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Aufgrund der anhaltenden Krise wächst der Bedarf an Schiffsbewertungen. Daniel Mayr erklärt, wie Schiffe auf der Grundlage des LTAV-Verfahrens bewertet werden können und welche Analysen zur Bestimmung der Bewertungsparameter notwendig sind
Seit nunmehr fünf Jahren befindet sich die Schifffahrt global in einer schweren Krise. Angelockt durch steuerliche Anreize und günstige Finanzierungsbedingungen[ds_preview] wurden zwischen 2004 und 2008 – gemessen an dem tatsächlichen Bedarf – zu viele Frachtschiffe bestellt. Gleichzeitig entwickelten sich mit dem Ausbruch der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2008 und später aufgrund der Schuldenkrise und der Rezession in Europa der Gütertransport auf wesentlichen Handelsrouten und damit die Nachfrage nach Transportkapazitäten rückläufig. Das resultierende Überangebot hat in der Folge zu einem massiven Einbruch der Charterraten (Mietpreise für Frachtschiffe) geführt. Mit den derzeit erzielbaren Charterraten können Schiffsgesellschaften fällige Zins- und Tilgungszahlungen an die finanzierenden Banken häufig nicht mehr (vollständig) leisten.

Für Eigentümer und finanzierende Banken gewinnen daher entscheidungsorientierte Schiffsbewertungen, beispielsweise ob durch Kapitalmaßnahmen, Stundungen oder Forderungsverzichte eine Fortsetzung der Geschäftstätigkeit ermöglicht oder anderenfalls eine Verwertung des Schiffes angestrebt werden soll, an Bedeutung.

Die in jüngster Vergangenheit zahlreich durchgeführten Restrukturierungen sowie die geschaffenen »Restrukturierungsplattformen für Schiffe« zeigen, dass im aktuellen Marktumfeld zumeist die Fortführung der Geschäftstätigkeit und nicht die Verwertung der Schiffe als die wirtschaftlich sinnvollere Handlungsalternative erachtet wird. Grundlage für diese Einschätzung ist in der Regel ein Vergleich des bei einem kurzfristigen Verkauf des Schiffes erzielbaren Preises mit dem erwarteten finanziellen Nutzen, der aus dem Weiterbetrieb des Schiffes bis zum Ende der wirtschaftlichen Nutzungsdauer resultiert.

Zur Bestimmung des erzielbaren Preises bei einer Verwertung sollte auf das Vergleichswertverfahren abgestellt werden, während zur Ermittlung des Fortführungswertes des Schiffes Bewertungsverfahren heranzuziehen sind, die die langfristigen, fundamentalen Ertragsaussichten des Schiffes im Einzelfall berücksichtigen. Eines dieser Verfahren ist das von der Vereinigung Ham­burger Schiffsmakler und Schiffsagenten (VHSS) in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC entwickelte »Long Term Asset Value« (LTAV)-Verfahren.

Der vorliegende Beitrag verdeutlicht nach einer Darstellung der wesentlichen Schiffsbewertungsverfahren, wie Schiffe auf der Grundlage des LTAV-Verfahrens bewertet werden können. Dabei stehen ins­besondere die angemessene Bestimmung der einzelnen Bewertungsparameter sowie die dazu notwendigen Analysen im Mittelpunkt der Betrachtung.

Bewertungsverfahren

Grundsätzlich kommen für die Wertermittlung von Schiffen die gleichen Bewertungsverfahren in Betracht, die auch im Rahmen der Unternehmens- oder Immo­bilienbewertung Anwendung finden. Dabei lassen sich marktpreisorientierte, kapitalwertorientierte und kostenorientierte (Die kostenorientierten Bewertungsverfahren orientieren sich an den geschätzten Reproduktionskos­ten unter Berücksichtigung der Funktionalität des zu bewertenden Schiffs und werden i. d. R. nur bei der Bewertung von Spezialschiffen angewandt. Daher werden sie hier nicht näher betrachtet.)Bewertungsverfahren unterscheiden.

