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Zum 1. Dezember startet bundesweit die neue Lotsenausbildung, deren Konzeption von allen Seiten der maritimen Wirtschaft große Vorschusslorbeeren erhalten hat. Nur bei den Lotsen selbst scheiden sich bis heute die Geister.[ds_preview]

In den letzten Monaten sind die Bewerberzahlen für ausgeschriebene Stellen im Lotswesen noch einmal so drastisch zurückgegangen, dass selbst die größten Kritiker jeglicher Änderung der bisheri-gen Zugangsvoraussetzungen erkennen müssen: Ohne drastische Maßnahmen wird auf Dauer die Qualität und Quantität dieses wichtigen Elementes im deutschen Verkehrssicherungskonzept nicht zu halten sein.

Die jetzt eingeleiteten Maßnahmen seien hier nur noch einmal extrem kurz dargelegt. Zugang und Ausbildung zum Lotswesen basieren nunmehr auf einem dreistufigen Modell. Erfüllt ein Bewerber die bisherigen Zugangsvoraussetzungen, so steigt er in der Stufe LA3 in die Ausbildung ein. Die bisher achtmonatige Ausbildung wird auf zwölf Monate erweitert. Bewerber, die keine 24 Monate Erfah-rungsfahrtzeit in »verantwortungsvoller Funktion« nachweisen können, steigen in der Stufe LA2 ein, bei der die Ausbildungszeit auf 18 Monate verlängert wird.

Vollkommen neu ist der Ansatz der Stufe LA1, bei der sich bereits Bewerber mit einem abgeschlossenen Nautik Studium mit Bachelor-Abschluss für einen weiterführenden zweijährigen Master-Studiengang »Lotswesen« entscheiden können, in den die weiteren Stufen LA2 und LA3 inkludiert werden. Es handelt sich damit also um Neuzugänge, die außer der erforderlichen Praxissemester über keinerlei unmittelbare Berufserfah-rung verfügen!

Falsche Finanzierung

Es dürfte klar sein, dass dieses Konzept insbesondere in der Endstufe langwierig, aufwändig und damit teuer ist. Und hier beginnt der erste drastische Fehler, denn bereits bevor die Lotsen an der Basis das Konzept überhaupt abstimmen konnten, reiste deren Aufsichtsbehörde GDWS durch die Lande und verkündete der maritimen Wirtschaft ein »sich selbst finanzierendes System« ohne jegliche Zusatzbelastung der Anlaufkosten. Das »Ei des Columbus« war gefunden, indem die Lotsen durch einen Einbehalt der Ihnen nach der Verteilungsordnung zuste­henden Lotsgeldanteile nach Abschluss der neuen Ausbildung diese quasi rückfinanzieren müssen. Wie konnte die Bundeslotsenkammer (BLK) ohne Druck solche Zugeständnisse machen?

Lotsen Immens
Die geforderte ständige Einsatzbereitschaft ist die größte Herausforderung im Berufsleben eines Lotsen (© Immens)

Die Nachwuchssicherung für das Lotswesen ist allein eine staatliche Aufgabe und nicht die der Lotsen selbst. War es nicht immer eine vordringliche Begründung der erheblichen finanziellen Zugeständnisse an die deutschen Reeder im »Maritimen Bündnis für Beschäftigung und Ausbildung in der Seeschifffahrt«, dass der gesamte Sekundär-bereich auf die in der Seeschifffahrt ausgebildeten Nachwuchskräfte angewiesen ist?

Ein Non-Profit-Konstrukt

Beim Lotswesen in Deutschland handelt es sich um ein zwingend konsequentes »Non-Profit-Konstrukt«. Jegliche Mehrverdienste, zum Beispiel durch gestiegene Schiffsgrößen in einem Revier, werden bei der nächsten Tariftabellenanpassung an die maritime Wirtschaft zurückgegeben. Es steht außer Frage, dass ein Lotse in den ersten mindestens vier Jahren nach Abschluss der Ausbildung aufgrund der Schiffsgrößenbeschränkung nur kleinere und damit vermeintlich weniger Schiffe lotsen darf als der sogenannte »Voll-Lotse«. Aber die Arbeit bleibt deshalb ja nicht liegen, sondern muss von den älteren Lotsen dementsprechend zusätzlich geleistet werden.

