Weihnachten auf See

Nur noch einige Stunden bis zum Anlegen im Heimathafen. Dann kommen die Türme der Stadt näher. Die vertraute Silhouette leuchtet[ds_preview], blinkt, strahlt. Endlich wieder zuhause – und Heiligabend endlich wieder bei den Lieben. Da werden die Augen feucht, und der Puls geht schneller an Bord.

Romantisch und sehnsuchtsvoll wurden diese Momente in Schlagern der siebziger Jahre beschrieben, z.B. in Freddy Quinns »St. Niklas war ein Seemann«. Die Musik zerriss einem schier das Herz. Doch die Wirklichkeit sah und sieht für die Seefahrt oft anders aus: Weihnachten fernab von der Familie, allein mit den Kameraden, der Wind pfeift und heult, die Brecher stürzen an Deck.

Im Internationalen Maritimen Museum Hamburg (IMMH) kann man einen kleinen aus Tauwerk gefertigten, künstlich begrünten Weihnachtsbaum sehen. Er wurde im 2. Weltkrieg von Besatzungsmitgliedern des Panzerschiffes »Admiral Scheer« für einen ihrer Offiziere gebastelt, als sich das Schiff im Südatlantik befand. Ein dürres Bäumchen – und doch kann man sich viele Gefühle vorstellen, die sich damals am heiligen Abend um das kleine Kunstwerk rankten.

Eine andere Weihnachtsgeschichte: Der Kleine Kreuzer »Königsberg« – ein Modell ist im Museum zu sehen – sitzt Weihnachten 1914 in einer ostafrikanischen Flussmündung fest, verfolgt von einem Großaufgebot der britischen Marine. Als die Besatzung den heiligen Abend begeht, trifft ein Funkspruch in deutscher Sprache von dem gegnerischen Kreuzer »Chatham« ein. Er wünscht der »Königsberg« ein fröhliches Weihnachtsfest und ein glückliches neues Jahr. Die Deutschen erwidern die Wünsche. Für Stunden schweigen nun die Waffen. Einige Monate später wird die »Königsberg« von der Royal Navy so aussichtslos in die Enge getrieben, dass ihr Kommandant das Schiff sprengen lässt. Noch heute sind dort die Reste des Wracks zu sehen.

In der Handelsschifffahrt ist es seit langem üblich, dass ein Weihnachtsbaum an Bord genommen wird, wenn abzusehen ist, dass das Schiff zum Fest auf See ist. Wenn das Wetter es zulässt, findet Heiligabend eine Feier an Bord statt und gibt es ein besonderes Essen.

Reichhaltige Menüs werden seit jeher auf den Passagierschiffen gereicht. Eine Speisekarte verrät, was es auf dem Schnelldampfer »Bremen« des Norddeutschen Lloyds 1930 in der Weihnachtszeit in der 3.Klasse gab: »Glasierter Prager Schinken«, »Nudeln und Backobst« und auf Wunsch »Kulibiak«, das russische Nationalgericht, kalt auch »Hirsch-Frikandeau«, »Roastbeef mit Remoulade« und »Piccalilli«, sauer eingelegtes geschnittenes Gemüse. Für die Kinder gab es zusätzlich »Rote Grütze« mit Vanille-Sauce. Die Speisekarte zierte eine farbige Abbildung der durch die Nacht fahrenden »Bremen« mit Sternen, Tannenzweig und Kerzen im Himmel.

Mit dem ersten Elbe-Feuerschiff »Seestern« verbindet sich eine besondere Tragik: Am 2.Weihnachtstag 1824 wurde es von einem Sturm in die Tiefe gerissen. Neun Besatzungsmitglieder und zwei Lotsen ertranken.

Auf vielen Schiffen gab und gibt es Weihnachtszeitungen. Sie enthalten oft nur wenige Gedanken zum Fest und viele lustige Beiträge, oft wie in einer Abitur-Zeitung. Es sollte gelacht werden, wenn einem – weit weg von zuhause – zum Weinen zumute war.

Wulf Brocke, Internationales Maritimes Museum Hamburg (IMM)


Wulf Brocke