Marktpreisorientierte Verfahren

Das in der maritimen Industrie bislang vorwiegend verwendete Vergleichswert­verfahren stellt eine Form der marktpreis­orientierten Bewertungsverfahren dar. Danach wird der Wert eines Schiffes aus Kaufpreisen von vergleichbaren Schiffen in zeitnah zum Stichtag erfolgten Transaktionen zwischen sachverständigen, vertragswilligen und voneinander unabhängigen Parteien abgeleitet.

Um den Schiffswert auf Basis des Vergleichswertverfahrens ableiten zu können, müssen eine ausreichende Anzahl von zeitnahen Transaktionen vergleichbarer Schiffe identifizierbar und die entsprechenden Transaktionspreise verfügbar sein. Die Vergleichbarkeit bezieht sich dabei insbesondere auf die Kriterien Schiffstyp, Schiffsgröße, Alter und Zustand. (Weitere Kriterien, die die Vergleichbarkeit beeinflussen, sind beispielsweise Ausstattungsmerkmale, Spezifikationen, spezifisches Schiffsdesign und bestehende Chartervereinbarungen.)

Zusätzlich ist die Dringlichkeit eines Verkaufs ein wesentlicher preisbeeinflussen­der Faktor, denn kurzfristige Notverkäufe (sogenannte Fire Sales) von Schiffen durch Schiffseigentümer mit Liquiditätsengpässen finden in der Regel nicht zu fairen Einigungspreisen statt und sind daher nur bedingt als Vergleichsmaßstab geeignet.

Im Zuge der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise und später der Schuldenkrise in Europa sowie der damit verbundenen deutlich eingeschränkten Kreditvergabe seitens der finanzierenden Banken ist der Markt für gebrauchte Schiffe in vielen Segmenten fast vollständig zum Erliegen gekommen. Bei den wenigen am Markt beobachtbaren Schiffstransaktionen handelte es sich zudem oftmals um eben solche Fire Sales, weshalb sich in dem aktuellen Marktumfeld häufig keine belastbaren Schiffswerte mit dem Vergleichswertverfahren ableiten lassen.

Kapitalwertorientierte Verfahren

Auf Grundlage kapitalwertorientierter Verfahren ergibt sich der Wert eines Schiffes aus den diskontierten zukünftigen Cashflows aus dem Betrieb bzw. der Vermietung des Schiffes unter Berücksichtigung eines Schrottwertes zum Ende der wirtschaftlichen Nutzungsdauer. Die kapitalwertorientierten Verfahren sind theoretisch fundiert, können in allen Marktphasen angewendet werden und haben daher eine breite Akzeptanz sowohl bei der Bewertung von Unternehmen als auch von Vermögenswerten.

Sie weisen jedoch eine entscheidende Herausforderung auf, nämlich die willkürfreie Festlegung der wesentlichen Bewertungsparameter, beispielsweise der zukünftig erzielbaren Charterraten. Vor diesem Hintergrund kommt der Ableitung angemessener Bewertungsparameter die größte Bedeutung bei der Anwendung der kapitalwertorientierten Verfahren zu.

Zweckadäquanz des Bewertungsverfahrens

In funktionierenden Märkten und bei einem bestehenden Gleichgewicht zwischen Marktangebot und Marktnachfrage führen marktpreis- und kapitalwertorientierte Bewertungsverfahren in der Regel zu ähnlichen Ergebnissen. Im Gegensatz dazu können die beiden Bewertungsverfahren in nicht funktionierenden Märkten und ei­nem bestehenden Marktungleichgewicht zu deutlich unterschiedlichen Werten führen. In diesem Fall können sie als komplementäre Methoden zur Bestimmung des Wertes aus unterschiedlichen Perspektiven (z. B. Fortführung der Geschäftstätigkeit vs. Verwertung des Schiffes) herangezogen werden. Denn maßgeblich für das anzuwendende Bewertungsverfahren sind der Bewertungszweck und damit die beabsichtigte Investitionsstrategie.

Daraus resultierende unterschiedliche Werte für einen bei einer kurzfristigen Verwertung erzielbaren Marktpreis oder einen langfristigen Fortführungswert sind demnach nicht per se richtig oder falsch, sondern sie können jeweils zweckadäquat sein.

