Uwe Lauber, Vorstandsvorsitzender, MAN Energy Solutions © MAN Energy Solutions
Uwe Lauber, Vorstandsvorsitzender MAN Energy Solutions, Vorsitzender der VDMA Power-to-X for Applications sowie Präsidiumsmitglied beim VSM (© MAN Energy Solutions)

Bis vor ein paar Jahren waren Dieselmotoren das Kernprodukt von MAN Energy Solutions. Heute durchläuft das Unternehmen eine Transformation hin zu einem Anbieter von CO2-neutralen Antriebslösungen. Die HANSA sprach darüber mit CEO Uwe Lauber

2018 hat MAN die Strategie bekannt gegeben, sich von einem reinen Komponentenhersteller hin zum Anbieter von nachhaltigen Energielösungen wandeln zu wollen. Bis 2030 sollen diese 50 % ihres Geschäfts ausmachen. Wie schreitet die Strategie voran?

Uwe Lauber: Unsere Transformation wurde 2018 mit der Umbenennung in MAN Energy Solutions erstmals sichtbar. Seither setzt sich unser Wandel zum Anbieter von CO2-neutralen Lösungen fort. Es war ein hartes Stück Arbeit, aber wir haben tolle Erfolge erzielt und schon ein großes Stück des Weges geschafft. Aktuell erzielen wir etwa 15-20 % unseres Umsatzes mit diesen neuen Lösungen.

Das heißt, Sie sind noch mittendrin in der Transformation?

Lauber: Ja, aber wir haben bereits einige gute »Proof points«. Ein Beispiel ist das Containerschiff »ElbBlue«. An Bord dieses Feeders konnten wir erfolgreich demonstrieren, dass die Umrüstung eines Schwerölmotors erst auf konventionelles und jetzt auf synthetisches Erdgas funktioniert. Damit haben wir eine Dekarbonisierungslösung für das Container-Schiffssegment aufgezeigt. Für einige Nischen im Schiffsmarkt mögen auch batterie-elektrische Antriebe passen, aber für die großen Schiffe dieser Welt muss es in Richtung synthetische Kraftstoffe gehen.

Es gibt eine Vielzahl an synthetischen Kraftstoffen, welcher macht am Ende das Rennen?

Lauber: Wenn ich eine Kristallkugel hätte, wäre ich froh. Wir nähern uns dieser Frage gemeinsam mit unseren Partnern. Das heißt, wir suchen uns Partner, mit denen wir die maritime Energiewende gemeinsam vorantreiben. Ein solcher Partner ist zum Beispiel Maersk. Die Reederei ist ein »Frontrunner«, wenn es um Methanol geht und will bis 2024 zwölf Schiffe mit »grünem« Methanol betreiben. Eine Weltpremiere. Andere, wie das Rohstoffhandelsunternehmen Trafigura, gehen mit uns in Richtung Ammoniak. In NH3 ist beispielsweise gar kein Kohlenstoff-Atom drin. Unter dem Aspekt der CO?-Neutralität betrachtet, ist dieser Kraftstoff das Nonplusultra. Er hat aber auch Nachteile, weil er giftig und nur unter Druck zu speichern ist. So hat jeder Kraftstoff sein Für und Wider. Aber klar ist: Synthetisches Erdgas, Methanol und Ammoniak sind die drei Treibstoff-Kandidaten der Zukunft. In welchen Mengen sie wo gebraucht werden, entscheidet sich in den kommenden Jahren. Fest steht aber jetzt schon, dass die Basis dafür Wasserstoff sein wird.

Hat MAN Energy Solutions deshalb den Wassersoff-Experten H-TEC Systems übernommen?

Lauber: Die hundertprozentige Übernahme von H-TEC Systems in 2021 ist ein gutes Beispiel für unsere Transformation: Wir investieren in ein Start-Up, das Elektrolyse-Einheiten produziert, um aus erneuerbaren Energiequellen Wasserstoff herzustellen. Damit haben wir einen komplett neuen Geschäftszweig eröffnet, den wir bis 2030 zu einem Unternehmen mit einem hohen dreistelligen Millionen-Umsatz aufbauen wollen. Das ist wichtig für den Markt, denn die Schifffahrtsindustrie braucht einen Hochlauf der alternativen Kraftstoffe.

