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Zunehmende Projektverzögerungen beim Bau von Offshore-Windparks sorgen für Stress in den Lieferketten. Aufträge für Zulieferer und maritime Dienstleister werden verschoben, während Investoren ihre Pläne neu überdenken.

Der geplante Ausbau der Offshore-Wind­energie in Deutschland droht wegen Verzögerungen beim Netzanschluss hinter die Ziele der Bundesregierung zurück[ds_preview]­zufallen. Sollten Genehmigung und Bau neuer Leitungen nicht rasch beschleunigt werden, könnten Investoren, Lieferanten und Dienstleister bald die Lust an der Branche verlieren.

Bereits im vergangenen Jahr hatte es monatelange Verzögerungen beim Anschluss des ersten kommerziellen Offshore-Windparks in der deutschen Ostsee gegeben. Eigentlich sollten die 21 Windkraftanlagen des Projekts »Baltic 1« schon Ende 2010 in Betrieb gehen. Tatsächlich drückte Bundeskanzlerin Angela Merkel erst am 2. Mai 2011 den Startknopf für die Inbetriebnahme. Die Anlagen waren zwar planmäßig aufgestellt worden, doch statt Strom einzuspeisen, mussten sie monatelang selbst mit Energie für den Notbetrieb versorgt werden, weil der Stromnetzbetreiber 50Hertz Transmission die Übertragungskabel nicht rechtzeitig bis an den Windpark verlegen konnte. Folglich konnte kein Strom ans Festland geliefert werden. Als Gründe für die Unpünktlichkeit nannte die Firma schlechtes Wetter, starken Eisgang und Lieferengpässe bei den Unterseekabel­herstellern. Viele Millionen Euro soll die Verspätung EnBW, dem Betreiber von ­»Baltic 1«, gekostet haben. Über einen bestimmten Ausfallzeitraum hatte sich der Energiekonzern mit 50Hertz Transmission per Vergleich einigen können, wie es hieß. Darüber hinaus reichte EnBW eine Schadenersatzklage ein, die sich nach Medienberichten auf 9 Mio. € belaufen soll.

Das Urteil dürfte in der gesamten Industrie mit Spannung erwartet werden, weil entsprechende Haftungsfragen für die Branche bislang Terra incognita sind. Dabei ist jetzt schon klar, dass es sich bei der Verzögerung von »Baltic 1« nicht um einen Einzelfall handelt.

Ein noch deutlich größerer wirtschaftlicher Schaden zeichnet sich beim Bau des 295-MW-Projekts »Nordsee Ost« des Energieunternehmens RWE Innogy nördlich von Helgoland ab. Die Aufnahme des Probebetriebs müsse um ein Jahr in das vierte Quartal 2013 verlegt werden, nachdem der Netzbetreiber Tennet Ende 2011 eingestand, die ursprüngliche Planung für die Netzanbindung nicht einhalten zu können, erklärte Dr. Hans Bünting, Finanzchef und designierter Vorstandsvorsitzender von RWE Innogy, im vergangenen Monat vor Journalisten in Hamburg.

Besonders heikel ist, dass Bau und Lieferung von Fundamentstrukturen und Anlagen schon weit fortgeschritten sind. »Die ersten Großkomponenten hatten bereits Bremerhaven erreicht. Wir waren ready to go, doch dann kam der Brandbrief von Tennet. Jetzt müssen wir komplett umplanen«, unterstrich Bünting.

Aktuell werde ein neuer abgestimmter Zeitplan mit Tennet erarbeitet, im nächsten Schritt müsse mit den Lieferanten und Dienstleistern verhandelt werden. Im Bereich der Logistik könnten unter anderem der Bremer Terminalkonzern Eurogate, ­­­der in Bremerhaven Lager- und Vorstauflächen für RWE Innogy stellt, sowie die Buxtehuder Unternehmen Linnhoff (Hafenlogistik) und NSB (Bereederung) betroffen sein. »Dann stellt sich die Frage, wie hoch die Mehrkosten sind und wer sie uns erstattet«, sagte der Manager.

Den Einnahmeausfall taxiert RWE Innogy auf rund 300 Mio. €. Ziehe man die Kos­ten für den Betrieb des Parks ab, verbleibe immer noch ein Schaden »deutlich im dreistelligen Bereich«. Der Konzern prüft derzeit seine rechtlichen Möglichkeiten. Noch gar nicht miteinbezogen sind die Dominoeffekte auf das viel größere Anschlussprojekt »Innogy Nordsee 1« mit einer geplanten Leistung von 960 MW. RWE wollte mit der gesamten Baustelle und den Installationsgeräten von »Nordsee Ost« an den nächsten Standort umziehen. Demzufolge dürfte sich die Inbetriebnahme von »Innogy Nordsee 1« von 2013 auf 2014 verzögern. Da Bestellung und Bau der Komponenten in diesem Fall jedoch noch nicht so weit fortgeschritten sind, müssen die Lieferketten nicht sofort umdisponiert werden. Schon jetzt sei klar, dass die Netzanschlussprobleme bei »Nordsee Ost« erhebliche Konsequenzen für die gesamte Branche haben könnten. »Wir stehen da vor einem Dilemma, das wir zurzeit nicht lösen können. Das Vertrauen der Investoren ist erschüttert«, konstatierte Bünting, der inzwischen nicht mehr daran glaubt, dass die Offshore-Ausbauziele der Bundesregierung erreicht werden können. »Das Ziel von 10.000 MW bis zum Jahr 2020 halte ich nicht mehr für realistisch.«

