100 Jahre »Tiger«

Der Hamburger Dampfschlepper »Tiger« feierte jetzt Geburtstag. 100 Jahre steht er schon unter Dampf, und versieht immer noch seine Dienste, auch wenn sich diese im Laufe der Jahre etwas geändert haben. Hans-Jürgen Steffen, Enkel des einstigen Auftraggebers des »Tiger«, Jürgen-Hinrich Steffen, arbeitet derzeit an der Neugestaltung des Bereichs Binnenschifffahrt auf Deck 9 im Internationalen Maritimen Museum Hamburg.

Hamburg – Auch nach 100 Jahren ist der Dampfschlepper »Tiger« noch immer ein Hingucker. Die Farbe strahlt wie frisch, die kupfernen[ds_preview] Lüfter glänzen in der Sonne und wenn er durch den Hamburger Hafen fährt, zieht er eine Rauchfahne hinter sich her, wie man es in Hafenszenen auf alten Gemälden an der Wende zum 20. Jahrhundert sieht. Von all den Schiffen seines Großvaters Jürgen-Hinrich Steffen, der in Hamburg die nach ihm benannte Ewerführerei (Ewerführer, auch Schlickschuber oder Schutenschupser genannt, hießen die Führer einer Schut im Hamburger Stromgebiet. Der Ewer, vermutlich von holländisch envarer = Ein(mann)fahrer, war ein Elbsegelboot, das die Schuten zog. Später wurden sie durch Schlepper ersetzt, erst mit Dampf-, später mit Motorantrieb.) betrieb, interessierte dieser »Tiger« den Enkel Hans-Jürgen am meisten. Der Junge ging gern an Bord, er zeichnete ihn immer wieder und diese Zeichnungen sind noch heute erhalten. Ebenso wie der »Tiger«, der allerdings längst keine Schuten mehr durch den Hafen bugsiert, sondern als gepflegtes Traditionsschiff im Museumshafen Oevelgönne liegt; wenn er nicht gerade wieder mal auf Tour ist. Denn er steht auch heute noch regelmäßig unter Dampf und unternimmt Rundfahrten durch den Hamburger Hafen oder ist unterwegs zu Treffen von Traditionsschiffen.

Was ihn gerade am »Tiger« interessierte, kann sich Hans-Jürgen Steffen heute auch nicht mehr erklären; denn sein Großvater hatte insgesamt vier Dampfschlepper, eine Schleppbarkasse und rund 25 offene und gedeckte Schuten, mit denen sein Unternehmen Transporte im Hamburger Hafen erledigte. Dessen Ewerführerei galt als erfolgreiches mittelständisches Unternehmen mit Sitz an der Köhlbrandtreppe und Blick auf das Geschehen im Hamburger Hafen. Es war Wohnhaus und Firmengebäude zugleich und so zog die Faszination der Schifffahrt Hans-Jürgen, der das großväterliche Haus oft besuchte, schon früh in ihren Bann. Er verbrachte später sein gesamtes Berufsleben in der Branche und arbeitet derzeit an der Neugestaltung des Bereichs Binnenschifffahrt auf Deck 9 im Internationalen Maritimen Museums Hamburg.

Die Namen der Schlepper dieser Ewerführerei hatten alle einen Bezug zu den Tätigkeiten ihrer Kunden. Zu denen gehörte die Altonaer Mühle J.P.Lange und Söhne, die ihr Mehl unter der Marke Tiger vertrieb. So kam der Hamburger Dampfschlepper zu seinem exotischen Namen.

Gebaut wurde er bei der damals bekannten Hamburger Schiffswerft und Maschinenfabrik Janssen und Schmilinsky, die 1929 von der Howaldt Werft, später Howaldt Deutsche Werft, übernommen wurde. Bei Janssen und Schmilinsky liefen damals viele Hafenfahrzeuge vom Stapel. Die Stahlplatten des Rumpfes wurden noch durch Nieten zusammengefügt. Der »Tiger« war eine starke Konstruktion; denn er sollte bei strengen Wintern auch als Eisbrecher Fahrrinnen freihalten.

Damit er ungehindert durch die vielen Brücken in alle Hafenbecken gelangen konnte, ließen sich Schornstein und Steuerhaus abklappen. Die Zwei-Zylinder-Expansionsmaschine leistet 240 PS. Damit erreicht das gut 17 m lange Schiff eine Geschwindigkeit von neun Knoten, also etwa 16 km/h.

Vor dem Kessel stand der Maschinist und Heizer, der pro Stunde 75 kg Kohle ins Feuerloch schaufeln musste und über einen Maschinentelegrafen erfuhr, mit welcher Fahrtstufe er voraus oder zurück fahren sollte. Die Fahrten führten nicht nur durch den Hamburger Hafen, teilweise schleppte er seine Schuten auch bis Elmshorn oder sogar bis Cuxhaven. Während dieser Zeit genoss die Besatzung den bescheidenen Komfort, sich jederzeit einen Kaffee oder Tee aufbrühen zu können, obgleich die Kajüte keinen Herd hatte. Aber es gab eine spezielle Dampfleitung, aus der immer kochend heißes Wasser entnommen werden konnte.

56 Jahre blieb der »Tiger« im Dienst der Ewerführerei Jürgen-Hinrich Steffen, die ihn 1966 aus dem Alltagsbetrieb nahm. Er fuhr zu dieser Zeit noch immer unter Dampf und war nicht, wie viele andere Schiffe jener Zeit, auf den kostengünstigeren Betrieb mit einer Dieselmaschine umgebaut worden. Auch die letzte Fahrt zur Abwrackwerft am Köhlbrand blieb dem »Tiger« erspart; denn er sollte noch immer als Reserveschlepper eingesetzt werden können. So pflegten ihn die Mitarbeiter des Unternehmens zwölf Jahre weiter.

1978 drohte aber auch diese Zeit zu Ende zu gehen. Damit der letzte kohlebefeuerte Dampfschlepper als technisches Denkmal seiner Zeit nicht doch noch unter Schneidbrennern enden sollte, startete der Museumshafen Oevelgönne 1978 die Aktion »Rettet den Tiger«. Als Erfolg kam so viel Geld zusammen, dass die Restaurierung des Schiffes begonnen werden konnte.

Diese Aktion machte auch Hans-Jürgen Steffen wieder auf seinen Lieblingsschlepper aufmerksam und selbstverständlich spendete auch er. Bis heute ist er immer wieder gern gesehener Gast an Bord, der seine Zuhörer mit Fotos aus der Geschichte des Schleppers und Erzählungen aus den alten Zeiten begeistert. Doch mit Geld allein lässt sich ein solches Traditionsschiff nicht erhalten. Notwendig ist eine ehrenamtliche Mannschaft, die es pflegt und betreibt. Denn wenn es nur an der Kaimauer liegt, altert es schneller, als bei regelmäßigen Fahrten. Eine solche Mannschaft von Schiffsbegeisterten hat sich für den »Tiger« längst gefunden, sie putzt nicht nur Messing, kratzt Rost und erneuert, wo notwendig, Farbanstriche. Die macht auch immer wieder Feuer unter dem Kessel und unternimmt unter dem Kommando von Schiffsführer und Elblotse Rüdiger Steiding Fahrten durch den Hafen und auf der Elbe. Im vergangenen harten Winter stellte der »Tiger« unter Beweis, dass er auch heute noch keine Probleme mit Eisschollen hat. Die Mannschaft gönnte sich und dem Schiff keine Winterpause.


Eigel Wiese