Anfang 2021 hat MAN den Hersteller von Elektrolyseuren, H-TEC Systems, übernommen © Markus Zucker
Anfang 2021 hat MAN den Hersteller von Elektrolyseuren, H-TEC Systems, übernommen © Markus Zucker

Aber ist die Herstellung von Wasserstoff nicht zu teuer?

Lauber: Die Frage muss lauten: Gibt es überhaupt Alternativen und wie teuer sind die? Unser Credo lautet: »Wasserstoff schwimmt und fliegt«. In Schifffahrt und der Luftfahrt ist der Einsatz von Wasserstoff alternativlos. Natürlich ist grüner Wasserstoff sehr teuer, und es gibt einen Wirkungsgradabfall. Aber Klimakata­strophen sind viel teurer. Und wenn ich Wasserstoff in den Volumina produzieren kann, wie sie die Luftfahrt und die Schifffahrt brauchen, dann erziele ich auch Skaleneffekte. Das ist ein Modell für die Zukunft, davon bin ich überzeugt, und der Schlüssel der maritimen Energiewende.

Wird MAN in Zukunft auch ein Wasserstoffhersteller sein?

Lauber: Nein, wir wollen keinen Wasserstoff herstellen oder verkaufen, sondern Elektrolyseure für kleine bis große Wasserstofffabriken liefern.

Hier in Deutschland?

Lauber: Grüner Wasserstoff ist ein globales Thema. Diese Wasserstofffabriken werden dort entstehen, wo grüner Strom zu sehr geringen Entstehungskosten verfügbar ist. In Chile zum Beispiel, wo Windstrom für einen Cent die Kilowattstunde gewonnen werden kann. Zum Vergleich, hier in Norddeutschland sind es vier Cent. Dann kommt die EEG-Umlage mit sieben Cent dazu. Das heißt, wenn ich es vergleiche, sind es elf Cent gegenüber einem Cent. Das ist schon ein Pfund. Darum müssen wir mit der Politik daran arbeiten, die EEG-Umlage so zu gestalten, dass der Wasserstoffhochlauf auch in Deutschland starten kann.

Wie bekommt man den Strom aus Chile oder anderen sonnen- beziehungsweise windreichen Regionen nach Europa?

Lauber: In der Regel wird Wasserstoff per Pipeline von A nach B transportiert, das geht aber nicht überall, schon gar nicht, wenn ein Meer dazwischen liegt. Der Treibstoff muss also umgewandelt werden, damit er transportiert werden kann, zum Beispiel in synthetisches Erdgas, Methanol oder Ammoniak. Die Infrastruktur und Supply Chain für Erdgas ist bereits entwickelt. Deswegen plädiere ich dafür, heute Erdgas zu nutzen, im nächsten Schritt dann synthetisches Erdgas, bis dann in ca. fünf bis zehn Jahren Methanol und Ammoniak in den Mengen, die die Schifffahrt braucht, hergestellt werden können.

Kann LNG also Brückentechnologie betrachtet werden?

Lauber: Ja, absolut. Der Weg zu Ammoniak und Methanol ist Erdgas. Erdgas, synthetisches Erdgas, Ammoniak und Methanol – das ist der Pfad.

Was setzen Sie Skeptikern entgegen, für die Erdgas ein klimaschädlicher Kraftstoff ist?

Lauber: Jeder Treibstoff hat wie gesagt seine Vor- und Nachteile. Das wissen wir. Aber gerade der viel diskutierte Methanschlupf spricht nicht gegen den Rohstoff Erdgas, sondern ist Teil der Verantwortung der Supply Chain Betreiber. Wenn Pipelines, etwa in der Ukraine, undicht sind und Methan austritt, dann ist der Betreiber das Problem, der seine Sorgfaltspflicht zu wahren und darauf zu achten hat, dass die Ventile sauber und gewartet sind und dass die Pipeline keine Leckagen hat. Schiffseignern können wir helfen: Motorisch gesehen, haben wir Lösungen, um das Erdgas sauber zu verbrennen. Das haben wir mit unserem Hochdruckeinspritzsystem ganz klar demonstriert, bei dem das LNG zu 99 % verbrannt und kein Methan in die Atmosphäre abgegeben wird. Weiter entwickeln wir einen Katalysator, um diesen Methanschlupf auf bei Viertakt-Motoren vollständig zu verhindern. Wir brauchen Erdgas und ich finde es gefährlich, wie vorschnell der Kraftstoff in Deutschland von einigen verteufelt wird.

