Ein Erbstück ruft Erinnerungen wach

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Was haben die Sitzung des Deutschen Reichstages am 3.Februar 1914, der Ort Falmouth in England, die Mai-Ausgabe der[ds_preview] HANSA vor 101 Jahren und das noch ältere Holzmodell eines Zweimasters miteinander zu tun? Wie kommen dabei auch noch ein späterer Wasserzollpolizist aus Flensburg, ein Realschuloberlehrer aus Elmshorn und eine Dame aus Wuppertal mit ins Spiel?

Es ist eine traurige, facettenreiche Geschichte, zu der die Meeresfelsen vor Cornwall einen wichtigen Beitrag leisteten: Nach einem Besuch im Museum hatte sich Sigrid Wirtz aus Wuppertal daran erinnert, dass sie von ihrem Vater ein über ein Meter langes Schiffsmodell geerbt hatte. Sie schenkte es im vergangenen Jahr dem IMMH, wo es zur Zeit in der ehrenamtlichen Modellbau-Werkstatt unter Leitung von Helmut Kohls restauriert wird. Die Takelage muss erneuert werden. Die ursprünglichen Segel aus Seide sind nicht mehr vorhanden. Insgesamt aber kein herausragender Vorgang für das IMMH, wo fast täglich neue Modelle eintreffen und instandgesetzt werden müssen.

Doch hinter diesem Modell steckt eine besondere Geschichte: Das handwerklich schöne Stück, eine Ketsch, wurde vom Bruder des Großvaters der Spenderin um 1909 gebaut, dem 1883 in Elberfeld geborenen Friedrich Ludwig (»Louis«) Mühleisen. Er war 1.Offizier auf dem Viermaster »Hera«, der als »Richard Wagner« auf der Tecklenborg-Werft in Geestemünde vom Stapel gelaufen war. Die »Hera« transportiere zum Jahreswechsel 1913/1914 Guano-Salpeter von Pisagua (Chile) nach England. Kurz vor dem Erreichen ihres Zielhafens Falmouth lief sie am 1.Februar 1914 auf einen der berüchtigten Felsen und sank. Einem Teil der Besatzung gelang es, auf die aus dem Wasser herausragenden Masten zu klettern. Zu ihnen zählte auch Mühleisen. Bevor er dann jedoch durch eine Welle in die Tiefe gerissen wurde und starb, konnte er seine Signalpfeife noch an den über ihm festgebundenen 18jährigen Matrosen August Lassen übergeben. Diesem gelang es, die Seenotretter von Falmouth mit letzter Kraft zu alarmieren. Fünf Mann der 24-köpfigen Besatzung konnten schließlich gerettet werden. Bis auf Mühleisen wurden alle Ertrunkenen geborgen.

Das Schiffsunglück erregte in England und Deutschland großes Aufsehen. Es wurde zu Beginn der Sitzung des Deutschen Reichstages zwei Tage später bekanntgegeben. Eine spätere Verhandlung vor dem Hamburger Seegericht – ausführlich dokumentiert von der HANSA – konnte nicht klären, ob die Tragödie auf einer Fehleinschätzung der Leuchtfeuer vor Falmouth beruhte oder deren teilweisem Ausfall.

Die geborgenen Toten wurden auf dem Friedhof der Veryan Church unter großer Anteilnahme der Bevölkerung bestattet. Zugegen war auch ein Inspektor des Schiffseigentümers, der »Hamburger Rhederei von 1896«. Mit Spenden der Bürger von Falmouth wurde ein Mahnmal errichtet.

Friedrich Ludwig Mühleisen hatte vor Beginn der Unglücksfahrt der »Hera« mit einer Postkarte an seinen Bruder mitgeteilt, dieses werde seine letzte Fahrt auf See sein, er wollte endgültig abmustern. Die Überlebenden blieben teilweise der Seefahrt treu. Der Mann, der mit der Signalpfeife ihre Rettung bewirkt hatte, August Lassen, ging später in Flensburg zum Wasserzoll.

Viele Einzelheiten kamen durch die Recherche eines Lehrers aus Elmshorn, Kuno Schuldt an die Öffentlichkeit. 1982 hatte er einen ausführlichen Bericht im »Deutschen Schiffahrtsarchiv« publiziert. Die erneute Erinnerung daran sowie die Kenntnis vieler Details zu Friedrich Ludwig Mühleisen und seinem Schiffsmodell, das möglicherweise einmal in den USA das Haus einer amerikanischen Freundin schmücken sollte, sind Sigrid Wirtz zu verdanken.


Wulf Brocke