Schwierige Koordination

Der Fall »Nordsee Ost« illustriert die Risiken, die sich aus der Komplexität und Vielzahl der Beteiligten bei den Offshore-Projekten ergeben. Um den Zeitplan einzuhalten, müssen mehrere große Gewerke innerhalb des Windparks (Fundamente, Windenergieanlagen, Verkabelung und Konverterstation) und auch die externe Netzanbindung exakt koordiniert werden. Je nach Wetterverhältnissen müssen bestimmte Arbeiten vorgezogen, beschleunigt oder nachgeholt werden. Generalunter­nehmer für ein gesamtes Projekt, die soge-

nannten EPCs (Engineering, Procurement, Construction), wie man sie zum Beispiel aus dem Kraftwerksbau kennt, gebe es für die Offshore-Windenergie noch nicht. »Es ist kein EPC-Kontraktor am Markt, der bereit ist, diese Risiken zu übernehmen. Folglich sind wir von der Planung über Betrieb, Bau und Wartung mit in der Verantwortung«, sagte Bünting.

Die Bauplanung für »Nordsee Ost« mit seinen 48 Windenergieanlagen müsse nun gestreckt werden. Die Installation der in Norwegen gefertigten Fundamente solle im Sommer beginnen, während der Aufbau der technisch sensiblen Anlagen nach hinten verschoben werde. Derzeit ist noch unklar, wie sich die Verzögerungen auf Einsatz und Auslastung der Hafen- und Schiffskapazitäten für die Installation auswirken. Die Mobilisierung der RWE-eigenen, je rund 100 Mio. € teuren Installationsschiffe aus Südkorea verzögert sich aufgrund von technischen Problemen mit den hydraulischen Hubsystemen ohnehin um rund ein halbes Jahr bis zum Sommer. Es bleibt abzuwarten, wie der Konzern mit möglichen Leerlaufzeiten in Folge der Projektumdisponierung umgeht und ob diese durch Vercharterung der Schiffe überbrückt werden können.

Damit der Ausbau der Offshore-Wind­energie nicht vollends ins Stocken gerät, muss die Netzausbauproblematik zügig angegangen werden. Da sind sich Investoren, Energiefirmen und Bundesregierung einig. Im Rahmen der vom Bundeswirtschafts­ministerium initiierten Arbeitsgruppe

»Beschleunigung der Netzanbindung von Offshore-Windparks« suchen alle Beteilig-

ten seit Jahresanfang gemeinsam nach Lösungen, um eine fristgerechte Netzanbindung zu ermöglichen. Neben den Spitzen der Offshore-Branche (Netzbetreiber, Betreiber von Offshore-Windparks und Zulieferindustrie) und der Versicherungsbranche gehören der Arbeitsgruppe Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums, der Bundesnetzagentur, des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie sowie der Küstenländer an. »Die Ministerien haben die Dringlichkeit erkannt, weil sonst keiner mehr investieren würde«, sagte Bünting.

Bundesregierung unter Zeitdruck

Welche Hindernisse zu beseitigen seien, hat der Netzbetreiber Tennet in einem Brief an die Bundesregierung Ende 2011 umrissen. Dort war die Rede von Problemen bei der Kapitalbeschaffung für den Netzausbau, erhöhten Risiken und Kapazitätsengpässen bei Lieferanten. In ihrem Brief sprach sich die Tennet-Geschäftsführung für einen »geordneten Offshore-Netzausbau- und Entwicklungsplan« aus, wurde berichtet. Auch solle die Finanzierungslast auf mehr Schultern verteilt werden.

Auf der Hamburg Offshore Wind Conference der Klassifikations- und Beratungs­gesellschaft GL Garrad Hassan mahnten Branchenvertreter schnelle Fortschritte bei der Beschleunigung an. Bis zum 1. September müssten die Projektentwickler Klarheit haben, ob ihnen der Netzanschluss garantiert werden könne. Das sei der Stichtag für die Beantragung weiterer Projekte bei den Behörden, so Sven Utermöhlen, Chief Executive Officer bei E.on Climate & Renewables in München. Die Firma kann ihren Windpark »Amrumbank West« aufgrund der Probleme bei Tennet ebenfalls erst einen Jahr später als geplant bauen.

»Wenn wir bis September keine Entscheidung haben, haben wir versagt«, sagte Utermöhlen. Dann sei mit einer deutlichen Verlangsamung der Investitionen in der zweiten Hälfte der Dekade zu rechnen, über die bei den Unternehmen noch entschieden werden müsse. Für Projekte bis 2016 seien die Investitionen aufgrund der langen Vorlaufzeiten bereits auf den Weg gebracht worden.

Möglicherweise müsse sich Deutschland stärker an dem Modell Großbritanniens orientieren. Dort planen und finanzieren die Windparkbetreiber auch die landseitige Netzanbindung vor und verkaufen sie dann an den Staat. Vorteil: Die Arbeiten können besser aufeinander abgestimmt werden. »Da gibt es einiges, was die Arbeitsgruppe zur Beschleunigung von dem britischen Modell lernen könnte«, erklärte Utermöhlen.

RWE-Innogy-Manager Bünting stimmte zu, dass das britische System bislang gut funktioniert habe. Angesichts der hohen Finanzierungskosten und den Belastungen, die sich aus dem Atomausstieg ergeben, sei das Modell aber wohl nicht fortzuschreiben. »In Zeiten angespannter Bilanzen werden wir nicht länger in der Lage sein, die Netzanschlüsse vorzufinanzieren«, so Bünting.


Michael Hollmann