Die EU-Kommission prüft im Rahmen ihrer Taxonomie, ob Erdgas künftig überhaupt noch als nachhaltig gelten soll. Wie gehen Sie damit um?

Lauber: Es ist ganz einfach: Wir brauchen auf absehbare Zeit Erdgas, um die Energiewende zu schaffen. Deswegen gehört es auch in die Taxonomie – zumindest vorerst. Dort wo Kritikpunkte angemessen sind, gibt es, wie erwähnt, Lösungen. Die politische Entscheidungsfindung bewegt sich in der Sache aber ja inzwischen auch in die richtige Richtung.

Was würden Sie einer Reederei empfehlen, die Schiffe bestellen will und vor großen Investitionsentscheidungen steht?

Lauber: Es kürzlich haben wir eine solche Diskussion mit MSC geführt. Unsere aktuellen Motoren, egal welcher, sind alle so konzipiert, dass sie nicht exklusiv für einen Treibstoff konstruiert sind. Wir können alle Motoren, wie bei der »ElbBlue«, für spätere Anforderungen umrüsten. Die Reeder investieren in ein großes Containerschiff zwischen 100 Mio. $ und 150 Mio. $ und wollen natürlich die Sicherheit, dass sie auch die nächsten 20, 30 Jahre Normen und Regularien erfüllen können. Diese Sicherheit bieten wir.

Die »ElbBlue« wurde als erstes Containerschiff weltweit mit synthetischem LNG bebunkert © Wroblewski
Die »ElbBlue« wurde als erstes Containerschiff weltweit mit synthetischem LNG bebunkert © Wroblewski

Aber zunächst müssen Reeder für einen solchen Zweistoffmotor, der mehr Equipment an Bord erfordert, auch mehr investieren?

Lauber: Das stimmt. Für ein solches Retrofit von einem Schweröl- auf einen Gasmotor brauchen Sie zum Beispiel komplett andere Tanks. Der eine Brennstoff ist nämlich ziemlich zäh, der andere gasförmig. Sie brauchen auch andere Fuel-Gas-Supply-Systeme sowie zusätzliches Equipment. Für den Reeder bedeutet das, dass er sich von ein paar Containern beziehungsweise einem Teil der Ladekapazität verabschieden muss. Das tut er natürlich nicht gern.

Warum sollte man trotzdem umrüsten?

Lauber: Ein Umbau ist für den Reeder immer noch lukrativ und macht Sinn von den Kosten her. Er investiert in die bestehende Flotte und macht seine Assets zukunftsfest. Die Alternative wäre, so lange weiterzufahren wie es geht – bis es eben irgendwann nicht mehr geht. Denn die IMO-Regularien und auch »Fit for 55« geben ja einen klaren Emissions-Reduktionspfad vor. Was man zudem nicht vergessen darf: Auch die Kunden der Reeder stehen vor der Aufgabe, ihre Supply Chain zu dekarbonisieren. Entweder ich kann als Reeder hier etwas beitragen oder ich verliere mittelfristig Geschäft.

Können Sie die Kosten für die Umrüstung beispielsweise für ein 20.000 TEU Containerschiff beziffern?

Lauber: Mit Projektmanagement, Werftaufenthalt, Tanks kostet es zwischen 25 Mio. € und 30 Mio. €. Dabei gilt, je größer das Schiff, desto rentabler wird es.

Durch Nachrüstung können heutige Motoren bereits mit synthetischen Kraftstoffen betrieben werden © Wroblewski
Durch Nachrüstung können heutige Motoren bereits mit synthetischen Kraftstoffen betrieben werden © Wroblewski

Zurück zur »ElbBlue«. Hat das Schiff bei seinem ersten Einsatz mit synthetischem Gas die erhofften Ergebnisse geliefert?

Lauber: Absolut. Ein synthetischer Kraftstoff ist ein reiner Kraftstoff. Im Fall der »ElbBlue«: CH4. Ein fossiles Erdgas hat immer Bestandteile von höheren Kohlenwasserstoffen drin, die de facto die Verbrennung verschlechtern. Es ist also für den Motor tatsächlich besser, CH4 ohne diese Bestandteile zu verbrennen.

Welche Mengen an traditionellem Brennstoff müssten künftig in der Schifffahrt durch synthetischen ersetzt werden?

