Reederei Rud. Christ. Gribel, Stettin / Lübeck, 1773–1979

Solange die Segelschifffahrt noch in voller Blüte stand, waren die Handelsplätze an der Ostsee ausschlaggebend und zeitweise sogar stärker am[ds_preview] Reedereigeschäft beteiligt als die Nordseeplätze. Mit Einführung des Dampferverkehrs trat dann aber eine Verschiebung zugunsten der Nordseehäfen ein.

Dem gewaltigen, durch die Dampfschifffahrt bedingten Verkehrsaufschwung, der dadurch gekennzeichnet war, dass jetzt die Reedereien selbständige Transportunternehmungen wurden, während sich früher die Segelschiffe meist im Besitz der Kapitäne oder einzelner Handelshäuser befanden, konnten sich die Nordseehäfen infolge ihrer günstigeren Lage besser anpassen. Während man anfangs noch versucht hatte, die Segelschifffahrt in den Ostseehäfen so lange wie möglich aufrechtzuerhalten, sahen sich die Reeder aufgrund der immer größeren Verluste, die die Segler einfuhren, schließlich gezwungen, dem Vorbild der Nordseehäfen zu folgen und auf Dampfschifffahrt umzurüsten. Die Reeder Stettins trugen dieser Entwicklung in größerem Maße Rechnung, als ihre Nachbarn in den anderen Ostseehäfen. Bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts begannen sie, zu diesem revolutionären Antrieb überzugehen. In der Folgezeit entstanden neue Reedereien, die ihre Flotten ebenso wie die etablierten Eigner laufend ausbauten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verfügte Stettin über die größte Flotte im Ostseeraum. Die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs in der Ostsee waren nicht bei allen Reedereien so einschneidend, wie sie den Rest der deutschen Flotte trafen. Erst nach 1918 kam es auch hier zum Aderlass, insbesondere durch die Zwangsablieferung der größeren Einheiten. Es sollte jedoch nicht lange dauern, bis Stettin wieder über die größte Handelsflotte an der Ostsee verfügte. Die Gründe dafür waren die besondere Lage im Ostseebecken und eine ausgezeichnete Infrastruktur, die Hafen und Hinterland verband. Da ein großer Teil des deutschen und ausländischen Ostseeverkehrs über Stettin abgewickelt wurde, konnten die Reedereien ihre Flotten permanent weiter vergrößern.

Als älteste Stettiner Reederei ist hier die Reederei Rud. Christ. Gribel zu nennen, die bis 1945 in der Stadt an der Oder residierte. Danach siedelte sie nach Lübeck über, von wo aus das Reedereigeschäft bis zum Jahr 1969 weiter betrieben wurde. Zehn Jahre später, nachdem ihr letztes Schiff von Schulte & Bruns in Korrespondenz genommen worden war, und 200 Jahre nachdem das Unternehmen ganz in die Hände der Familie Gribel übergegangen war, erfolgte die Löschung der Reederei.

Im Jahre 1773 wurde der 1747 im holsteinischen Kirchwärder bei Bergedorf geborene Rudolf Christian Gribel Partner einer Weinhandlung, die er 1779 als Alleininhaber übernahm. Zunächst setzte er Schiffe nur zum Zwecke des Transportes von Wein ein. Es ergab sich aber dann die Möglichkeit, auch andere Waren zu befördern. Gribel entwickelte somit einen Reedereibetrieb, bei dem seine Segelschiffe bald weltweit zum Einsatz kamen, und so war er der Erste, der einen regelmäßigen Dienst zwischen Stettin und Südamerika einrichtete. Mit der Aufnahme des Dampferverkehrs baute die Reederei dann regelmäßige Linien zu den wichtigsten Nord- und Ostseehäfen auf. In den 1850er Jahren bediente man von Stettin aus regelmäßig Danzig, Kopenhagen, Hinterpommern, Riga, Hull etc.

