Eisbeinessen
© Meyer
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Nach Corona-Pause findet das legendäre »Eisbeinessen« in Hamburg wieder statt – in einer Zeit des (teilweisen) Raten-Booms, etwas mehr politischer Wertschätzung, aber auch Herausforderungen. Ein Gespräch mit »Eisbein-Chef« Alexander Geisler. Von Michael Meyer[ds_preview]

Das Stimmungsbarometer beim Organisator und Geschäfts[ds_preview]führer vom Zentralverband Deutscher Schiffsmakler (ZVDS) und dem Verband Hamburger und Bremer Schiffsmakler (VHBS) zeigte zuletzt auf »stressige Vorfreude«. »Es haben viele Leute wirklich Lust, sich wieder zu treffen«, sagt Geisler, »dass jetzt das Schiffsmakleressen wieder nach Hause kommt, ist schon eine tolle Nachricht.« Gerade in der Schifffahrt sei die persönliche Kommunikation enorm wichtig.

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»Ich weiß, viele Spediteure wünschen sich eine Rückkehr zu alten Raten und zu ihrer vorherigen Verhandlungsmacht gegenüber Containerlinien und Reedern, aber das wird nicht passieren«, sagt Alexander Geisler, »Eisbein«-Organisator und Geschäftsführer der Schiffsmaklerverbände ZVDS und VHBS © VHBS

Im HANSA-PODCAST geht er ausführlich auf die Vorbereitungen und auch auf die Stimmungslage in der deutschen Schifffahrt ein. Für ein Traditionsevent wie dem Eisbeinessen, dass in diesem Jahr in seiner 72. Auflage veranstaltet wird, ist die Gemütslage der Branche zwar nicht das entscheidende Bewertungskriterium. Gute Märkte, wie sie zuletzt bekanntlich mit hohen Raten und Erträgen zumindest in einigen Segmenten zu beobachten waren, können aber auch nicht schaden.

Geisler freut sich über diverse prominente Unterstützer wie beispielsweise Hapag-Lloyd, MSC oder IBT Bunkering & Trading und Ernst Russ Shipbroker, die sich zum Eisbeinessen und dem Standort bekannt haben: »Das ist schon eine tolle Entwicklung.«

Was es erstmals seit längerer Zeit nicht gibt, ist ein Partnerland. Damit wollte der VHBS in der Vergangenheit die Verbundenheit mit einem Landesverband oder die Bedeutung eines Landes für den Hafen- und Schifffahrtsstandort Hamburg betonen. 2022 ist das anders: So stellt der Verband vielmehr das eigene 125-jährige Jubiläum in den Vordergrund, das man noch nicht gebührend feiern konnte: »Wir haben uns dazu entschlossen, dass wir uns ein Stückweit selbst feiern«, sagt Geisler und erläutert auch die Begründung, dazu gehört unter anderem: »Einfach mal sichtbar und stolz sagen, dass es uns gibt, dass wir wichtig sind für die Wertschöpfung.« Die Mitarbeiter hätten in den letzten zwei Jahren extrem viel geleistet. »Alle gucken immer nur auf die Ertragslage. Aber wie viel Arbeit und Stress eigentlich dahintersteckt, das ist vielen Leuten gar nicht klar.« Nicht nur Verlader und Spediteure würden unter den Störungen in den weltweiten Lieferketten leiden, auch bei Linienreedereien und anderen Akteuren verursachen die Entwicklungen Stress. »Und ich denke, es ist einfach auch mal ein gutes Zeichen, dass man sich ein Stückweit auf sich selbst fokussiert und sagt: Ja es gibt uns, wir sind ein extrem wichtiges Rädchen in der volkswirtschaftlichen Betrachtung«, so der Verbands-Geschäftsführer.

Die Wertschätzung in der Politik und der Öffentlichkeit ist zwar besser geworden, findet Geisler, aber noch immer sei die Schifffahrt bisweilen »mehr oder weniger eine unsichtbare Branche«, die aber immer funktioniert: »Seien wir doch mal ehrlich: Den Klarierungsagenten kennt 2 km hinterm Hafenzaun kaum jemand. Das sind aber ganz ganz wichtige Berufe, die da stattfinden.« Ähnlich in der deutschen Befrachtungszene, die in den langen Krisenjahren der Schifffahrt durchaus stark gelitten hatte. Nach wie vor werde jedoch ein Großteil der Tramp-Containerflotte von Hamburg aus befrachtet, auch An- und Verkaufsmakler stünden wieder besser da.

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Die Tradition will es so: Zu gutem Essen gibt es auch das eine oder andere Getränk © VHBS

Zumindest in der Bundespolitik gibt es auch positive Aspekte: Studien aus dem Wirtschaftsministerium berücksichtigen mittlerweile die Wertschöpfung der maritimen Branche. Unter anderem getrieben durch den zwischenzeitlichen Raten-Boom in der Linienschifffahrt gehen die Zahlen in den Milliardenbereich. »Da sind einige Leute doch ganz schön ins Schleudern gekommen. Selbst in Berlin kennt man jetzt den Unterschied zwischen Linienagentur und Reederei. Darauf, dass wir das geschafft haben, bin ich auch ein bisschen stolz«, sagt Geisler.