Wie kann dieses Geld jetzt den Gesamt-Betriebseinnahmen einer Brüderschaft entzogen und damit alle Lotsen belastet werden? Die Lotsen sind doch nicht die Verursacher der Nachwuchsmisere! Nein, die Kosten dieser neuen Ausbildung hätten ohne »Wenn und Aber« auf die Anlaufgebühren umgelegt werden müssen.

Bereits heute stellt die Aspirantenzeit für einen erfahrenen Kapitän eine finanzielle Herausforderung dar. Die Alimentation entspricht maximal 20 % seiner Einkünfte gemäß Kapitäns-HTV. Und nun soll dieser Topkandidat abgeworben werden, indem ihm die karge Ausbildungszeit verlängert und dann noch die Anfangseinnahmen heruntergeschraubt wird? Bei den heutigen außertariflichen Bedingungen, die ein Reeder seinen Kapitänen gewährt, dürfte ein Wechsel zu den Lotsen deutlich erschwert werden.

Unbestritten besteht auch bei den heute schon alle Voraussetzungen erfüllenden Bewerbern eine große Differenz in den für den Lotsenberuf wichtigsten Kompetenzbereichen. Die immer noch besten Kandidaten hätten die Lotsen anhand der üblichen biographischen Eignungsdiagnostik leicht identifizieren können – und dafür hatte der Gesetzgeber sogar eine Ausnahmeregelung verankert. Demnach hätte die Ausbildung auf Antrag der Brüderschaft auf die bisher üblichen acht Monate verkürzt werden können. Nun wurden aber die neuen Ausbildungsmodule so zentralisiert und durchgeplant, dass diese Regelung gar nicht greifen kann. Ob es rechtens ist, wenn eine de jure vorgesehene Möglichkeit de facto ausgehebelt wird, lassen wir einmal dahingestellt.

Suche nach Work-Life-Balance

Womit sollen also die zukünftigen Bewerber nach LA1 gelockt werden? Die extreme Attraktivität für einen Kapitän beim Wechsel in den Lotsenberuf war immer die einzigartige Möglichkeit, nicht mehr monatelang von der Familie getrennt zu sein und trotzdem seinem ursprünglichen Tätigkeitsbereich nahezu­bleiben. Zwangsläufig wurde auch ein Wechsel des Wohnortes billigend in Kauf genommen. Daher gab es schon immer deutliche Probleme einzelner Brüderschaften in einem weniger attraktiven Lebensumfeld.

Seychelles Progress
Lotsen im Nord-Ostsee-Kanal (© Immens)

Die nach LA1 zu rekrutierenden Bewerber werden eine solche Zeit gar nicht erlebt haben. Sie werden den Beruf als Lotse nicht als die familiär bessere Alternative zum Kapitänsberuf sehen. Sie fällen die Entscheidung vielmehr beim Beginn des Studiums und werden sich deshalb für einen Beruf entscheiden, der Ihnen die Erfüllung ihrer persönlichen Zukunftsvorstellungen und noch dazu möglichst am »Wunschort« bietet.

Haben sich die Entscheidungsträger eigentlich mit den Bedürfnissen der umworbenen »Generation Z« (nach 1995 geboren) beschäftigt? Das Lotswesen mit Master-Abschluss konkurriert dann nicht mehr mit dem recht einzigartigen Beruf des Seemannes und dessen positiven wie negativen Begleitumständen, sondern mit den Angeboten aus der Industrie und den dort gebotenen Rahmenbedingungen. Können wir Lotsen bei unserem »Job-Angebot« mit Firmen wie »Bosch« und »Daimler« konkurrieren? Allein darum wird es letztendlich gehen, und nur davon hängt das Gelingen des gesamten dargestellten Nachwuchskonzeptes ab.

Attraktivitätsfaktor Einkommen?