Grundlagen des LTAV-Verfahrens

Das LTAV-Verfahren ist das bekannteste kapitalwertorientierte Verfahren zur Schiffsbewertung. Der Ermittlung des LTAV liegt das in der Bewertungstheorie und -praxis anerkannte DCF-Verfahren nach dem Konzept der gewichteten Kapitalkosten (sogenannter WACC-Ansatz (Neben dem WACC-Ansatz sind in der Bewertungstheorie mit dem Adjusted Present Value (APV)- und dem Total Cash Flow (TCF)-Ansatz noch zwei weitere DCF-Verfahren zur Ermittlung des Unternehmenswertes aus Sicht der Eigen- und Fremdkapitalgeber anerkannt. Sämtliche DCF-Ver­fahren führen bei konsistenter Prämissensetzung zu identischen Ergebnissen. Abhängig vom jeweiligen Bewertungszweck kann anstelle der Bewertung des Vermögenswertes Schiff aus Sicht von Eigen- und Fremdkapitalgebern auch die Ermittlung des Wertes einer Beteiligung an einer Ein-Schiff-Gesellschaft ausschließlich aus Sicht der Eigenkapitalgeber relevant sein. Dann ist vom LTAV noch der Marktwert des Fremdkapitals in Abzug zu bringen. Alternativ kann der Marktwert des Eigenkapitals auch direkt durch Diskontierung der ausschließlich den Eigenkapitalgebern zustehenden finanziellen Überschüsse mit den Eigenkapitalkosten bestimmt werden (sog. Flow to Equity (FTE)-Ansatz).)) zugrunde.

Der LTAV eines Schiffes ergibt sich aus Sicht der Kapitalgeber durch Diskontierung der erwarteten finanziellen Überschüsse (Free Cashflows) mit einem gewichteten Kapitalkostensatz (kWACC):

Die prognostizierten Free Cashflows lassen sich aus den erwarteten erzielbaren Chartereinnahmen (Ct) abzüglich der erwarteten Schiffsbetriebskosten (Bt) sowie einem Restwert (RWT) zum Ende der wirtschaftlichen Nutzungsdauer des Schiffs ableiten. Dabei sollten inflationsbedingte Erlös- bzw. Kostensteigerungen grundsätzlich berücksichtigt werden. (Diese Vorgehensweise gewährleistet die gebotene Äquivalenz zum i.d.R. nominalen Kapitalisierungszinssatz. Alternativ wäre auch eine Anpassung der nominalen Diskontierungszinssätze in reale Diskontierungszinssätze denkbar.)

Chartereinnahmen (Ct)

Für die Prognose der Chartereinnahmen sind Annahmen zu den künftig erzielbaren Charterraten (Brutto-Chartereinnahmen), zu anfallenden Bereederungsgebühren und Befrachtungskommissionen sowie zur Auslastung (Einsatztage pro Jahr) notwendig.

Da sich die finanziellen Überschüsse für die nähere Zukunft im Regelfall mit einem höheren Sicherheitsgrad prognostizieren lassen, ist bei der Ermittlung des LTAV eine Detailplanungsphase von mindestens drei Jahren zugrunde zu legen.

Bei Vorliegen eines Chartervertrages sollte dieser bei einer ausreichenden Bonität des Charterers grundsätzlich bei der Prognose der Charter­einnahmen für den Detailplanungszeitraum berücksichtigt werden, da davon auszugehen ist, dass die vertraglich vereinbarte Charterrate eine belastbare Basis für die Prognose der künftigen Einnahmen darstellt.

Liegt kein Chartervertrag vor oder soll das Schiff ohne bestehenden Chartervertrag bewertet werden, sind aktuell am Markt beobachtbare (Zeit-)Charterraten ein sachgerechter Ausgangspunkt der Prognose der Chartereinnahmen für den Detailplanungszeitraum. Schiffsmakler (wie z. B. VHSS, Harper Petersen & Co.) und Analysehäuser (z. B. Clarkson Research Services) veröffentlichen in regelmäßigen Abständen (mindestens monatlich) für wesentliche Schiffsklassen aktuelle Zeitcharterraten oder Zeitcharterratenäquivalente für Laufzeiten zwischen sechs Monaten und fünf Jahren.

