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Die EU-Institutionen ringen kurz vor Jahresende noch um einen Kompromiss für die Einbindung der Schifffahrt in den Emissionshandel. Die Zeit drängt. Für die Reedereien wäre im Fall einer Verschiebung wohl wenig gewonnen.[ds_preview]

Bekommen Reedereien und Charterer noch ein Jahr Schonfrist, bis die CO2-Emissionen der Schiffe bepreist werden? Dass die im Rahmen des Europäischen Green Deals ursprünglich vorgesehene Einbindung der Schifffahrt in den Europäischen Emissionshandel (EU-ETS) zum 1. Januar 2023 noch realisierbar ist, gilt inzwischen als nahezu ausgeschlossen. Lobbyisten der Schifffahrt in Brüssel rechnen damit, dass der Start verschoben wird, möglicherweise auf 2024 oder mindestens in die zweite Jahreshälfte 2023. Zunächst einmal müssen sich die EU-Institutionen – Rat, Parlament und Kommission – über Details der geplanten Änderungsrichtlinie zum EU-ETS einigen. Anschließend müssten die Vorgaben noch in nationales Recht gegossen werden. Auch wenn der Handlungsdruck groß ist, wird das in sechs Wochen kaum zu schaffen sein, heißt es aus Brüsseler Kreisen.

Die Einbindung der Schifffahrt in das EU-ETS wird auch Thema auf dem diesjährigen HANSA-FORUM am 1. Dezember in Hamburg sein. Hochrangige Experten diskutieren über zahlreiche weitere Themen und Strategien, mit denen den Herausforderungen durch regulatorische Vorgaben, sich verändernde Märkte, das steigende Kostenrisiko und nicht zuletzt durch geopolitische Spannungen begegnet werden kann.

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Die Positionen der Institutionen liegen derzeit noch weit auseinander. Der Vorschlag der EU-Kommission sieht eine Einbindung in den Emissionshandel in vier Phasen vor. Danach müssen Reedereien ab 2023 Verschmutzungsrechte (Zertifikate) für 20% aller Emissionen aus Reisen innerhalb der EU sowie 50% der Emissionen aus Reisen zwischen Häfen der EU und von Drittstaaten beschaffen. Dieser Anteil wird 2024 auf 45%, 2025 auf 70% und ab 2026 auf 100% erhöht. Berücksichtigt werden Schiffe ab einer Größe von 5.000 BRZ.

Das EU-Parlament fordert hingegen die Anwendung des EU-ETS auf 100% der relevanten Schifffahrtsemissionen schon ab dem ersten Tag. Im Rahmen von Trilog-Verhandlungen zwischen den drei EU-Institutionen muss erst noch ein Kompromiss gefunden werden, wobei der politische Druck im Zuge des Weltklimagipfels COP27 in Ägypten noch größer geworden ist. Durch eine Verzögerung würde die Schifffahrt höchstens ein bisschen Zeit gewinnen. Dafür dürften die Bestimmungen aber gegenüber dem Ursprungsentwurf der Kommission verschärft werden.

Mögliche Szenarien, auf die sich die Branche Insidern zufolge einstellen müsste, wären eine Straffung des von der EU-Kommission vorgesehenen Stufenmodells von vier auf drei Stufen bis zur 100%-igen Anrechnung der Emissionen. Oder eine Absenkung der Mindestschiffsgröße für die Einbeziehung in das EU-ETS von 5.000 BRZ auf vielleicht nur 400 BRZ?

Damit wäre der gesamte Bereich der Küstenschifffahrt mit Einheiten zwischen 3.000 tdw und 5.000 tdw betroffen – unter ökologischen Gesichtspunkten sehr riskant, weil es zu ungewünschten Verkehrsverlagerungen kommen könnte. So würde der Kurzstreckenseeverkehr gegenüber dem Lkw in Europa unweigerlich an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen, wenn zwar einseitig kleinere Schiffe, nicht aber der Straßenverkehr belastet wird.

Auch wenn die Reederei bzw. der Schiffsmanager in die Pflicht genommen werden, die nötigen Emissionszertifikate einzureichen, wird am Ende der Befrachter die Kosten tragen müssen, egal ob unter einer Zeit- oder Voyage-Charter. Handelt es sich dabei um einen reinen Operator – etwa eine Linienreederei – werden die CO2-Kosten über Zuschläge auf die Ladungseigner verteilt.

Erste Carrier haben bereits ihre Kunden per Rundschreiben informiert. So kündigte MSC kürzlich an, dass die nötigen Zuschläge je nach Trade zwischen rund 30 $ und 500 $ pro Container lägen, wenn 100% der relevanten Emissionen durch Zertifikate (geschätzter Preis: 90 € pro t CO2) abgedeckt werden müssten. Für Verladungen von Fernost nach Europa würden 69 €/TEU fällig, für Reefer-Transporte von Brasilien nach Nordeuropa hingegen 478 €/FEU. (mph)