Rudolf Christian Gribel starb 1831 im Alter von 81 Jahren. Seine Nachfolge trat eines seiner neun Kinder an: Der 1785 geborene Friedrich Wilhelm, der 1805 Teilhaber in der Firma seines Vaters geworden war, baute das Unternehmen zu einem bedeutenden Handels- und Schifffahrtshaus in Stettin aus. 1819 hatte er die Pommersche Provinzial-Zuckersiederei in Stettin gegründet. Außerdem hat er sich bei der Einrichtung des Eisenbahnanschlusses nach Berlin sowie der Gründung der Preußi­schen National-Versicherung im Jahre 1845 hervorgetan. Im Jahr 1832 war er von der Kaufmannschaft zu ihrem Vorsteher und 1840 zum Kommerzienrat ernannt worden. Seine Bemühungen, den Import von Rohzucker aus Mittelamerika durch entsprechende Maßnahmen zu sichern, wurden jedoch von der Stadt und dem zuständigen preußischen Ministerium nicht unterstützt. Nach seinem Tod im Jahre 1856 im Alter von nur 61 Jahren hinterließ er seinem Sohn, dem 1823 geborenen Theodor Gottlieb, ein Unternehmen, das weit über die Stadt Stettin hinaus einen guten Ruf genoss. Der Enkelsohn des Firmenpatriarchen gestaltete die Firma zu einem reinen Reederei- und Schiffsmaklerbetrieb um. Nachdem er der Reedereiflotte zehn weitere Segler hinzugefügt hatte, kam 1856 sein erster kombinierter Fracht-/Passagierdampfer in Fahrt, die 340 t große »Alexander II«. Ein Jahr später bestellte der Reeder seinen ersten Dampfer auf einer Stettiner Werft. Auf der Werft Früchtenicht & Bock, die spätere Stettiner Vulcan Werft, wurde die »Alexandra« gebaut, die man 1876 verlängern ließ. Bis zum Jahre 1883 betrieb die Reederei 14 neue Schiffe oder Tonnage aus zweiter Hand; die ab 1885 ausschließlich aus Dampfern bestand.

Theodor Gottlieb Gribel war ein umtriebiger Unternehmer. Auf ihn geht die 1856 gegründete Fluss-Versicherungs-Gesellschaft »Union« zurück. Außerdem gründete er etliche Tochterfirmen (Stettin-Kopenhagener Dampfschiffs-Gesellschaft 1871; Stettin-Rigaer Dampfschiffs-Gesellschaft 1874; »Renata« Dampfschiffs-Gesellschaft Theodor Gribel KG aA 1879 und die Stettin-Stockholmer Dampfschiffs-Gesellschaft 1880). Im Jahr 1854 hatte ihn Portugal zum Generalkonsul von Stettin ernannt.

Als der kinderlos gebliebene Theodor Gottlieb Gribel kurz vor seinem 60. Geburtstag im Jahr 1883 verstarb, übernahm sein zuvor von ihm als Teilhaber aufgenommener Neffe Franz Eduard Gribel das Unternehmen. Dieser erneuerte die teilweise schon recht alte Reedereiflotte und verkaufte 1885 das letzte Segelschiff der Reederei. Zu dieser Zeit erschloss er weitere Fahrtgebiete und bediente Häfen wie Rügenwalde, Rotterdam, Stockholm, Norr­köping und Helsingfors (Helsinki). Im Jahre 1890 ließ der Reeder seine gesamte Flotte für die Dampfschiffs-Kommanditgesellschaft »Renata« eintragen und die Firma Rud. Christ. Gribel übernahm ihre Bewirtschaftung. Gegenüber einer Partenreederei mit nur einem Schiff lag der Vorteil in der wesentlich breiteren Streuung des Risikos.

Auf der 1840 gegründeten Stettiner Werft Oderwerke AG, an der Franz Gribel maßgeblich beteiligt war, wurden ab 1899 sieben Dampfer für von ihm kontrollierte Gesellschaften gebaut und abgeliefert. Die Reedereiflotte bestand im Jahr 1908 aus 20 Dampfschiffen, die bis zum Ersten Weltkrieg auf 23 Frachter anwuchs. Die Schiffe im Alter von zwei bis 43 Jahren waren zwischen 266 BRT und 1.468 BRT groß. 1909 trat Franz Gribels 1884 geborener Sohn Eduard Georg als Teilhaber in die Gesellschaft ein.

Völlig unerwartet traf die Reederei der Beginn des Ersten Weltkriegs. Etliche Schiffe befanden sich in der östlichen Ostsee, wo sie von Russland requiriert wurden. Anderen gelang die Rückkehr vom Kontinent zurück nach Stettin. Ein Dampfer ging durch Minentreffer, ein zweiter während eines Seegefechts verloren. Durch Ablieferung an die Siegermächte im Jahre 1920 waren dann alle größeren Einheiten aus der Flotte ausgeschieden. Lediglich ältere sowie die kleineren Dampfer blieben der Reederei erhalten. Immerhin konnten sie 1921 noch über 16 Schiffe mit insgesamt 11.000 BRT verfügen.