Es ist unbestritten, dass es den Lotsen in den vergangenen Jahren gelungen ist, den monetären Teil der rein theoretischen »Soll-Betriebseinnahme« an die allgemeine Entwicklung anzupassen und somit eine dem Kapitän vergleichbare Position zu halten. Es gibt jedoch einen drastischen Unterschied im Vergleich zu ähnlichen Stellungen in der maritimen Wirtschaft: Es handelt sich eben um eine »Soll-Betriebseinnahme« und keinesfalls um ein irgendwie gesichertes Einkommen. Diese Frage ist bei der jüngeren Generation der Lotsen zuletzt in einigen Regionen massiv in den Vordergrund ge-rückt. Wenn zum Beispiel fortgesetzt die über Jahre von der WSV vernachlässigte Infrastruktur am Nord-Ostsee-Kanal kollabiert, hat dies von einem auf den anderen Tag drastische Auswirkungen auf die Einkünfte der komplett freiberuflich tätigen Lotsen und damit auch auf die Zugkraft solcher Reviere auf potenzielle Bewerber.

Zu wenig Personal

Und damit beginnt die eigentliche Crux: Um sich selbst einen Puffer für plötzliche Einbrüche zu verschaffen, arbeiten nahezu alle Lotsenbrüderschaften mit einem absichtlichen Personal-Unter­bestand. Gleichzeitig führt dies bei einem starken Anstieg des Verkehrs zu drastischen Spitzenbelastungen, wobei die Lotsen selbst dann der »ständigen Verfügbarkeit« ohne Rücksicht auf irgendwelche Mindest-Ruhezeitregelungen verpflichtet bleiben.

Nach Analysen von Experten (www.haufe.de) geben unter der Rubrik »Work-Life-Balance« 83 % der Befragten der »Generation Z« an, dass ihnen Autonomie bei der Zeiteinteilung und ein individueller Arbeitsrhythmus am wichtigsten sind. Willkommen in der Arbeitswelt an Bord!

Ein Lotse befindet sich während seiner Einsatzzeit 24/7 in Dauerbereitschaft, wobei die Frequenz der Inanspruchnahme dem in der Schifffahrt üblichen »chaotischen Zulaufprinzip« folgt. Private Termine länger als zwei Tage im Voraus fest zu vereinbaren, ist nahezu illusorisch.

In Kiel zum Beispiel gönnen wir dem Lotsen neben dieser Einsatzzeit 68 Tage im Jahr als sogenannten »Langurlaub«, frei zu planen. Anders ausgedrückt: Wir haben deutlich weniger individuellen Bedürfnissen anpassbare Freizeit, als ein normaler Arbeitnehmer alleine durch die Wochenenden generiert. Solche heut-zutage selbstverständlichen Dinge wie Teilzeitregelungen, Elternteilzeit oder auch »Sabbaticals« kennen wir nicht.

Warum arbeiten wir in einem so antiquierten System und gönnen uns keinerlei zusätzliche Freiheiten? Die Antwort ist einfach, denn zusätzliche Freizeit verdichtet die Arbeitsbelastung der verbleibenden Lotsen, führt also zu einer Verkürzung der nicht planbaren Ruhezeiten zwischen den Einsätzen. Unsere Arbeit lässt sich nicht »verschieben«, wenn die Prämisse der »ständigen Verfügbarkeit« (keine Wartezeiten für Schiffe) weiter Bestand haben soll. Ein Blick in die benachbarten europäischen Ländern zeigt dort kein einziges Lotssystem, welches nicht ein 1:1-System in Analogie zu den Verhältnissen in der Seefahrt umgesetzt hat.

Tarifpolitischer Stillstand

Wie konnte es dazu kommen, dass sich die Lotsen im monetären Bereich durchaus dem Ursprungsberuf angepasst entwickeln konnten, bei den Entwicklungen der Rahmenbedingungen, zum Beispiel des Mantel-Tarifvertrages, jedoch weit zurückgefallen sind?

Der Ursprung liegt in einer extrem »ängstlichen« Tarifpolitik der BLK einerseits und der massiven Abwehr nahezu aller Zugeständnisse im zuständigen Ministerium.