Lauber: Wir reden allein in der Schifffahrt von einem Ersatz für 300 Mio. t Schweröl. Die gleiche Menge ist in der Luftfahrt zu ersetzen. Um diese gigantischen Volumina an synthetischen Kraftstoffen zu bekommen, müssen wir sie in Ländern produzieren, wo Sonne und Wind durchgehend im Überfluss verfügbar sind.

Wird es einen Verteilungskampf um die synthetischen Kraftstoffe geben?

Lauber: Ja. Ich bin Mitglied im Nationalen Wasserstoffrat und wir haben dort diskutiert, welche Industrien bei der Nutzung von Wasserstoff priorisiert werden sollen. Wo eine direkte Elektrifizierung möglich ist, ist das immer der effizienteste Weg. Daher: Kein H2 im Pkw! In der Schifffahrt sind Batterien dagegen keine Lösung. Riesige Containerschiffe rein batterie-elektrisch zu betreiben, ist auf absehbare Zeit unmöglich. Wir haben hier keine Alternative zu Wasserstoff. Und wir müssen jetzt anfangen, Infrastruktur und Lieferketten um- und aufzubauen. Es ist nicht fünf, sondern eine Minute vor zwölf.

Wie bekommt man den Anfang hin?

Lauber: Es braucht festgelegte Pfade, und es braucht langfristige und nachhaltige Investitionen, sonst funktioniert der Hochlauf nicht. Subventionen wie die acht Milliarden, die die Bundesregierung zur Verfügung gestellt hat, sind richtig. Solche Investitionen sind notwendig, um das Thema anzuschieben. Wir haben die Erneuerbaren Energien 20 Jahre gefördert, und es hat sich ausgezahlt. Zugleich sollten wir aus dieser Erfahrung lernen und die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen: Die maritime Branche ist ein internationales Geschäft, und wir dürfen sie nicht ausschließlich durch die deutsche oder europäische Brille betrachten. Es braucht globale Lösungen. Es ist gut, dass die EU treibt und ein Exempel statuiert. Aber wir dürfen nicht anfangen, Gesetze auf nationaler oder europäischer Ebene zu verabschieden, die einen Flickenteppich schaffen, der letztlich unsere heimischen Reeder be­straft.

Und wie stellen Sie sich als Unternehmen auf, um diesen Kraftakt zu stemmen?

Lauber: Wir machen unsere Motoren fit für alternative Kraftstoffe der Zukunft, investieren in unser Tochterunter­nehmen H-TEC Systems und befassen uns mit Forschungs- und Entwicklungsthemen rund um Carbon Capture sowie Speichertechnologien. Da haben wir gute Projekte, die Pipeline ist voll.

Im Zuge Ihrer Unternehmenstransformation haben sie neue Geschäftszweige und Produkte in den vergangenen Jahren dazugewonnen. Wie wirkt sich dieser Wandel auf die Belegschaft aus?

Lauber: Damit die Belegschaft den Wandel mitmacht, haben wir Schulungskonzepte in unserem Restrukturierungsprogramm verankert. Wir nehmen die Leute mit. Und wo neue Mitarbeiter gebraucht werden, stellen wir allen Sparanstrengungen zum Trotz ein, zum Beispiel im Bereich Digitalisierung oder Verfahrenstechnik.

Wie viel Geld steckt MAN jährlich in den Bereich der Forschung und Entwicklung?

Lauber: Das sind etwa 5 % bis 6 % unseres Umsatzes. Das ist relativ viel, weil diese neuen Technologien viel Einsatz erfordern.

Neue Geschäftsfelder, neue Berufsfelder, intensivere Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten – kann man sagen, dass die Welt für ein Traditionsunternehmen wie MAN komplexer geworden ist?

Lauber: Sie ist komplexer geworden, aber das macht uns auch Spaß. Komplexität war immer schon die Stärke von MAN. Bei einem Serienprodukt geht es am Ende nur noch um den Preis. Das ist aber nicht unsere Welt. Die Veränderungen, die Herausforderungen, denen wir aktuell gegenüberstehen, sorgen dafür, dass all die tollen Ingenieure, die für uns arbeiten, gefordert werden. Gerade junge Absolventen, die von der Hochschule zu uns kommen, wollen an Produkten arbeiten, die einen gesellschaftlichen Mehrwert erbringen, die nachhaltig sind und einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.

Interview: Anna Wroblewski