Im selben Jahr erwarb Gribel den noch 1914 bei der Stettiner Oderwerke AG für die Stettiner Dampfschiffs-Gesellschaft J. F. Breunlich gebauten und abgelieferten Passagier- und Frachtdampfer »Rügen«. Während des Krieges diente er als Hilfsstreuminendampfer und Wohnschiff beim Verband der U-Bootschule. Obwohl formell an Großbritannien ausgeliefert, verblieb das Schiff jedoch weiterhin in Stettin und wurde bald darauf von der Reederei J. F. Breunlich zurückgekauft. Ursprünglich war es für bis zu 230 Tagesgäste konzipiert, Gribel ließ für seine längeren Ostseereisen Kabinen für 56 Passagiere (20 in der I. und II. sowie 36 in der III. Kl.) einbauen. Hinzu kamen noch einige Einrichtungen für Zwischendeckspassagiere. Bei einer Geschwindigkeit von 16 kn dauerte die Überfahrt von Reval nach Helsingfors etwa 40 Stunden. Die erste Reise führte das Schiff Ende Mai 1922 durch.

Als die Reederei 1923 ihr 150. Jubiläum feierte, bestand ihre Flotte aus 23 Schiffen mit 21.500 BRT. In den 1920er Jahren erhielt die Gesellschaft fünf Dampfer in der Größe zwischen 900 und 3.380 tdw von den Stettiner Oderwerken. Die Vulcan-Werke lieferte Ende 1924 mit der »Nordland« ein kombiniertes Fracht-/Passagierschiff. Der eisverstärkte Dampfer von 1.300 tdw bot Kabinen für die Mitnahme von 120 Fahrgästen und konnte Finnland auch im Winter bedienen.

Im Jahre 1930 übernahm Gribel dreizehn Schiffe einer in Konkurs gegangenen Stettiner Reederei, die er ebenfalls in die »Renata«-Gesellschaft eintragen ließ. Die Wirtschaftskrise hatte die Reederei durch eine geschickte Geschäftspolitik gut überstanden. Auch der Zweite Weltkrieg sollte die hauptsächlich in der Ostsee operierende Flotte weniger treffen als dies bei den Übersee-Reedereien der Fall war. Franz Gribel verstarb im Dezember 1943 als dienstältester deutscher Reeder im Alter von 93 Jahren.

Von den 35 Dampfern der Reedereigruppe zu Beginn des Krieges überlebten 14 Schiffe den Zweiten Weltkrieg. Allerdings verlor die Reederei ihren Sitz und damit zugleich den Ausgangshafen ihrer sämtlichen Linienaktivitäten. Nach der Übersiedlung von Stettin nach Lübeck diente der 1.112 BRT große Dampfer »Brandenburg« an dem neuen, stark zerstörten Standort sowohl als Reedereibüro als auch als Wohnsitz. Der 1944 vom kinderlosen Eduard Gribel adoptierte Wilhelm Karl Gribel sollte die Geschäfte weiterführen, Konsul Eduard Gribel starb Anfang 1947 im Alter von nur 62 Jahren. Wenige Monate später konnte die Reederei mit der 1.125 tdw großen, 1902 gebauten »Kriemhild« ihr erstes Schiff nach dem Krieg mit einer Ladung Holz nach England senden. Zum Aufbau neuer Linienverkehre kam es jedoch nicht wieder, da man sowohl die ehemaligen Verbindungen als auch den gesamten Kundenstamm verloren hatte.

Zu Anfang der 1950er Jahre konnte man für die kleinen überalterten Dampfer aufgrund der allgemeinen Tonnageknappheit noch ausreichend Beschäftigung finden. Als man 1957 mit der 1.650 tdw großen »Polchow« das erste Motorschiff übernahm, hatte man sich erst sehr spät für den neuen Antrieb entschieden. Zudem wurden die kleinen alten Dampfer unrentabel, so dass man sie bald alle zum Abbruch verkaufte. Die schwierige Marktsituation trug ebenfalls zum steten Niedergang des Traditionsunternehmens bei. Karl Gribel ließ die beiden noch verbliebenen Schiffe – den Dampfer »Regina« und das Motorschiff »Polchow« – von Schulte und Bruns in Emden bereedern mit der Absicht, sie später endgültig abzugeben. Dies geschah dann im Jahr 1965 mit »Regina«, und 1969 wurde auch die »Polchow« ver­kauft.

Mit der Löschung der Gesellschaft aus dem Lübecker Handelsregister im Jahr 1979 verschwand die älteste Stettiner Reederei, deren Geschichte bis in das 18. Jahrhundert zurück reichte. GF