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Es werden Rekordablieferungen neuer Containerschiffe in den Jahren 2023 und 2024 erwartet. Droht nun eine Rückkehr zu einer strukturellen Überkapazität?[ds_preview]

Dieser Frage geht der Branchendienst Alphaliner in seinem jüngsten Marktbericht nach. Die Antwort ist nicht so leicht zu finden.

Der weltweite Auftragsbestand für Containerschiffe ist seit der Jahresmitte weiter gestiegen, obwohl sich die Marktstimmung eingetrübt hat. »Zwar sind die Containerlinien nach wie vor hochprofitabel, doch befinden sich die Fracht- und Charterraten derzeit auf einem klaren Abwärtstrend, was darauf hindeutet, dass der Markt seinen Höhepunkt erreicht hat«, schreiben die Analysten.

Im historischen Vergleich sind sowohl die Fracht- als auch die Zeitcharterraten für Schiffe immer noch hoch, aber man gehe davon aus, dass der Markt sich selbst korrigieren und sich »irgendwann im Jahr 2023« normalisieren wird. In vielen Fahrtgebieten schwächt sich das Frachtaufkommen ab, und die Spotraten sinken rasch.

Die traditionelle Hochsaison der Linienschifffahrt findet nach Beobachtung der Alphaliner-Experten 2022 kaum statt, und viele Branchenbeobachter sind der Meinung, dass der Einbruch eher strukturell als saisonal bedingt ist, da sie eine globale Rezession befürchten. Kriegsrisiken, explodierende Energiekosten, politische Instabilität und die allgemeine Inflation würden sich auf die allgemeinen Verbraucherausgaben und damit auf das Handelsvolumen auswirken – insbesondere bei Industriegütern. Darüber hinaus scheint die Lockerung der coronabedingten Reisebeschränkungen dazu geführt zu haben, dass sich das Konsumverhalten wieder auf Dienstleistungen – insbesondere Reisen und Urlaub.

Einige der schlimmsten Engpässe in den Häfen haben sich ebenfalls aufgelöst (oder zumindest gelockert), und die Zahl der beladenen Schiffe, die in den Staus stecken geblieben sind, geht langsam zurück.

Auf der anderen Seite wird 2023 eine große Anzahl neuer großer Containerschiffe in Dienst gestellt und das in einer Zeit, in der die Nachfrage stagnieren könnte. »Das Tonnageangebot könnte die Schiffsnachfrage im nächsten Jahr wieder übersteigen, und der Linienschifffahrtsmarkt könnte auf eine strukturelle Überkapazität zusteuern«, heißt es im Bericht.

Orderbuch liegt bei 30% der Flotte

Dank des Auftragsbooms der letzten beiden Jahre war das Verhältnis zwischen Auftragsbüchern und Flotte Ende September weltweit auf knapp 30% gestiegen, während es zwei Jahre zuvor noch bei rund 9% gelegen hatte. In absoluten Zahlen hat der heutige Auftragsbestand von 7,0 Mio. TEU den früheren Rekord von 6,6 Mio. TEU aus dem Jahr 2008 übertroffen. Immerhin: Bezogen auf die weltweite Boxflotte, die sich seitdem auf 26 Mio. TEU mehr als verdoppelt hat, beträgt das Verhältnis zwischen Auftragsbestand und Flotte »nur« 30%, verglichen mit den »verrückten« 60% von 2009.

Große Unbekannte IMO

Die große Unbekannte in dieser Gleichung ist laut der Analyse die Frage, wie sich die neuen Kohlenstoffindizes der IMO, die Anfang 2023 in Kraft treten werden, auf die dynamische Schiffskapazität auswirken werden. Die neuen Vorschriften zielen darauf ab, die Kohlenstoffintensität der Schifffahrt zu verringern, und werden für einige weniger effiziente Containerschiffe zu Geschwindigkeitseinbußen führen: »In der Folge könnte der Markt mehr Schiffe benötigen, um eine bestimmte Menge an Fracht mit einer geringeren Geschwindigkeit zu befördern.«

Einige Analysten würden glauben, so der Report weiter, dass eine vorgeschriebene Verlangsamung der Schiffsgeschwindigkeit um beispielsweise 10% unmittelbar zu einem Anstieg der Tonnagenachfrage in der gleichen Größenordnung führen wird. »Dies ist nicht unbedingt richtig«, meint man allerdings bei Alphaliner, denn trotz dem Tonnagemangel im vergangenen Jahr würden die meisten großen Containerschiffe bereits deutlich langsamer als ihre technische Auslegungsgeschwindigkeit fahren. Während die meisten großen Liniencontainerschiffe über eine ausreichende Maschinenleistung verfügen, um Geschwindigkeiten von 22 kn zu erreichen, seien die heutigen Fahrpläne auf Langstreckentransporte mit Geschwindigkeiten von 17 bis 20 kn ausgelegt. »Mit anderen Worten: Viele große, moderne Containerschiffe werden im nächsten Jahr entweder überhaupt keine vorgeschriebenen Geschwindigkeitseinbußen erleiden oder ihre Höchstgeschwindigkeit wird auf ein Tempo begrenzt, das schneller ist als das, was die Schiffe heute normalerweise fahren.« Viele ältere und »durstigere« Containerschiffe seien dagegen bereits im Regionalverkehr mit geringeren Geschwindigkeiten und längeren Wartezeiten im Einsatz.

Das solle aber nicht heißen, dass die Bemühungen der IMO um eine Verringerung des CO2-Fußabdrucks des Seeverkehrs keine Auswirkungen auf die »dynamische Schiffskapazität« und damit auf das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage haben würden. »Die Chancen stehen jedoch gut, dass die schiere Größe des Auftragsbuchs für Containerschiffe diese Auswirkungen mehr als aufwiegen wird, zumindest in der nahen Zukunft von 2023 und 2024.« Es folgt allerdings ein kleiner Seitenhieb zu den Reedereien: »Die rekordverdächtige Neubaupipeline, ein rapide schrumpfender Chartermarkt, der Abwärtstrend der Spotfrachtraten und das Risiko einer globalen Rezession im Jahr 2023 haben die Reedereien bisher nicht davon abgehalten, das bereits gigantische Orderbuch für Containerschiffe weiter aufzustocken.«