Auf der Basis des Verhältnisses von Zeitcharterraten unterschiedlicher Laufzeit zueinander ist es möglich, die implizite Markt­erwartung zur zukünftigen Ratenentwicklung rechnerisch abzuschätzen. Daneben können Analysen zur erwarteten Marktangebots- und Marktnachfrageentwicklung (Für die Prognose der Entwicklung des Marktangebots sind insbesondere der aktuelle Flottenbestand, das bestehende Orderbuch sowie das Verschrottungspotenzial auf Basis der Altersstruktur der Flotte von besonderer Bedeutung. Die Entwicklung der Marktnachfrage ist im Wesentlichen abhängig vom Weltwirtschaftswachstum. Weitere schiffstypspezifische Nachfrageindikatoren sind das Welthandelsvolumen (Containerschiffe), die weltweite Industrieproduktion (Bulker) sowie die weltweite Rohölnachfrage (Rohöltanker).) sowie eine Analyse des Unterschieds von Frachtraten und Frachtterminraten Anhaltspunkte für die künftige Entwicklung der Charterraten im Detailplanungszeitraum geben. Nicht zuletzt kann eine Orientierung an Analystenschätzungen (wie z. B. Maritime Strategies International, Drewry Shipping Consultants und Marsoft) sach­gerecht sein.

Die Abb. 1 (auf der folgenden Seite) zeigt unterschiedliche Charterratenprognosen für ein 1.700-TEU-Containerschiff mit Ladegeschirr.

Ist die allgemeine Markter­wartung die Ausgangsbasis der Charterra­tenprognose, muss diese um die relative Attraktivität des zu bewertenden Schiffes im Wettbewerbsvergleich ergänzt werden, da bestimmte Schiffe aufgrund ihrer spezifischen Bau­weise (z. B. Wide-Beam-Design, Rumpfform) und individueller Ausstattungsmerkmale bzw. Spezifikationen (z. B. Ladegeschirr, Eisklasse) trotz gleicher Ladekapazität vergleichsweise höhere bzw. niedrigere Charterraten erzielen.

Ein historischer Vergleich zwischen den Marktcharterraten und abgeschlossenen Ist-Chartervereinbarungen für das zu bewertende Schiff kann die Basis für Anpassungen der Charterraten im Hinblick auf die relative Wettbewerbsfähigkeit des Schiffes sein.

Im Anschluss an die Detailplanungs­­pha­se bietet sich aufgrund der Zyklizität der Schiffsmärkte und der hohen Volatilität der Charterraten im Zeitablauf (Abb. 2) eine Orientierung am langfristigen historischen Charterratendurchschnitt zur Prognose der zukünftigen Chartereinnahmen an.

Der Zeitraum der Durchschnittsbildung sollte dabei mindestens zehn Jahre umfassen. Um extreme Marktentwicklungen auszugleichen, kann es sachgerecht sein, den historischen Zeitraum auszudehnen oder zur Durchschnittsbildung auf den Median anstelle des arithmetischen Mittels abzustellen. Zur Würdigung, ob die Annahme eines Wiedererreichens des langfristigen historischen Durchschnitts sachgerecht ist, ist es außerdem notwendig, die spezifische Wettbewerbsfähigkeit des Schiffes (Schiffsdesign, Ausstattungsmerkmale, Auswirkungen Kaskadeneffekt usw.) in den kommenden Jahren zu beurteilen. Daneben kann auch eine Plausibilisierung des historischen Durchschnitts mit den Langfristprognosen von Marktanalysten hilfreich sein.

Bei der Vercharterung fallen Befrachtungskommissionen und Bereederungsgebühren an. Im Regelfall betragen die Befrachtungskommissionen zwischen 1,25 % und 5 % und die Bereederungsgebühren zwischen 3 % und 5 % der Brutto-Chartereinnahmen.