Die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit schlägt sich natürlich auch auf das Interesse bei potenziellen Nachwuchskräften nieder. Auch die Schifffahrt ist vom Fachkräftemangel nicht befreit. Zumindest der Einbruch bei abgeschlossenen Ausbildungsverträgen konnte aber offenbar gestoppt werden, die Branche stabilisiert sich »auf niedrigem Niveau« mit rund 180 Verträgen. Die Gründe sind vielfältig – Corona ist nur einer davon. Was Geisler sehr viel Sorge macht, ist die Abwertung der dualen Ausbildung, der klassischen Lehre. Die Fixierung auf Bachelor und Master betrachtet er als »bildungspolitische Fehlentwicklung«, denn die Lehre zum Schifffahrtskaufmann und zur Schifffahrtskauffrau sei nach wie vor für die Wertigkeit und für die spätere Einsatzmöglichkeit im Unternehmen »viel wertvoller als ein wie auch immer gearteter Bachelor zu Beginn der Karriere«.

Insgesamt ist das Stimmungsbild bei Schiffsmaklern und den VHBS-Mitgliedern etwas diffus. Nach einem Raten-Boom in 2021 und Anfang 2022 belasten nun geo- und handelspolitische Verwerfungen die Erwartungen. »Natürlich ziehen jetzt dunkle Wolken am Himmel auf«, bestätigt Geisler. Man hatte ein unerwartetes Strohfeuer in 2021/2022, aber man sollte nicht vergessen: »Noch im April 2020 musste so manche Containerlinie durch staatliche Hilfen gestützt werden. Sonst wäre sie insolvent gewesen.« Dann drehte sich das Blatt und viele Unternehmen konnten gutes Geld verdienen. Geld, dass sie jetzt in die Lage versetzt, die »grüne« Transformation voranzutreiben.

»Natürlich hat der Standort Hamburg profitiert. Und das ist auch gut so. Wir haben zehn Jahre Krise hinter uns und sind ordentlich geschrumpft. Mit diesem Schluck aus der Buddel gibt es jetzt auch genügend Möglichkeiten, sich positiv aufzustellen«, betont der erfahrene Branchen-Kenner. Die Märkte würden zwar fallen, aber »nicht ins Bodenlose«. Geisler erwartet eine Plateau-Bildung. Auf welcher Höhe ist noch unklar. Aber er glaubt nicht, dass die Branche in die defizitären Situationen aus den Jahren 2011 bis 2019 zurückkehrt. »Ich weiß, es gibt viele Spediteure und Verlader, die sich diese Raten wünschen, ebenso wie ihre Verhandlungsmacht gegenüber Containerlinien und Reedern, aber das wird nicht passieren.« Vielmehr wird es sich seiner Ansicht nach austarieren. Außerdem hätten auch diejenigen, die sich jetzt beschweren, zuletzt gutes Geld verdient.

Trotz aller Herausforderungen, Bange ist dem erfahrenen Manager nicht, wenn er an die Zukunft der maritimen Wirtschaft denkt, zumindest heute weniger als 2019 oder zu Beginn von 2020. »Das ist auch die wichtigste Message, die wir jungen Leuten oder der Politik mitgeben: Schifffahrt wird es immer geben, der Welthandel ist anders nicht organisierbar.« Ein Beispiel ist für ihn die Getreidebrücke aus der Ukraine: Ein Zug kann 1.500 t Getreide aus dem Land bringen, damit kann ein Panamax-Bulker niemals ersetzt werden. Deswegen sei es so wichtig, den Fokus auf diese Branche und die maritimen Lieferketten zu legen.

Geisler hat in der jüngsten Vergangenheit diesbezüglich ein gewisses Umdenken bemerkt. »Ich bin auch deswegen nicht Bange, dass es uns irgendwann nicht mehr geben wird.« Durchaus denkbar ist es für ihn, dass sich auch der Beruf etwas verändern wird. Zudem kommen ganz neue Herausforderungen mit der neuen IMO-Gesetzgebung, mit den Emissionshandelssystemen auf die Wirtschaft zu. Aber: »Da dürfte auch die Bedeutung der Makler eher wieder steigen, weil sie eben über Informationen verfügen, über Wissen und Abläufe, die andere vielleicht gar nicht so haben.«

Nicht zuletzt dafür ist das persönliche Gespräch ein so wichtiger Bestandteil. Und zu den großen Möglichkeiten für den Austausch gehört das Eisbeinessen in Hamburg.

Viele Unternehmen laden in der sogenannten Eisbeinwoche – zu der auch ein Senatsempfang gehört – zu Kundenevents. »Das ist ja eigentlich auch der Geist des Eisbeinessens«, so der VHBS-Geschäftsführer, der eine spezielle Entwicklung jedoch »ein bisschen schade« findet, nämlich dass manche Unternehmen auch am Freitagabend eine eigene Veranstaltung haben. »Das ist schon ein bisschen Trittbrettfahrerei. Da würde ich mir zumindest einen Solidaritätsakt wünschen, zum Beispiel wenigstens Verbandsmitglied werden. Solidarität ist beidseitig – nicht immer nur anrufen und nach dem Termin des Eisbeinessens fragen und dann wieder auflegen.« ?

Abstract: »Happy Eisbein!« Spotlight on shipbrokers

The legendary »Eisbeinessen« is back in Hamburg – in a time of (partial) rate boom, a little more political appreciation, but also challenges. An interview with organisator Alexander Geisler about the traditional event and the mood in the industry.