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Durch die Verdichtung der Arbeit an Bord ist jeder fünfte Seemann mit Stress, Fatigue oder psychosozialen Störungen konfrontiert. Das ist das Ergebnis einer Studie der Seemannsmission Hamburg-Harburg.[ds_preview]

21% der Seeleute sind durch besagte Verdichtung gefährdet und mental beeinträchtigt, wenn er länger ohne Landgang ist. Jeder Sechste (16 %) zeigt psychosoziale Belastungen wie Burnout, Müdigkeit, Unruhe. Auf der anderen Seite gibt es aber auch ein positives Ergebnis: 98% der Seeleute fühlen sich an Bord gut oder sehr gut. Das zeigt eine Studie der Seemannsmission Hamburg-Harburg zum »Landgang von Seeleuten in Zeiten von Covid 19« im Herbst 2022, die jetzt veröffentlicht wurde.

Befragt wurden 207 Seeleute, primär auf Container-Schiffen (67%), zwei Drittel sind älter als 30 Jahre; die Hälfte stammt von den Philippinen, jeder fünfte aus Indien. Über ein Drittel ist »officer« oder »engineer«; zwei Drittel zählen zur Mannschaft.

Sören Wichmann, Leiter Seemannsclub Duckdalben und Jörn Hille, Leiter der von den Seemannsmissionen Hamburg verantworteten Bordbetreuung, führten die Umfrage an Bord der Schiffe oder im Seemannsclub durch: »Wir leisten schon seit Jahren psycho-soziale Betreuung. Mit dieser Studie haben wir diese weiter empirisch unterlegt. Ziel war, die Seeleute am Arbeitsplatz direkt aber auch außerhalb ihrer Arbeitswirklichkeit zu erreichen.«

Dabei gibt ein Ergebnis Grund zur Entwarnung. Neun von zehn Seeleuten ist Landgang wieder grundsätzlich gestattet, nachdem die Pandemie diesen weitgehend unmöglich gemacht hat. Heute sind es noch 10%, denen der Landgang verwehrt wird. Dabei sei dieser psychologisch besonders wichtig. Sören Wichmann: »Wenn Landgang verwehrt wird, ist das Argument oft, die Sicherheit des Schiffes sei gefährdet. In diesen Fällen aber wird gegen die Maritime Labour Convention verstoßen. Wenn überhaupt, darf nur der Kapitän ein Verbot aussprechen, und zwar nur einmalig nach Lage der Dinge. Es darf keine generelle Politik der Reederei sein.«

Dabei votiert die Mehrheit der Befragten (86%) pro Landgang. Wichmann weiter: »Wer das Schiff verlässt, will nicht nur einkaufen oder chillen. Er tankt auch mental auf und erhöht seine Stressresistenz. Das ist gut für das Schiff und im Interesse der Reeder. Mindestens einmal im Monat sollte daher Landgang auf dem Dienstplan stehen.«

Die Realität sieht den Angaben zufolge anders aus. Zwar gab die Hälfte an, im letzten Monat (vor Befragung) einmal von Bord gewesen zu sein. Jeder Fünfte (21%) hatte Landurlaub in den vergangenen zwei bis sechs Monaten, 14% gaben an, ihr letzter Landgang liegt mehr als elf Monate zurück. Dieses Defizit wird kritisiert, führt aber nicht zu Spannungen an Bord, so 94% der Befragten: »Mobbing hat an Bord nichts zu suchen«.

Jörn Hille sagte: »Die meisten sagen, dass sie sich gut fühlen. Wir gehen davon aus, dass die Aussage ›gut‹ kulturell bestimmt ist – und sich von der Bewertung eines Jobs an Land unterscheidet. Kultur, Alter, Religion, Borddisziplin, männliches Rollenbild oder Hierarchie prägen Leben und Job auf See anders als an Land«. Diese Umfeldbedingungen steuern auch die Selbstwahrnehmung: 1% der Befragten taxiert seine »mentale Kraft« als schwach, 18% fühlt sich »average«, 65% »strong«, jeder zehnte nennt sogar »heroic«.

Hille interpretiert das Ergebnis: »Die spezifischen Belastungen und Erfahrungen im maritimen Leben können dem einzelnen Seemann eventuell helfen, schwierige Situationen besser als andere zu ertragen – auch weil er häufiger als Landmenschen Diversität und Toleranz erlebt«.