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Die Region ist nicht nur für Mehrzweck- und Versorgungsschiffe interessant: Aktuell wird weniger Meereis in der Antarktis beobachtet als je zuvor in den vierzig Jahren seit Satelliten die Eisausdehnung erfassen.[ds_preview]

Anfang Februar 2023 waren lediglich noch 2,20 Mio. km² des Südlichen Ozeans von Meereis bedeckt. wie das Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut auf Basis einer Expedition des Forschungsschiffs »Polarstern« jetzt bestätigte. Forschende vom AWI und der Universität Bremen analysieren für das Meereisportal die Situation. Bereits der Januar stellte einen Negativ-Rekord im Monatsmittel auf, der 3,22 Mio. km² betrug, obwohl die Schmelzperiode im Sommer auf der Südhemisphäre noch bis Ende Februar weitergeht. Das aktuelle Expeditionsteam auf der »Polarstern« berichtet von nahezu eisfreien Verhältnissen in seinem Forschungsgebiet, dem antarktischen Bellingshausenmeer.

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»Polarstern« im Januar 2023 im eisfreien Bellingshausenmeer, Westantarktis. (© AWI/ Daniela Röhnert)

Insgesamt ist das antarktische Meereis viel dünner als das arktische und tritt überwiegend saisonal auf. Daher galt es lange Zeit jenseits der Wetterzeitskalen von wenigen Tagen als unvorhersagbar. Die Wissenschaft hat in den vergangenen Jahren jedoch mehrere Mechanismen aufgedeckt, wie die Entwicklung des Meereises auf saisonalen Zeitskalen vorhergesagt werden kann. Die Kenntnis der Meereispräsenz Wochen bis Monate im Voraus ist nach Ansicht des AWI »für die antarktische Schifffahrt von großem Interesse«.

»Können noch nicht sagen, wann der neue Negativrekord erreicht wird«

»Da die Meereisschmelze in der Antarktis voraussichtlich bis in die zweite Februarhälfte weiter andauert, können wir heute noch nicht sagen, wann der neue Negativrekord erreicht sein wird und wie viel Meereis bis dahin noch zusätzlich schmilzt«, fasste Christian Haas, Leiter der Meereisphysik am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) die aktuelle Entwicklung zusammen. »Die rasante Abnahme des Meereises in den letzten sechs Jahren ist sehr erstaunlich, weil sich die Eisbedeckung in den fünfunddreißig Jahren davor kaum verändert hatte. Es ist unklar, ob dies der Anfang vom schnellen Ende von sommerlichem Meereis in der Antarktis ist, oder ob es sich nur um eine neue Phase mit geringerer aber weiterhin stabiler Meereisbedeckung im Sommer handelt.«

Die Eisschmelze ist bereits seit Dezember besonders im Bellingshausen- und im Amundsenmeer der Westantarktis vorangeschritten. Das Bellingshausenmeer ist nahezu eisfrei. Expeditionsleiter und AWI-Geophysiker Karsten Gohl ist bereits zum siebten Mal in dieser Region, erstmalig im Jahr 1994, und sagt: »Eine solche extreme eisfreie Situation habe ich hier zuvor noch nicht erlebt. Der Kontinentalschelf, der immerhin die Größe Deutschlands hat, ist vollständig eisfrei. Für die Forschungsarbeiten auf dem Schiff sind diese Bedingungen natürlich von Vorteil, aber es gibt einem zu denken, dass diese Änderung in so kurzer Zeit geschehen ist.«

Tiefstand schon im Januar

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Am 8. Februar 2023 wurde mit einer Ausdehnung von 2,20 Mio. km2 das bisherige Rekordminimum in der Antarktis aus dem Jahr 2022 unterschritten (24. Februar 2022 mit 2,27 Millionen Quadratkilometer). Die Meereisschmelze dauert im Südsommer voraussichtlich bis in die zweite Februarhälfte weiter an, so dass der Wert weiter sinken wird. (© meereisportal.de)

Generell erreicht das Meereis in der Antarktis im Jahresgang im September oder Oktober seinen Höhepunkt und jeweils im Februar sein Minimum. Mancherorts schmilzt das Meereis im Sommer komplett ab. Das kalte Klima rund um die Antarktis ermöglicht im Winter dann wieder eine schnelle Neubildung von Meereis. Bei ihrer maximalen Ausdehnung beträgt die Meereisbedeckung in der Antarktis im Allgemeinen zwischen 18 und 20 Mio. km². Im Sommer schrumpft sie auf etwa 3 Mio. km². Dies ist eine viel größere natürliche saisonale Schwankung als in der Arktis.

Die Analysen der aktuellen Meereisausdehnung des Meereisportal-Teams zeigen, dass das Meereis in diesem Jahr in der Antarktis bereits den gesamten Januar über seine niedrigste jemals gemessene Ausdehnung für diesen Zeitraum seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1979 hatte. Der monatliche Mittelwert für Januar 2023 beträgt 3,22 Mio. km². Er unterschreitet das bisherige Minimum aus dem Jahr 2017 um etwa 478.000 km². Das entspricht in etwa der Fläche Schwedens. Langfristig zeigt das Meereis in der Antarktis im Januar einen abnehmenden Trend von 2,6 % pro Dekade. Dieses Jahr ist bereits das achte Jahr in Folge, in dem die mittlere Eisausdehnung im Januar unterhalb des langjährigen Trends liegt.

Forschungschiff »Polarstern« untersucht aktuell Meereis

Mögliche Ursachen für die starke Eisschmelze sind die überdurchschnittlich warmen Lufttemperaturen westlich und östlich der Antarktischen Halbinsel Denn diese liegen im Monatsmittel etwa 1,5 °C über dem Langzeitmittel. Darüber hinaus befindet sich der sogenannte Southern Annular Mode (SAM) in einer starken positiven Phase, was Einfluss auf die vorherrschende Windzirkulation in der Antarktis hat.

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»Polarstern« im Januar 2023 im eisfreien Bellingshausenmeer, Westantarktis. (© AWI/ James Kirkham)

Die Entwicklung des westantarktischen Eisschildes, also der riesigen Gletscher, die den antarktischen Kontinent bedecken und die Schelfeise speisen, in der geologischen Vergangenheit zu entschlüsseln, ist das Ziel der aktuellen »Polarstern«-Expedition. Auch historische Aufnahmen zeigen die enorme Veränderung. So ist im Südsommer vor 125 Jahren das belgische Forschungsschiff »Belgica« in genau jenem Gebiet für mehr als ein ganzes Jahr unfreiwillig im massiven Packeis eingefroren, in dem die »Polarstern« heute komplett frei von Eis operieren kann. Die Fotoaufnahmen und Tagebücher der Besatzung der »Belgica« sind einzigartige Zeugnisse der Eisverhältnisse im Bellingshausenmeer zu Beginn des industriellen Zeitalters, das in der Klimaforschung quasi als Vergleichsmaßstab der heutigen Klimaveränderung angesetzt wird.