Der Tarifgestaltung für die Lotsen liegen zwei Komponenten zugrunde: Zum einen die prozentuale Festlegung der Steigerung der »Soll-Betriebseinnahme«, zum anderen die dafür zu leistende Arbeitszeit. Seit 2001 folgt der erste Teil einer gewissen Systematik, indem Werte aus einem vereinbarten Index direkt zum Steigerungssatz führen. Damit sind bundesweite Tarifverhandlungen nahezu überflüssig geworden. Durch diese komplette Regionalisierung bestand die Arbeit der Tarif-Fachleute auf Seiten der Lotsen ausschließlich in dem Bemühen, die Steigerungswerte konsequent in die Tariftabellen zu überführen – leider auch dies oft nur mit bescheidenem Erfolg.

Zu »echten« Tarifverhandlungen im Verkehrsministerium über die grundlegenden Regelungen der Arbeitszeit aller Lotsen in allen Revieren ist es seit 2001 nicht mehr gekommen. Es liegt jedoch bereits seit damals bei den Lotsen eine plausibel begründete Argumentationskette zur Anpassung der Arbeitszeit der Lotsen vor, über die jetzt sofort mit dem Ministerium ein intensiver Dialog ge-führt werden muss.

Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, diese berechtigten Forderungen im Einzelnen zu erläutern. Deshalb hier beispielhaft nur in Stichworten:

Mehr denn je benötigen die Lotsen eine personelle Spitzenlastreserve, die 2001 vom Tarifgeber grund- und ersatzlos gestrichen wurde. Ohne diese ist keine »ständige Verfügbarkeit« möglich.

Die dem Lotsentarif zugrunde liegende wöchentliche Arbeitszeit von 49 Stunden ist angesichts der aktuellen Rechtsprechung (EuGH: »Bereitschaftszeit ist Arbeitszeit«) nicht mehr haltbar.

Der regional erheblich gestiegene Verwaltungsaufwand gerade für die neue Ausbildung muss angepasst werden.

Die deutlich verlängerten Lotszeiten angesichts der gestiegenen Schiffsgrößen müssten regional angepasst werden.

Würden alle stichhaltig zu begründenden Maßnahmen konsequent umgesetzt, könnte die Anzahl der Soll-Lotsen um etwa 25 % gesteigert werden – damit stünde einem wirklich attraktiven und zukunftsweisenden Einsatzsystem nichts mehr im Wege. Die Risiken bis hin zum »Null-Verdienst« verbleiben ohnehin weiter bei den Lotsen. Es darf auch nicht vergessen werden, dass aufgrund der erheblich längeren Zulaufzeit für den Nachwuchs Verkehrsschwankungen (positive wie negative) über einen viel längeren Zeitraum alleine zu Lasten der Lotsen gehen und somit ein deutlicher Puffer im Personalbestand wichtiger denn je wird.

Zeitgleich sollten die Lotsen anbieten, gemeinsam mit dem Verkehrsministe­rium zu untersuchen, wie ihre Tätigkeit auf die Schiffe konzentriert werden kann, die diese Leistung aus sicherheitspolitischen Erwägungen wirklich benötigen. Eine dann mögliche Diskussion über die Reviersprache können die Lotsen sehr gelassen angehen.

Fazit

Mit dem neuen Ausbildungsweg wurde ein Schritt in die richtige Richtung getan Ohne eine deutliche Anpassung der Einsatzsysteme der Lotsen wird dies aber nicht zu einer nachhaltigen Sicherung des in Deutschland hart umworbenen Nachwuchses mit Top-Qualifikation für das Lotswesen führen. Das Ministerium sollte nun den zweiten Schritt gemeinsam mit den Lotsen gehen. Eine mögliche Lösung darf dabei aber keinesfalls über einen jahrelangen kräftezehrenden Konflikt entschieden werden, sondern muss schnell und im Konsens im Interesse aller Beteiligten – also vor allem auch unter Einbeziehung der vom Lotswesen abhängigen maritimen Wirtschaft – vorangetrieben werden.

Es wäre eine gute Gelegenheit, die bevorstehende »1. Lotsenkonferenz« am 14. und 15. September in Hamburg nicht nur als »Leistungsschau« zu nutzen, sondern dort die ganz konkrete und gern auch kritische Diskussion im Sinne der hier aufgezeigten Probleme aufzugreifen und eine Lösung herbeizuführen.

Autor:
Gerald Immens
Lotse in Kiel
g.immens@kielpilots.de