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Galten Lotsen bislang faktisch als »unantastbar«, lassen aktuelle Urteile erwarten, dass die Zahl der Prozesse zur Lotsenhaftung zunehmen wird, die Hürde zur Feststellung grober Fahrlässigkeit wurde deutlich gesenkt

In deutschen Gewässern, insbesondere in Häfen und auf dem Nord-Ostsee-Kanal, gibt es kaum Havarien, an denen kein Lotse[ds_preview] beteiligt ist. Und da Havarien in der Regel auf Verschulden der beteiligten Seeleute, einschließlich der Lotsen, zurückzuführen sind, stellt sich regelmäßig auch die Frage nach der Lotsenhaftung.

Gegenüber Dritten, zu denen der Lotse in keiner vertraglichen Beziehung steht, haftet er für jedwedes Verschulden, das heißt auch für einfache Fahrlässigkeit. Ein Kollisionsgegner, der Eigentümer von Hafenanlagen oder durch Schwell geschädigte Personen können einen schuldhaft handelnden Lotsen also ohne Weiteres in Anspruch nehmen. Er kann sich zwar auf eine gesonderte Höchsthaftung für Lotsen berufen, deren Höhe davon abhängt, ob es um Personen- oder Sachschäden geht; in den meisten Fällen wird die Höchsthaftung allerdings über den aktuellen Schadenssummen liegen.

Für das Innenverhältnis zwischen dem Lotsen und seinem Auftraggeber sieht das Seelotsgesetz eine weitere Privilegierung des Lotsen vor. Er ist nur insoweit zum Ersatz verpflichtet, als ihm Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fallen. Und wenn ein Dritter zu Schaden gekommen ist, muss der Reeder den Lotsen von der Haftung freistellen, es sei denn dem Lotsen fallen wiederum Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last.

Die Rechtsprechung wendet das Gesetz analog auch auf Binnenlotsen an, wie der Bundesgerichtshof im letzten Jahr in der »Belriva«-Entscheidung bestätigt hat.

Nach dem Wortlaut der Vorschrift liegt die Beweislast für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit beim Auftraggeber des Lotsen, das heißt regelmäßig beim Reeder des gelotsten Schiffes. Er muss die hohe Hürde überwinden, die zwischen einfacher Fahrlässigkeit und grober Fahrlässigkeit steht.

Einfache Fahrlässigkeit ist laut dem BGB das Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Die Definition grober Fahrlässigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung komplizierter. Grobe Fahrlässigkeit erfordert eine objektiv schwere und subjektiv unentschuldbare Pflichtverletzung, die das im BGB bestimmte Maß an Fahrlässigkeit erheblich übersteigt. Die verkehrserforderliche Sorgfalt muss dabei in ungewöhnlich hohem Maße verletzt, und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Jeder in diesem Sinne ist im Falle der Lotsenhaftung ein Lotse mit der entsprechenden Erfahrung und Einsichtsfähigkeit.

In der Fachliteratur wurde diese Rechtsprechung teilweise auf einen für Laien verständlichen Kern reduziert: Grobe Fahrlässigkeit = Das darf nicht passieren. Einfache Fahrlässigkeit = Das kann schon mal passieren.

Während seit 2003 die zivilrechtlichen Haftbarhaltungen von Lotsen zugenommen haben, fanden nur wenige Fälle den Weg zu deutschen Gerichten, und auch dort waren die wenigsten Regresse erfolgreich. Während die Rechtsprechung zum Straßenverkehrsrecht relativ zügig zur groben Fahrlässigkeit kommt, schien die Rechtsprechung im Bereich der Schifffahrt bis zu der Entscheidung des »Belriva«-Falles im letzten Jahr höhere Maßstäbe anzulegen.

Im Jahre 2003 entschied das Landgericht Itzehoe in der Sache »Kythnos«, die bei dichtem Nebel unter Lotsberatung in ein geschlossenes Schleusentor gefahren war, dass der Lotse grob fahrlässig gehandelt habe, da er trotz sechsfacher Warnungen über UKW nicht bemerkt hatte, dass er die falsche Schleuse ansteuerte. Den Urteilsgründen und dem bestätigenden Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts aus demselben Jahr kann man entnehmen, dass den Richtern allein das Anfahren einer geschlossenen Schleuse zur Feststellung grober Fahrlässigkeit nicht ausgereicht hätte.

Mit dem »Belriva«-Fall scheinen die Hürden gesenkt worden zu sein. Der Lotse hatte bei Nacht und Nebel die »Belriva«im Rhein auf eine Buhne gesteuert, obwohl ihm die Buhnen hatten bekannt sein müssen, er sie auf einer elektronischen Seekarte hätte sehen können und einmal von einem Besatzungsmitglied auf den kritischen Kursverlauf hingewiesen worden war. Das Rheinschifffahrtsobergericht befand, dass es eine Kardinalspflicht eines Lotsen sei, Schiff, Besatzung und Passagiere nicht zu gefährden, deren Verletzung das Gericht für objektiv wie subjektiv grob fahrlässig hielt.

Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung des Rheinschifffahrtsobergerichts nur insoweit kritisiert, als dass von grober Fahrlässigkeit nicht automatisch auf subjektive grobe Fahrläs-sigkeit geschlossen werden könne. Auch der Bundesgerichtshof sieht die Darlegungslast dafür allerdings beim Lotsen, sofern nur der Lotse die Erklärung dafür liefern kann, warum er objektiv grob fahrlässig gehandelt hatte. Das wird in den meisten Fällen so sein.

Im Rahmen einer Lotsberatung gibt es im Grunde keine Pflichten, die keine Kardinalspflichten sind. Jeder Beratungs- oder Fahrfehler kann zur Havarie führen, und so kann man die Ent-scheidungen im »Belriva«-Fall auch in dem Sinne verstehen, dass zu Havarien führende Beratungsfehler im Zweifel objektiv auf grober Fahrlässigkeit basieren und bei objektiver grober Fahrlässigkeit im Regelfall auch auf subjektive grobe Fahrlässigkeit zu schließen ist, wenn der Lotse sich insoweit nicht entlasten kann. Es bleibt abzuwarten, ob der »Belriva«-Fall tatsächlich eine weitere Zunahme von Regressverfahren gegen Lotsen zur Folge hat.

Der Bundesgerichtshof hat im »Belriva«-Fall zwei weitere Punkte geklärt, die regelmäßig streitig waren. So wurde vertreten, dass die Haftungsbeschränkung auf grobe Fahrlässigkeit nicht zum Zuge kommt, wenn der Lotse nicht nur beraten, sondern das Schiff selbst gesteuert hat. Der Bundesgerichtshof hat sich zugunsten der Losten für eine allumfassende Haftungsbe-schränkung entschieden.

Ein weiterer Streitpunkt wurde gegen die Lotsen entschieden. Lotsen stehen zu dem Auftraggeber in einem Dienstverhältnis, aber als freie Unternehmer nicht in einem Arbeitsverhältnis. Somit kommt eine weitere Haftungsbegrenzung nach den arbeitsrechtlichen Grundsätzen in gefahrgeneigter Tätigkeit nicht zum Zuge.

Jan Wölper, Rechtsanwalt