jede der Alternativen – bis es technischen Regeln gibt, die hoffentlich zu gesetzlichen Anforderungen werden – eine riskante Investition für Reeder und Ship­manager darstellt.

Der Verband ist technologieoffen, sagen Sie. Aber gibt es bestimmte Trends zu beobachten, wenn die IACS-Mitglieder zusammenkommen?

Ashdown: Wir sind uns bewusst, dass es eine Vielzahl von Möglichkeiten für künftige Kraftstoffe gibt. Wir sind sehr darauf bedacht, ein Konsultationsprogramm mit der Industrie und anderen Interessengruppen zu erstellen. Denn es wird unweigerlich notwendig sein, Prioritäten zu setzen. Es ist unmöglich, alles auf einmal zu bearbeiten. Wir werden uns also in eine neue Welt begeben, der Industrie sehr genau zuhören und versuchen, Prioritäten für unsere zu setzen. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns die Gewinner aussuchen. Wir versuchen lediglich, auf die Bedürfnisse der Mehrheit der Branche einzugehen.

Die IACS hat vor nicht allzu langer Zeit eine neue Arbeitsweise und Struktur eingeführt. Wie läuft es seitdem?

Ashdown: Wir sind sehr zufrieden. Die neuen Governance-Regelungen sind vor etwa einem Jahr in Kraft getreten. Sie haben sich als sehr effektiv erwiesen, um die Entscheidungsfindung zu beschleunigen, den Verband flexibler aufzustellen und besser auf die Interessengruppen einzugehen. Der Vorsitzende (Anm. d. Red.: Aktuell ist das Nick Brown von Lloyds Register) ist jetzt bis Ende 2023 gewählt und hat damit einen etwas erweiterten Zeitrahmen zur Verfügung. So kann er strategischer Arbeiten. Er ist sehr engagiert, wir arbeiten sehr eng zusammen. Der neue Abstimmungsmechanismus trägt dazu bei, einige der Entscheidungen zu beschleunigen. Für ein technisches Normungsgremium ist es wichtig, eine klare Entscheidungsstruktur zu haben. Wir haben unser technisches Team nach London geholt. Damit wollen wir uns viel stärker einbringen, sei es bei der IMO oder in der Industrie. Aber natürlich gab es wegen der Corona-Pandemie eine kleine Verzögerung beim Umzug nach London. Die Reform ist also im Gange, muss aber noch ihr volles Potenzial entfalten.

Sind weitere Anpassungen notwendig und/oder geplant?

Ashdown: Es ist ja erst das erste Jahr in der neuen Struktur. Aber ich denke, dass die jetzige Aufstellung auf absehbare Zeit so bleiben wird.

Was kann der Markt ansonsten kurz- und mittelfristig von IACS erwarten?

Ashdown: Wir richten zusätzlich zu unseren fünf bestehenden Ausschüssen ein neues Panel für »Safe Decarbonisation« ein. Solche Schritte gehen wir nur für Themen, von denen wir glauben, dass sie auf absehbare Zeit Bestand haben werden. Zuletzt betraf das vor einigen Jahren das Thema Cybersicherheit. Die Teilnahme an diesen Sitzungen ist obligatorisch. Das ist ein deutliches Signal, um die Industrie bei dieser Herausforderung der »Safe Decarbonisation« zu unterstützen.

Eine weitere Initiative, die wir im Bereich der Digitalisierung gestartet haben (siehe Extra-Kasten), betrifft die gemeinsame Arbeitsgruppe mit der Industrie zur Zukunftssicherung von SOLAS (Anm. d. Red.: »International Convention for the Safety of Life at Sea«). Es geht darum, ob und wie neue Technologien mit den Vorgaben der IMO-Konvention kompatibel sein können und an welcher Stelle es vielleicht Schwierigkeiten in den aktuellen Vorschriften gibt. Bei Bedarf müssen wir Aufklärungsarbeit leisten. Viele neue Technologien können einen großen Wert haben, der bisweilen aber für Regulierungsbehörden und Teile der Branche nicht sofort erkennbar ist. Deshalb haben wir diese Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, um zunächst einmal ein Verständnis dafür zu bekommen, was die Entwicklung bedeuten kann und um Lösungen zu entwickeln.

Interview: Michael Meyer

Abstract: IACS misses attention to »safe decarbonisation«

Decarbonisation and digitalisation, practical regulation and the exclusion of the Russian class: In an interview with HANSA, Robert Ashdown, Secretary General at the global classification association IACS, talks about current challenges and the needs for action. At its 85th meeting in London, the IACS Council, chaired by Nick Brown, CEO of Lloyds Register, also established a new Safe Decarbonisation Panel. This recognises the challenge of ensuring that ambitious decarbonisation targets are achieved safely and with the necessary technical underpinning to facilitate early investment by key stakeholders.