Hinsichtlich der Einsatztage eines Schiffes ist zwischen normalen Betriebsjahren und Jahren, in denen das Schiff zur Klasse­erneuerung (üblicherweise alle fünf Jahre) gedockt wird, zu unterscheiden. Neben den turnusmäßigen Werftzeiten sollten die prognostizierten Einsatztage auch weitere Zeiten der Beschäftigungslosigkeit (Off-Hire-Zeiten), beispielsweise durch einen möglichen technischen Ausfall, berücksichtigen. Standardwerte sind 355 bis 360 Einsatztage in normalen Jahren bzw. 340 bis 345 Einsatztage in Klassejahren.

Betriebskosten (Bt)

Die Betriebskosten umfassen im Wesentlichen Kosten für Personal, Versicherungen, Schmier- und Hilfsstoffe, Ersatzteile, Wartung, Reparaturen, turnusmäßige Dockungen und Klasseerneuerungen sowie (Tonnage-)Steuern. Zukünftige Investitionen, beispielsweise aufgrund von Umweltregularien, müssen ebenfalls in den Betriebskosten berücksichtigt werden.

Wegen des in der Vergangenheit beobachteten und auch künftig erwarteten Trends steigender Betriebskosten ist, im Gegensatz zur langfristigen Prognose der Chartereinnahmen, eine Orientierung an Vergangenheitswerten bei der Prognose der künftigen Betriebskosten kritisch. Unter Berücksichtigung der aktuellen Rahmenbedingungen sowie der Entwicklung der Betriebskos-

ten in den vergangen Jahren sollten daher

die aktuellen Betriebskosten als Ausgangspunkt für die Zukunftsprognose zugrunde gelegt werden. Daneben sind erwartete künftig zusätzlich anfallende Kosten (z. B. Investitionen aufgrund ökologischer Anforderungen) zu berücksichtigen.

Bei der Prognose der Betriebskosten ist außerdem zu berücksichtigen, dass diese in Dockungsjahren naturgemäß höher ausfallen. Vereinfachend können die Kosten für Klasseerneuerungen auch auf die übrigen Jahre umgelegt werden. Zur Beurteilung der aktuellen Kosteneffizienz des zu bewertenden Schiffes sowie zur Plausibilisierung der Ist-Kosten sollten diese mit marktüblichen Durchschnittswerten aus Betriebskostenstudien verglichen werden. Bei großen Abweichungen zwischen durchschnittlichen Betriebskosten im Markt­vergleich und tatsächlichen Betriebskosten sollten die Gründe hierfür untersucht und gegebenenfalls Anpassungen von den Ist-Werten vorgenommen werden.

Wirtschaftliche Nutzungsdauer

Von großer Relevanz bei der Ermittlung des LTAV ist die Prognose einer angemessenen wirtschaftlichen Restnutzungsdauer des Schiffes. Empirische Untersuchungen (Abb. 3) zeigen, dass Frachtschiffe in den zurückliegenden zehn Jahren nach durchschnittlich ca. 29 Jahren verschrottet wurden. Auffallend ist jedoch, dass seit dem Beginn der Schifffahrtskrise im Jahr 2008 das durchschnittliche Verschrottungsalter tendenziell rückläufig ist und insbesondere die Spannweite nach unten deutlich zugenommen hat.

Die im gleichen Zeitraum deutlich gestiegenen Bunkerkosten, die bei einer vereinbarten Zeitcharter vom Charterer zu tragen sind, führen dazu, dass insbesondere bunkersparende Schiffsdesigns am Markt nachgefragt werden, was den Druck auf frühere Verschrottungen von weniger effizienten Schiffen erhöht. Vor diesem Hintergrund sollte bei Schiffsbewertungen eine wirtschaftliche Nutzungsdauer von 25 Jahren grundsätzlich nicht überschritten werden.

Für Schiffe mit vergleichsweise hohem Bunkerverbrauch müssen sogar noch geringere wirtschaftliche Nutzungsdauern in Betracht gezogen bzw. angemessene Abschläge auf die erzielbaren Charterraten berücksichtigt werden. Für LTAV-Bewertungen wird daher generell empfohlen, spätestens ab einem Alter von 20 Jahren Effi­zienzabschläge (sogenannter Altersabschlag) bei der Pro­gnose der Chartereinnahmen zu berücksichtigen.

Restwert (RWT )

Für die Bestimmung des Restwertes bietet sich eine Orientierung am Schrottwert zum Ende der erwarteten wirtschaftlichen Nutzungsdauer an. Hierbei ist von Bedeutung, anfallende Entsorgungskosten (wie Reinigungskosten, Reisekosten für die Fahrt zur Abwrackwerft) sachgerecht zu berücksichtigen. Zur Ermittlung des Schrottwertes ist das Leergewicht des Schiffes (light displacement) mit dem erwarteten Schrottpreis zum Ende der Nutzungsdauer zu multiplizieren. Aufgrund der großen Schwankungen des Schrottpreises in der Vergangen­-

heit bietet sich auch bei der Prognose des zukünftigen Schrottpreises eine Durchschnittsbetrachtung an.

Diskontierungszinssatz (kWACC)

Für die Bewertung eines Schiffes auf Basis des LTAV-Verfahrens sind die erwarteten finanziellen Überschüsse mit einem geeigneten Diskontierungszinssatz auf den Bewertungsstichtag abzuzinsen. Dieser Zinssatz soll die Rendite einer zur Investition in das zu bewertende Schiff adäquaten Alternativanlage repräsentieren und muss dem zu kapitalisierenden Zahlungsstrom hinsichtlich Laufzeit, Risiko, Währung und Besteuerung äquivalent sein.

Da dem LTAV-Verfahren der WACC-Ansatz zugrunde liegt, müssen die Free Cashflows mit einem gewichteten, von der Höhe der Eigen-(kEK) und Fremdkapitalkosten (kFK) abhängigen Kapitalkostensatz auf den Bewertungsstichtag diskontiert wer­-

den. Auf die Berücksichtigung des Vorteils der steuerlichen Abzugsfähigkeit der Fremdkapitalzinsen kann dabei in der Regel verzichtet werden, da die Schiffseigentümer überwiegend zu der ertragsunabhängi­gen Tonnagebesteuerung optieren. (Im Gegensatz zu herkömmlichen ertragsabhängigen Unternehmenssteuern bestimmt sich die steuerliche Bemessungsgrundlage bei der Tonnagebesteuerung auf Basis der Nettoraumzahl und damit der Größe des Schiffs.) Der gewich­tete Kapitalkostensatz ergibt sich zusammenfassend wie folgt: (Die Eigenkapitalkosten werden regelmäßig auf Basis des sog. Capital Asset Pricing Model (CAPM) abgeleitet. Für die Bestimmung der Fremdkapitalkosten kann bei Schiffsbewertungen i. d. R. auf Interest Rate Swaps zuzüglich eines Risikozuschlags abgestellt werden. Im Fall der Tonnagebesteuerung entspricht der Diskontierungszinssatz (kWACC) den unter Berücksichtigung eines Debt Betas abgeleiteten unverschuldeten Eigenkapitalkosten.)

Fazit

Das LTAV-Verfahren stellt ein theoretisch fundiertes und in der Praxis anerkanntes Schiffsbewertungsverfahren dar, welches in allen Marktphasen angewendet werden kann. Die besondere Herausforderung liegt in der Bestimmung angemessener Bewertungsparameter, etwa der Prognose der zukünftigen Chartereinnahmen. Hierbei können allgemeine Markterwartungen und daraus abgeleitete Standardparameter als Ausgangsbasis dienen, die jedoch im Hinblick auf die spezifische Wettbewerbsfähigkeit des Schiffes kritisch hinterfragt werden müssen. Insofern sind umfangreiche Analysen zu den einzelnen Bewertungsparametern notwendiger Bestandteil einer sachgerechten LTAV-Bewertung. Ansätze hierfür hat der vorliegende Beitrag aufgezeigt.

Autor:

Daniel Mayr, CFA / Manager

PricewaterhouseCoopers

Frankfurt am Main

daniel.mayr@de.pwc.com


Daniel Mayr